DOMRADIO.DE: Wieviel Weihnachtsgefühl spürt man gerade im Heiligen Land?
Veronika Staudacher (Leiterin des Jerusalem-Büros des Deutschen Vereins vom Heiligen Lande): Auf dem Krippenplatz in Bethlehem stehen Baum und die Krippe. Aber dieses Jahr ist einfach auch in Bethlehem alles anders als normal – wie wohl überall auf der Welt. Dazu muss man wissen, dass die Weihnachtszeit hier, wie andere christliche Feste, wenig von der westlichen Besinnlichkeit hat, normalerweise – sondern mehr von einem großen Fest. Das Entzünden der Lichter an den Weihnachtsbäumen ist normalerweise ein riesiges Event mit tausenden Menschen, mit den christlichen Pfadfindergruppen, die aufmarschieren, Musik und Feuerwerk. Dieses Jahr ist das alles sehr klein ausgefallen. Es durften nur etwas mehr als ein Dutzend Menschen mit dabei sein und auch in der Geburtskirche, die sonst voll ist. Um diese Zeit herrscht gähnende Leere.
DOMRADIO.DE: Sie haben es schon gesagt: Die Corona-Pandemie und der Lockdown treffen die Region ziemlich hart. Welche Auswirkungen hat dieser Lockdown für die Weihnachtsfeierlichkeiten?
Staudacher: Das ist noch nicht in Gänze absehbar. Denn wie in Deutschland auch: Diese Entscheidungen werden oft sehr kurzfristig getroffen. Es sieht so aus, als könnte der lateinische Patriarch von Jerusalem seinen traditionellen Einzug nach Bethlehem und die anschließende Mitternachtsmesse halten, aber mit einer sehr kleinen Auswahl an Kirchenführern und diplomatischen Gästen. Und niemand kann einfach in dieser Zeit die Verantwortung für große Menschenansammlungen übernehmen. Deswegen werden alle Feierlichkeiten und Gottesdienste online übertragen, in erster Linie.
DOMRADIO.DE: Drei Millionen Besucher kamen 2019 nach Bethlehem. Oft mussten die stundenlang warten, bis sie zur Geburts-Grotte unter der Kirche durchkamen. Jetzt ist alles ruhig. Keine Menschen, keine Pilger. Was bedeutet das für die Menschen in der Stadt?
Staudacher: Es ist natürlich verheerend. Man spricht davon, dass ungefähr 60 Prozent der Menschen in Bethlehem vom Tourismus abhängig sind. Das ist eine Branche, die seit März brach liegt. Und das zwingt natürlich auch die Wirtschaft in die Knie. Arbeitslosen oder Kurzarbeitergeld gibt es in den palästinensischen Gebieten nicht. Zwar ist das krisengebeutelte Land erstaunlich resilient - das muss man wirklich sagen - aber die steigende Arbeitslosigkeit zwingt viele Leute in die Armut. Der Krankenversorgung kann nicht bezahlt werden. Strom und Miete kann nicht mehr länger bezahlt werden. Das wirkt sich natürlich auch auf Schulgeld oder Studiengebühren aus, was dann auch christliche Einrichtungen betrifft, wie beispielsweise auch die Bethlehem-Universität. Lange kann sowas nicht durchgehalten werden ohne externe Unterstützung. Deshalb engagiert sich beispielsweise auch der DVHL, wo er nur kann. Zum Beispiel für einkommensschaffende Maßnahmen oder humanitäre Hilfe, um Menschen in Not zur Hilfe zu kommen.
DOMRADIO.DE: Was meinen Sie, wie viele von diesen Menschen werden da nicht über die Runden kommen können?
Staudacher: Das kann ich ehrlich gesagt im Moment nicht abschätzen. Aber es ist tatsächlich davon auszugehen, dass natürlich der Tourismussektor großen Schaden nehmen wird. In Bethlehem allein gibt es über 70 Hotels. Es gibt viele Restaurants, die davon abhängig sind - und natürlich die ganzen Dienstleister, die auch da dranhängen.
DOMRADIO.DE: Die nächtliche Ausgangssperre für das Westjordanland wurde zunächst bis zum 17. Dezember verlängert. Das wäre dann also bis morgen. Alle Maßnahmen sollen aber täglich überprüft werden. Wie ist jetzt der Stand der Dinge? Wie wird das in der nächsten Woche weitergehen? Was wissen Sie?
Staudacher: Auch das ist noch nicht entschieden. Angesichts der hohen Infektionszahlen und vor allen Dingen der hohen Dunkelziffer im Westjordanland, gehe ich davon aus, dass die Ausgangssperre, wenn nicht sogar der Lockdown der größeren Städte, auch über die Feiertage verlängert wird.
Das Interview führte Carsten Döpp.
Aktaulisierung: Nach der Aufzeichnung wurde bekannt, dass der Lateinische Patriarch von Jerusalem, Erzbischof Pierbattista Pizzaballa, an Covid-19 erkrankt Ist. Das katholische Oberhaupt Jerusalems zeige leichte Symptome. Welche Auswirkungen die Erkrankungen auf die Wweihnachtsfeierlichkeiten heben werden, ist noch nicht bekannt.