Mit rund 29.000 Unterstützern im Rücken haben Betroffene von Missbrauch in der Kirche Forderungen an die Politik gestellt. Am Mittwoch überreichten Vertreter eines Bündnisses von Betroffeneninitiativen in Berlin eine an die Religionsbeauftragten aller Bundestagsfraktionen außer der AfD gerichtete Petition samt Liste der Unterzeichner.
Die Betroffenen suchen Unterstützung bei der "Aufarbeitung, Hilfe und Entschädigung für die Opfer sexueller Gewalt in der Kirche", so der Titel ihrer im Februar gestarteten Petition. "Die Aufarbeitung der Verbrechen sexueller Gewalt durch Priester an Kindern und Jugendlichen darf nicht länger nur den Verantwortlichen in der katholischen Kirche überlassen werden", heißt es darin. Nun sei das Parlament gefordert.
Aufarbeitung sei keine "innerkirchliche Angelegenheit"
Vom Bundestag versprechen sich die Initiatoren die Einsetzung einer "Wahrheits- und Gerechtigkeitskommission", die "die Aufarbeitung des jahrzehntelangen systematischen institutionellen Versagens in den Kirchen begleitet". Aufarbeitung sei keine "innerkirchliche Angelegenheit", sondern eine gesamtgesellschaftliche Herausforderung. Und ohne sie könne Prävention nicht gelingen.
Weiter fordern die Betroffenen die Gründung eines von den Kirchen finanzierten, aber unabhängig agierenden "Opfergenesungswerks", das als Vorbild für den Umgang mit Opfergruppen aus anderen Bereichen der Gesellschaft dienen könne. Auch solle das Parlament als "ehrlicher Makler" klären, wie angemessene Entschädigungen aussehen sollten.
Zudem müsse die Vernetzung und Beratung von Betroffenen finanziell unterstützt werden.
Mit ihrer Forderung nach weiterer Aufarbeitung und deren "Begleitung" durch die Politik stößt die Petition unter den Adressaten durchaus auf offene Ohren: Der Religionsbeauftragte der SPD-Fraktion, Lars Castellucci, sagte, es müsse "mehr Verbindlichkeit und auch mehr Tempo" geben. "Die Politik steht in der Verantwortung, diesen Prozess zu begleiten." Bei der Aufarbeitung von Missbrauch seien aber auch andere Bereiche wie Familie, Schule oder der Sport in den Blick zu nehmen.
Castellucci arbeitet derzeit an einem Papier zu den Vor- und Nachteilen der einzelnen Möglichkeiten der politischen "Begleitung".
Zu den denkbaren Varianten gehören neben einer "Wahrheitskommission" auch eine Enquetekommission oder die Stärkung des Missbrauchsbeauftragten und der bisherigen unabhängigen Aufarbeitungskommission, etwa über Berichtspflichten gegenüber dem Bundestag. Was der SPD-Politiker selbst favorisiert, lässt er bislang noch offen.
Gespräche der Religionsbeauftragten geplant
Geplant sind nun weitere Gespräche der Religionsbeauftragten mit dem Ziel, noch vor der Bundestagswahl ein erneutes gemeinsames Treffen mit Betroffenen, dem Missbrauchsbeauftragten Johannes-Wilhelm Rörig und Kirchenvertretern zu organisieren. Dabei sollen dann Optionen für die Zeit nach der Wahl ausgelotet werden. Die Runde war im September schon einmal zusammengekommen.
Der Vorsitzende der katholischen Deutschen Bischofskonferenz, Bischof Georg Bätzing, hatte sich im Frühjahr offen für eine Kommission gezeigt, die Missbrauch in und auch außerhalb der Kirche in den Blick nimmt. Ähnlich hatte sich zuvor auch schon Rörig geäußert.
Der Religionsbeauftragte der Unionsfraktion, Hermann Gröhe (CDU), sagte nun, der fortgesetzten Aufarbeitung in den Kirchen "werden sicherlich weitere Konsequenzen folgen müssen". Es sei dringend geboten, in allen katholischen Bistümern die im Juni vergangenen Jahres unterzeichnete gemeinsame Erklärung zur Aufarbeitung verbindlich umzusetzen. Damals hatten sich die Bischöfe unter anderem dazu verpflichtet, unabhängige Aufarbeitungskommissionen einzusetzen, was nur in wenigen Bistümern bereits umgesetzt wurde. Eine ähnliche Vereinbarung sollte zeitnah auch mit der evangelischen Kirche getroffen werden, forderte Gröhe.
Der Religionsbeauftragte der FDP-Fraktion, Benjamin Strasser, sagte, die jüngsten Vorgänge um das Missbrauchsgutachten im Erzbistum Köln hätten den Eindruck entstehen lassen, "dass es ohne die Mithilfe von außen nicht wirklich vorangeht". Deshalb werde man sich in der nächsten Legislaturperiode damit beschäftigen müssen, "wie auch die Politik Einfluss im Sinne der Opfer nehmen kann".
Die Beauftragte der Linksfraktion, Christine Buchholz, unterstützt indes die Forderungen der Petition. "Konkrete Schritte sind nötig, um Aufklärung zu garantieren", sagte sie. Der Grünen-Politiker Konstantin von Notz meinte: "Sexueller Missbrauch und sexualisierte Gewalt auch und vor allem gegen Kinder bleiben ein großes, gesamtgesellschaftliches Problem, das endlich mit aller politischen Kraft angegangen werden muss." Nötig sei endlich eine umfassende Dunkelfeldstudie.