Pfarrer in Recklinghausen trotzt mit "Gasthaus" der Pandemie

Krise mit "Brennglascharakter"

Einen Lockdown hatten sie im "Gasthaus" in Recklinghausen nicht. Auch auf dem Höhepunkt der Pandemie haben Pfarrer Ludger Ernsting und sein Team die Türen in dem Sozialtreff offengelassen und hatten damit Erfolg.

Ein Mann trägt einen Sack mit Decken / © Janossy Gergely (shutterstock)
Ein Mann trägt einen Sack mit Decken / © Janossy Gergely ( shutterstock )

DOMRADIO.DE: Wie haben Sie es geschafft, dass Sie trotz der Pandemie nicht schließen mussten?

Pfarrer Ludger Ernsting (Pfarrer in Recklinghausen): Zum einen waren viele freiwillige Mitarbeiter bereit, sich dem Risiko zu stellen und haben weiterhin Dienst getan, auch wenn sie zur Risikogruppe gehörten. Einige konnten nicht weiter im Dienst sein oder haben sich selbst dagegen entschieden.

Zudem haben sich bei uns ganz viele junge Menschen gemeldet. Es gab Studierende und Schüler, die durch den Lockdown größere Freiräume hatten und gesagt haben, dass sie gerne mithelfen und anpacken würden.

DOMRADIO.DE: Sie haben die unterschiedlichsten Gesichter von Armut schon vor der Krise gekannt. Inwieweit hat die Pandemie diese Armut denn noch verschärft?

Ernsting: Die Pandemie hat, würde ich sagen, Brennglascharakter im Hinblick auf gesellschaftliche Problematiken, die sonst nicht so ins Auge fallen. Für die Menschen, die auf der Straße ihr Zuhause haben, wurde deren Situation nochmal deutlicher. Für sie selbst hat es zu einem stärkeren Gefühl der Ausgrenzung geführt und zu einer stärkeren psychischen Belastung.

Wenn man nach 19 oder 20 Uhr der Einzige ist, der in sonst vollen Fußgängerzonen plötzlich allein unterwegs ist, dann macht das natürlich auch etwas mit einem. Dann bekomme ich sozusagen widergespiegelt, dass ich außen vor bin und es keine Tür gibt, die ich schützend hinter mir schließen kann.

Das hat natürlich auch eine Auswirkung über so einen Moment der Erfahrung hinaus. Das macht etwas auch mit der Grundbefindlichkeit von Menschen.

DOMRADIO.DE: Wie haben Sie dann versucht, in dieser für die Menschen krassen Ausnahmesituation trotzdem Mut und Zuversicht zu vermitteln und weiter zu unterstützen?

Ernsting: Wir haben die Türen weiterhin offen gehalten. Natürlich schon unter Corona-Schutzmaßnahmen, aber dennoch möglichst niedrigschwellig. Je höher ich die Schwellen setze, desto mehr Menschen bleiben dann auf der Strecke.

Wir haben die Türen ab morgens um halb acht zum Frühstück, zur Begegnung, zu sozialer Hilfe, wenn jemand die für sich in Anspruch nehmen wollte, geöffnet. Wir bieten Beratung und die Begleitung von Vorgängen, die für die Menschen wichtig sind.

Es gab sozusagen keinerlei Einschränkung gegenüber dem sonstigen Ablauf. Lediglich der Abstand war natürlich ein anderer und die sonstigen Hygienemaßnahmen, die dann einzuhalten waren.

DOMRADIO.DE: Was waren denn die größten Herausforderungen in der Situation für Sie, aber auch für alle, die mitgeholfen haben?

Ernsting: Natürlich ist so eine Zeit grundsätzlich anstrengend und die Haut ist dünner, weil die psychische Belastung bei einigen Menschen dazu führt, dass sie bis in die Depressivität rutschen. Diese Belastungen auszuhalten, auch die Belastung durch den jeweils anderen, ist natürlich schon eine Herausforderung.

Wir sind manchmal mit der organisatorischen Herausforderung auch an die Grenzen gestoßen. Wir hatten und haben zurzeit ungefähr 20 Prozent mehr an Menschen, die zu uns kommen, weil andere Einrichtungen geschlossen sind oder einfach hochschwelliger arbeiten.

Das ist natürlich manchmal eine logistische Herausforderung. Wir mussten den Raum vergrößern. Wir haben zum Beispiel ein Zelt zusätzlich auf den Vorplatz gestellt, damit man es in der Winterzeit als Pufferraum mitnutzen konnte.

DOMRADIO.DE: Und Sie haben auch noch Impfungen angeboten?

Ernsting: Ja, natürlich. In Kooperation mit der Drogenhilfe, der Drogenberatung hier in der Stadt und der Diakonie, haben wir sehr darauf gedrängt, dass eine Impfung für Menschen auf der Straße durchgeführt wird. Was nicht so ganz einfach war, muss ich sagen. Da hatte ich mir eigentlich mehr Offenheit und auch mehr Intensität von verschiedenen anderen Ebenen versprochen. Aber wir haben es hinbekommen.

Erfreulich ist einfach: 90 Prozent derjenigen, die bei uns ein- und ausgehen, waren bereit, sich impfen zu lassen, ohne irgendwelchen Druck oder Zwang auszuüben. Das ist eigentlich ein sehr schönes Ergebnis.

Eine sehr positive Erfahrung in dieser Zeit war auch, dass eine große Solidarität aus Teilen der Stadtbevölkerung in dieser Zeit zu erfahren war, weiter mitzuhelfen, also auch materielle Hilfe durch Masken, durch Essensgaben und so vieles mehr zur Verfügung zu stellen.

Das Interview führte Dagmar Peters.


Pfarrer Ernsting und Benedetto / © Hilde Regeniter (DR)
Pfarrer Ernsting und Benedetto / © Hilde Regeniter ( DR )
Quelle:
DR