Ein Sammelband, der seinen Anfang in eben jener Krise hat, von der er handelt, reiht sich seit einigen Wochen in die wissenschaftlichen Publikationen über die Covid-19-Pandemie ein. Wie viele Bildungseinrichtungen, so musste auch die Katholisch-Theologische Fakultät der Universität Wien im März 2020 ihre Türen für den öffentlichen Lehrbetrieb schließen.
Als "Ersatzleistung" für das entfallende Forschungsseminar des Fachbereichs Liturgiewissenschaft und Sakramententheologie wurden die Doktorandinnen und Doktoranden gebeten, in Form eines Essays zum Thema "Liturgie und Hygiene" aus ihren jeweiligen Kirchen, Konfessionen und Ländern zu berichten.
Auf dieser Grundlage entstand ein rund 900 Seiten starker Sammelband, wie die beiden Herausgeber Hans-Jürgen Feulner, Professor für Liturgiewissenschaft und Sakramententheologie in Wien, und sein Assistent Elias Haslwanter in der Einführung schreiben.
Verlautbarung eines Bistums stand Pate für den Titel
Der etwas provokante Titel "Gottesdienst auf eigene Gefahr?" ist an eine Verlautbarung des Bistums Erfurt angelehnt, welche explizit darauf hinweist, dass im Zutrittsbereich der Kirchen für die Gottesdienstbesucher der Hinweis zu stehen habe: "Die Teilnahme am Gottesdienst geschieht auf eigene Gefahr."
Dennoch – so versichern die Herausgeber – soll der Band keine Angst schüren oder Gottesdienst und Hygiene gegeneinander ausspielen, sondern er dreht sich um das Herausstellen einer verantwortungsvollen Feier der Gottesdienste, welche die Erkenntnisse und Empfehlungen aus Forschung und Wissenschaft ernst nimmt.
Die Autorenliste zeigt, dass sich hier Wissenschaftler unterschiedlicher Konfessionen, Religionen sowie verschiedener Disziplinen und Nationalitäten mit einem Thema befasst haben, welches weltweit von Bedeutung war, ist und auch weiterhin sein wird. Die Beiträge sind daher in deutscher und englischer Sprache verfasst. Auch ein Beitrag der Bostoner Theologin Ruth Langer aus jüdischer Perspektive ist darunter.
Plexiglasscheiben für den Kommuniongang im Kölner Dom
Ein möglichst großes Spektrum liturgisch-hygienischer Maßnahmen in verschiedenen Kirchen und Ländern soll hier versucht werden zu bündeln und der Öffentlichkeit zugänglich zu machen, heißt es in der Einführung weiter.
Wie es um die "participatio actuosa" bestellt ist, wenn die volle, leibhaftige Teilnahme der Gläubigen am Gottesdienst verwehrt bleibt, damit befasst sich der Münchener Liturgiewissenschaftler Winfried Haunerland. Auf den innertheologischen Streit um die im Internet gestreamten "Geistermessen", der während des ersten Lockdowns geführt wurde, geht er in seinem Beitrag in einer – wenn auch umfangreicheren – Fußnote ein.
Dass die Corona-Krise 2020 nicht das erste Mal war, dass die Art Gottesdienste zu feiern ins Wanken gebracht wurde, zeigt Hans-Jürgen Feulner in einem Beitrag über "Liturgie und Hygiene in Geschichte und Gegenwart". Auch zur Zeit der "Spanischen Grippe" seien die Kirchen in Washington DC im Oktober 1918 vier Wochen lang geschlossen gewesen, und auch damals habe es Widerstände gegen die verordneten Maßnahmen gegeben.
Aus der Zeit von Pest und Cholera sind Utensilien der infektionsvermeidenden Sakramentenspendung erhalten geblieben. Die Plexiglasscheiben von heute, welche im Kölner Dom nach wie vor zur Kommunionspendung aufgeklappt werden, finden Erwähnung in einem Beitrag von Predrag Bukovec, der sich explizit mit dem Kommuniongang beschäftigt und diverse coronabedingte Praktiken hinterfragt.
Einladung zur weiteren Beschäftigung
Einen Blick auf die Corona-Situation über den Tellerrand hinaus liefern weitere Beiträge aus Ungarn, dem Bereich der in Wien stark vertretenen Ostkirchen wie auch aus dem Blickwinkel anderer Kirchen und Konfessionen.
Ein letzter Block befasst sich mit dem "unheiligen Aufeinandertreffen von Kirchenmusik und Corona" und der "Notwendigkeit des liturgischen Singens" im Hinblick auf evangelische Gottesdienste, bevor mehrere Anhänge mit einer umfangreichen Dokumentensammlung von Dekreten, Rahmenordnungen und Schutzkonzepten die Publikation abschließen.
Dass die Pandemie noch nicht vorbei ist, wissen auch die Herausgeber. Die Auswahl der Beiträge bezeichnen sie daher als exemplarisch und unvollständig. Dennoch soll gerade ein kritischer Rückblick auf die ersten Maßnahmen gegen die Ausbreitung der Pandemie helfen, den kommenden Herausforderungen zu begegnen und zu einer weiteren Beschäftigung mit diesen Fragen einladen.
Informationen zum Buch: Hans-Jürgen Feulner / Elias Haslwanter (Hg.): GOTTESDIENST AUF EIGENE GEFAHR? - Die Feier der Liturgie in der Zeit von Covid-19 2020, 916 Seiten, geb. 65, 00 Euro ISBN 978-3-402-24740-2, pdf Ebook | ISBN 978-3-402-24741-9 | 46, 00 Euro