DOMRADIO.DE: Am Montagmittag um 14 Uhr ist der Impfbus auf dem Liverpool-Platz in Köln-Chorweiler angekommen. Was hören Sie aus der Gemeinde dazu?
Diakon Michael Oschmann (Pfarrei Johannes XXIII. Chorweiler): Grundsätzlich ist es uns ein großes Anliegen, dass dieses Impfen stattfindet in diesem besonderen Sozialraum. Und was ich tatsächlich mitbekommen habe – ich habe als Seelsorger montags frei und habe den Tag gut mit anderen Dingen gefüllt – aber das Handy blieb nicht still. Es war auf allen Kanälen zu hören. Um 14 Uhr, der Bus ist da, Liverpool Platz. Es sammelt sich auch eine große Schlange. Es wird auch gut angenommen.
DOMRADIO.DE: Ministerpräsident Laschet hat ja schon vor einigen Tagen konkret Chorweiler als Beispiel für hohe Inzidenzen und eine mögliche Impfpriorisierung erwähnt. War das bei Ihnen auch Thema?
Oschmann: Unsere Gemeinde erstreckt sich ja über vier Stadtteile, das ist Merkenich, Heimersdorf, Chorweiler und Seeberg. Zu dem besonderen Sozialraum gehören hauptsächlich Chorweiler und Seeberg-Nord. Die Inzidenz-Zahlen sind dort tatsächlich sehr hoch. Wir sind also deutlich über 500, wie lagen am Wochenende noch bei 540. In den anderen Orten ist es ein bisschen geringer. Aber dennoch: Impfen ist schon ein Thema, was im Moment dran ist. Wir haben einen großen Teil der Gemeinde, die Damen und Herren sind sehr betagt, die durften alle schon geimpft werden, sind herzlich froh darum. Und wir hoffen auch, dass nach und nach wirklich jeder ein Angebot bekommt. Und das wird auch wirklich von allen mitgetragen.
DOMRADIO.DE: Also war auch eine mögliche Priorisierung Thema?
Oschmann: Unter den Akteuren, die in den Chorweiler Netzwerken arbeiten, war es auf jeden Fall schon ein Thema seit zwei Wochen, dass es diese Möglichkeit geben muss, dass die angestrebt werden sollte, weil es ganz einfach die beengten Wohnverhältnisse gibt, ob jetzt nur in den Wohnungen selbst oder auch in den Treppenhäusern oder in der Aufzugs-Situation. Man muss immer bedenken, das sind Bauten aus den Siebzigerjahren. Da wurde teilweise noch anders gebaut und die Häuser sind sehr hoch. Selbst als junger Mensch: 15. Stock, sowas gibt man sich nicht jeden Tag über die Treppe. Da ist man auf den Aufzug angewiesen und es stehen nicht so viele Aufzüge zur Verfügung. Dann sind das natürlich die Engpässe.
Diejenigen, die in Chorweiler wohnen und in Arbeit sind, sind meistens in Minijobs, in prekären Arbeitssituationen, die gar nicht ins Homeoffice verlegt werden können. Reinigungsfachkräfte, Mitarbeiter in Fertigungen von Betrieben, Taxifahrer, Menschen auf dem Markt. Die müssen halt zur Arbeit. Die müssen auch zurück. Da passiert jedesmal Begegnung, Bewegung. Wir haben ganz viele Familien mit Kindern, Kindergartenkinder, Schulkinder. Auch die sind in Bewegung. Und daher kommen auch sicherlich diese hohen Inzidenz-Zahlen.
Die Auffassungen, was gegen Corona machbar ist, die sind gar nicht so, wie es sich oftmals vorgestellt wird. Die meisten Bewohnerinnen und Bewohner der Stadthalle machen da wirklich aktiv mit. Mit Maske, mit Abstandhalten, mit allem drumherum.
DOMRADIO.DE: Also das Vorurteil, dass sich Menschen in benachteiligten Stadtteilen einfach nicht an die Regeln halten, stimmt so nicht?
Oschmann: Ja, auch. Es ist nur so, dass die Menschen, die bei uns wohnen, ganz oft in einer prekären Lebenssituation leben. Das heißt, die haben irgendeine Not. Jetzt stellen Sie sich das mal vor: Es ist Sommer, es ist heiß. Sie haben Durst. Sie haben richtigen Durst. Und Sie kommen auf das erlösende Glas Wasser zu. Je näher Sie dem Glas kommen, umso mehr haben Sie natürlich Durst.
