Caritas im Erzbistum Köln fordert mehr legale Zuwanderung

Ein politisch gesteuertes Elend

Eine Mutter macht sich mit ihren Kindern auf den Weg nach Deutschland zu ihrem Mann – über das Mittelmeer, weil die offiziellen Verfahren schleppend laufen. Sie sterben. Teilweise werde dieses Elend politisch gesteuert, so die Caritas.

Rettungsweste auf einem Felsen / © Songpholt (shutterstock)
Rettungsweste auf einem Felsen / © Songpholt ( shutterstock )

DOMRADIO.DE: Was erfahren Sie in den Beratungsstellen der Caritas von den Geflüchteten, die über das Mittelmeer hierhin gekommen sind?

Irene Porsch (Diözesancaritasverband für das Erzbistum Köln): Wir erfahren erschütternde Geschichten, sowohl in den Beratungsstellen der Caritas als auch durch die Ehrenamtlichen und Engagierten, gerade innerhalb der Aktion "Neue Nachbarn". Da sind Geschichten wie: Eine Frau macht sich mit den Kindern auf den Weg macht, um ihrem Mann nach Deutschland nachzufolgen, weil die Familienzusammenführung so verzögert funktioniert – und sie sterben auf dem Mittelmeer. Das ist nichts Ungewöhnliches.

2021 sind mehr als doppelt so viele Menschen bei dem Versuch, nach Europa zu kommen, auf dem Mittelmeer ums Leben gekommen als 2020. Dann gibt es die Geschichten über die Pushbacks, Geschichten über Gewalttaten in den Lagern in Libyen, massive, unsichere Situationen in den Lagern an Europas Außengrenzen, besonders für Frauen und Kinder. Wir haben da nächtliche Kindesentführungen und Vergewaltigungen.

DOMRADIO.DE: "Pushback" bedeutet...

Porsch: ... dass die Menschen wieder aufs Meer zurückgeschickt werden oder in Bosnien, dass sie auch zurück über die Grenze geschoben werden.

DOMRADIO.DE: Mit welchen Angeboten können Sie in den Caritas-Beratungsstellen und durch die Aktion "Neue Nachbarn" helfen?

Porsch: Zum einen gibt es vielfältige Angebote vom Therapiezentrum für Folteropfer hier in Köln, aber auch von den psychosozialen Beratungsstellen, damit die Menschen sich ihren Traumatisierungen stellen können und das psychisch aufzuarbeiten. Zum anderen gibt es aber auch vielfältige Angebote, bei denen Menschen unterstützt werden, Familienzusammenführungen zu beantragen und umzusetzen. So können sie ihre Familien nachholen, ohne dass sie übers Mittelmeer kommen müssen. Dann ist es aber auch so, dass wir uns auf Caritas-Ebene und über die Deutsche Bischofskonferenz politisch dafür einsetzen, dass es legale Zugangswege nach Deutschland gibt, dass Fluchtursachen bekämpft werden und Pushbacks verhindert werden.

Dann gibt es auch immer wieder den Versuch, Programme für legale Zugangswege auszubauen. So unterstützen wir seitens der Aktion "Neue Nachbarn", aber auch durch die Fachdienste der "Caritas aktiv" das Programm "NEST" zur Privataufname Geflüchteter. Das ist ein Re-Settlement-Programm, das versucht, die Möglichkeit der Zahlen an legalen Einreisemöglichkeiten für Menschen aus Lagern zu erhöhen.

DOMRADIO.DE: Warum sind solche politischen Aktionen wie der heutige Aktionstag Seenotrettung im Mittelmeer wichtig?

Porsch: Zum einen, damit wir die Menschen nicht vergessen, die an der Festung Europa oft genug ihr Leben lassen oder mit ganz schlimmen Erfahrungen hier ankommen. Sie sind wichtig, damit wir auch einen Systemwechsel bekommen. Im Moment haben wir ein System, das sehr stark darauf konzentriert ist, Menschen den Zugang zu verwehren – mit faulen politischen Deals wie dem Flüchtlingsabkommen mit der Türkei. Das Elend an Europas Außengrenzen lassen wir schon seit Jahren zu. Es wird teilweise sogar politisch gesteuert.

Es braucht Aktionen wie die Aktion Seebrücke, damit man sieht: Wir lassen Menschen an Europas Grenzen ums Leben kommen, die vielfältige Gründe zur Flucht haben. Nehmen wir zum Beispiel die Flucht aufgrund von Klimaveränderungen. Wie können es ja selber im Moment in Deutschland erleben, was für Veränderungen die Klimakrise mit sich bringt und was für Katastrophen sie mit sich bringt. Wir haben – trotz der erschütternden Erfahrungen der letzten Woche – eine Hilfestruktur in Deutschland. Die gibt es in vielen Ländern gar nicht. Da wird den Menschen ihre Existenz genommen. Natürlich machen sie sich auf den Weg.

Das Interview führte Martin Mölder.


Quelle:
DR
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