Wie der Schleier islamisch wurde

Stoff für Legenden

Die Schweizer haben für ein Verhüllungsverbot gestimmt. Es richtet sich vor allem gegen Burka und Nikab. Aber warum fordert der Islam überhaupt die Verschleierung der Frau? Der Koran lässt Raum für Interpretationen.

Autor/in:
Christoph Schmidt
Frau mit Kopftuch / © Harald Oppitz (KNA)
Frau mit Kopftuch / © Harald Oppitz ( KNA )

"Eine verschleierte Frau ist wie eine Perle in ihrer Muschel", sagt ein islamisches Sprichwort. Islamkritikern gilt der Schleier dagegen als Inbegriff der Entrechtung der Frau. Immer wieder beschäftigt das Kopftuch die Justiz. Für die einen ist das Stück Stoff selbstverständlicher Ausdruck der Religionsfreiheit. Aber nicht nur Islamfeinde sehen es als aggressives Banner von Fundamentalismus und Unterdrückung der Frau. Am Sonntag ging es bei einem Schweizer Plebiszit um die radikalste Form weiblicher Verschleierung: die Totalverhüllung in Form der Burka und des Nikab, der lediglich die Augen freilässt.

Woher kommt die Verhüllung?

Wie kam das Kopftuch überhaupt in den Islam? Worauf fußt seine Verbreitung? Alle Rechtsschulen des Islam zählten die Verhüllung zu den Glaubenspflichten der Frau, betonen islamische Gelehrte. Sie stützen sich vor allem auf drei Koranstellen - die jedoch verschieden interpretiert werden können und keine Totalverhüllung wie Burka und Nikab rechtfertigen.

In Sure 24, Vers 31 ergeht die Aufforderung, dass Frauen "ihren Schleier (chimar) über ihren Busen ziehen" sollen. Zur Zeit Mohammeds waren die Kleider arabischer Frauen so weit ausgeschnitten, dass ihre Brüste zu sehen waren. Der Vers propagiert keine Pflicht zur Verschleierung des Gesichts. Die Verhüllung der Brüste in der Öffentlichkeit ist auch nach westlicher Kleidersitte selbstverständlich. Mancher Arabist übersetzt "chimar" im Übrigen nicht mit "Schleier", sondern mit "Schal".

Sure 33, Vers 53 bestimmt, dass die männlichen Gäste Mohammeds nur getrennt durch einen "hidschab", einen Vorhang (nicht Schleier), zu den Frauen des Propheten sprechen dürfen. Die Vorschrift, die womöglich nur Mohammeds Wunsch nach Privatsphäre für seine Gattinnen betraf, deuteten viele Koran-Exegeten später als Befehl für eine strikte Geschlechtertrennung und Isolierung der Frau. Heute bezeichnet das arabische Wort "hidschab" alles, was Blicke fernhält, insbesondere weite Kleidung zur Verdeckung weiblicher Körper. Im engeren Sinne meint es heute das gängige islamische Kopftuch, das die Haare, nicht aber das Gesicht bedeckt und über die Schultern fällt.

Sure 33, Vers 59 fordert die gläubigen Frauen auf, "dass sie etwas von ihrem Gewand über sich ziehen. So ist gewährleistet, dass sie (als anständige Frauen) erkannt und nicht belästigt werden". Im arabischen Original ist nicht explizit von der Bedeckung des Kopfes die Rede. Der überlieferte Anlass der Offenbarung zeigt zudem, wie sehr er an seine Zeit gebunden ist: Denn zuvor hätten Männer irrtümlich eine Gruppe Musliminnen für Sklavinnen gehalten und sexuell belästigt. Heute, so islamische Feministinnen, sollten aber nicht Bekleidungsvorschriften, sondern gute Erziehung und Strafgesetze vor sexueller Gewalt schützen.

In einigen Ländern eine Pflicht

Keinen Zweifel an der Pflicht zur Verhüllung lässt die Sunna, die überlieferten Berichte (Hadithe) über Aussprüche und Handlungen Mohammeds: Nicht mehr solle von einer Frau zu sehen sein als Gesicht und Hände, soll er gesagt haben. Laut anderen Überlieferungen ist die Frau für Mohammed ein sündiges, verführerisches Wesen, das mit seinen Reizen den Mann vom rechten Weg abbringt. Einer Frau, die ihr Haus verlässt, komme der Teufel entgegen, heißt es. Kaum wundert es da, dass die Mehrzahl der Höllenbewohner laut einem Hadith angeblich weiblich ist.

Vieles spricht aber dafür, dass dem Religionsgründer solche Äußerungen von einer frauenfeindlichen Gelehrtenschaft nachträglich in den Mund gelegt wurden. Verschleierung und Verbannung der Frau aus der Öffentlichkeit wurden so vermeintlicher Wille Gottes. Seit der Re-Islamisierung der 1970er und 80er Jahre in den meisten islamischen Ländern beherrscht der Schleier dort wieder das Straßenbild; in einigen wie Iran und Saudi-Arabien ist er gesetzliche Pflicht.

Debatte um Schleier

Aus Sicht von Feministinnen und Islamkritikern reduziert der Schleier die Frau auf ihre Sexualität und nimmt ihr die Möglichkeit, gleichberechtigt am sozialen Leben teilzunehmen. Dem liege zudem ein archaisches Männerbild zugrunde, wonach der Mann beim Anblick einer unverschleierten Frau zwanghaft in den Triebmodus verfällt.

Muslime halten dagegen, der Schleier sichere der Frau ihre sexuelle Würde. Viele Musliminnen betonen, sie empfänden den Schleier als Schutz vor männlichen Zudringlichkeiten und seien stolz, ihn zu tragen. Untersuchungen zeigen aber auch, dass in den Familien und islamischen Gesellschaften oft sozialer Druck und Konformismus dahinter stehen.


Quelle:
KNA
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