Wenn die Menschen, die bei uns sind, eine Chance haben, in diesen Corona-Zeiten, wo ja auch alle Angebote irgendwie anders oder geringer oder schwieriger sind, Hilfe in Aussicht haben, in der Lebensmittel-Ausgabe, in der Beratung oder so, dann ist natürlich der Versuch, die Not zu überwinden und da Hilfe zu bekommen, oftmals schon ein Stückchen größer als die Vernunft, sich dann an alles zu halten, so wie bei allen anderen auch. Nur: Es kommt halt in dieser häufigen Zahl vor. Da ist ganz bestimmt keiner da, der wissentlich dagegen verstößt, sondern es ist halt die Gesamtlage.
DOMRADIO.DE: Kölns Oberbürgermeisterin Reker hat auch einiges an Kritik für die priorisierte Impfung in Chorweiler bekommen. Man würde damit anderen die Impfung wegnehmen. Die Stadt Köln widerspricht dem. Aber die Frage bleibt: Ist es gerechtfertigt, soziale Brennpunkte mit der Impfung bevorzugt zu behandeln?
Oschmann: Ja, auf jeden Fall Chorweiler, Meschenich, Porz und andere Gegenden fallen mir da ein, wo die Situation ähnlich oder vergleichbar ist. Es ist keine neue Erkenntnis. Es war vor Jahren mal ein Thema der Caritas: Armut macht krank. Das ist tatsächlich so, dass die Menschen ganz oft auch mit Vorerkrankung unterwegs sind. Dass die natürlich auch aus der Situation heraus tatsächlich nicht in der Lage sind, so gut für sich zu sorgen, wie es vielleicht wünschenswert wäre. Und insofern sind die Rahmenbedingungen schon schlechter. Das spielt dann natürlich mit hinein.
Auf Dauer müssen alle geimpft werden. Und ich halte es für wirklich sinnvoll, in solchen Ballungsgebieten, in solchen Sozialräumen die Bekämpfung jetzt durchzuziehen und vorzuziehen - und halte es auch für die gesamte Stadt für besser. Wenn ich da irgendwo im Kölner Süden in einer 450-Quadratmeter-Wohnhalle mit viel Garten mein Dasein friste, kann ich dem Ganzen viel entspannter aus dem Weg gehen, als wenn ich in solchen Stadtteilen wohne. Und da bin ich in der Regel ja auch anders versorgt, sowohl im Alltäglichen als auch im Gesundheitlichen. Und insofern möchte ich da den Politikern gerne den Rücken freihalten diesmal und sagen: Nein, dafür muss sich keiner schämen, das ist tatsächlich eine gute Idee.
DOMRADIO.DE: Im sozialen Brennpunkt ist die Zahl der Menschen mit Migrationshintergrund in der Regel auch höher. Es wird zum Beispiel darüber nachgedacht, diese Gemeinden aktiver anzusprechen und zum Impfen aufzufordern. Wie gehen Sie damit um?
Oschmann: Also zum einen sind wir nicht nur interreligiös unterwegs, mit den Orthodoxen, mit den Syrern, den Griechen, mit der muslimischen Gemeinde oder den evangelischen Geschwistern, sondern wir sind auch über die Akteure im Stadtteil miteinander verbunden. Das sind die verschiedensten Anlässe, warum Träger jetzt da sind. Und es ist bei uns eigentlich ein Standardsituation. Denn wenn es was bekannt zu geben gibt, Informationen zu verbreiten, gibt es zum einen einfache Sprache, zum anderen mindestens acht Sprachen. Das ist schon Standard bei uns und da kommen wir auch dran. Ich sage "wir" und damit meine ich halt wir Aktiven in Chorweiler, nicht nur uns als Gemeinde.
Wir haben es ganz oft in der Lebensmittel-Ausgabe, dass wir Informationen weitergeben müssen. Und da habe ich mittlerweile auch einen stabilen Kreis. Wo ich genau weiß, wenn ich da reinschreibe, kriege ich innerhalb von einem halben Tag acht Landessprachen, die bei uns auch vertreten sind, dass wir möglichst gut unterwegs sein können. Sprachlich gibt's immer Probleme. Das ist auch so gerade mit den Ämtern und auch mit dem Jobcenter, weil es diese eine Amtssprache gibt, da ist auch nicht viel Bewegung drin, wo viele Standardsituationen gar nicht funktionieren, weil es halt sprachlich einfach fehlt. Aber wir kennen dieses sprachliche Thema und wir kommen da auch mit zurecht.
Das ist auch das erste, was ich jetzt machen werde. Ich werde mich in der Stadt und mit dem Bürgerzentrum in Verbindung setzen und fragen, ob es schon eine schriftliche Grundlage gibt. Und dann werden wir gucken, wenn es fehlt, das wir die schnellstmöglich übersetzen und Chorweiler damit tapezieren, damit auch jeder die Gelegenheit hat, das auch wirklich verstehen zu können.
Das Gespräch führte Renardo Schlegelmilch.