Ein Jahr nach dem Krieg um Bergkarabach

War es das wert?

Sonst kaum beachtet, tauchte 2020 Bergkarabach in der Berichterstattung auf - Zankapfel zwischen Armenien und Aserbaidschan. Ihre Ansprüche auf die Region lösten sie mit Krieg. Tausende Menschen flohen. Wie geht es ihnen heute? 

Caritas International hilft den Menschen in Bergkarabach (CI)
Caritas International hilft den Menschen in Bergkarabach / ( CI )

DOMRADIO.DE: In diesen Tagen jähren sich die ersten Kampfhandlungen. Am 9. November 2020 kommt es zum Waffenstillstandsabkommen zwischen Armenien und Aserbaidschan, arrangiert von Russland. Wie ist die aktuelle Lage in der Region?

Susann Reiner (Referentin für Armenien und Aserbaidschan bei Caritas International): Aktuell ist die Lage vergleichsweise ruhig im Gegensatz zu damals. Es war allerdings so, dass es seitdem Waffenstillstand immer wieder zu Konfliktsituationen kam. Es gibt eine neu gezogene Grenze zwischen Armenien und Aserbaidschan, die früher der Korridor zu Bergkarabach war. Das sind Regionen, die jetzt auch von Aserbaidschan wieder eingenommen worden sind.

Bei der Grenzziehung kam es zu Konflikten, weil beide Seiten mit unterschiedlichen Karten gearbeitet hatten. Aserbaidschan ist auch zeitweise auf armenisches Territorium vorgerückt und war nur noch schwer zu bewegen, sich von dort wieder fortzubewegen. Teilweise ist es so, dass es immer noch besetzt ist. Auch an der Grenze gab es mehrfach Konfliktsituationen mit Verletzten und wohl auch einem Toten.

Familien, die aus Bergkarabach geflüchtet sind, versuchen, in Armenien Fuß zu fassen und dort ihren Lebensunterhalt zu gewinnen.

DOMRADIO.DE: Haben die beiden Staatsführungen von Armenien und Aserbaidschan die ehrliche Frage aufgeworfen, ob es das wert war, dieser Krieg?

Reiner: Das ist eine ganz große Frage, die in Armenien gestellt worden ist. Darum gab es auch vorgezogene Neuwahlen im Juli dieses Jahres. Damals war auch lange Zeit fraglich, ob der armenische Premierminister Nikol Paschinjan es schaffen würde, wieder ins Amt zu kommen. Am Ende hat er es geschafft. Die Nationalisten haben dagegen die Frage gestellt, ob man zu früh aufgeben hatte.

DOMRADIO.DE: Rund 100.000 Menschen mussten fliehen wegen diesem Krieg. Konnten sie inzwischen wieder zurück in ihre Heimat gehen?

Reiner: Ja, ein relativ großer Teil konnte zurückkehren. Man geht auch davon aus, dass bis Anfang kommenden Jahres mindestens über 50.000 Menschen zurückgekehrt sein werden. Man geht aber auch davon aus, dass ungefähr 35.000 Menschen in Armenien bleiben werden. Viele davon befinden sich in der Grenzregion zu Aserbaidschan.

DOMRADIO.DE: Dort haben sie ein neues Zuhause gefunden?

Reiner: Sie sind auf dem Weg dahin. Sehr viele sind zu Familienangehörigen geflüchtet, die auf der armenischen Seite leben. Häufig ist das für die Familien zu einer großen Belastung geworden. Denn man möchte selbstverständlich die Familienmitglieder von der anderen Seite aufnehmen. Aber wenn sie jetzt eine achtköpfige Familie, oftmals drei Generationen, bei sich aufnehmen, führt das natürlich dazu, dass dafür die Ressourcen oftmals nicht ausreichen. Gerade die hygienischen Bedingungen sind in den Dörfern häufig sehr schlecht. Diese Überlastungssituation führt dazu, dass es sich weiter verschlechtert.

DOMRADIO.DE: Seit Mai kommt es trotz Waffenstillstand immer wieder mal zu Beschüssen auch an der Grenze zwischen Armenien und Aserbaidschan. Könnte jetzt dieser Konflikt wieder zu einem Krieg ausarten?

Reiner: Grundsätzlich sieht es im Moment eher positiv aus, da die Türkei zu einer Stabilität in der Region beitragen will. Es gab auch im Sommer erste Gespräche zwischen Türkei und Armenien, bei denen es in erster Linie um wirtschaftliche Dinge geht. Es wurde auch diskutiert, eventuell die geschlossene Grenze zwischen Armenien und der Türkei zu öffnen. Eine Kooperation zwischen Armenien und Türkei würde zu einer Stabilisierung beitragen, da es wiederum das Verhältnis zu Aserbaidschan verändern könnte.

DOMRADIO.DE: Die Caritas hatte im Oktober letzten Jahres 50.000 Euro Nothilfe in die Region geschickt. Wie haben Sie den Menschen vor Ort helfen können?

Reiner: Wir hatten zum einen diese Nothilfe, mit der in erster Linie Familien, die geflüchtet waren, mit Lebensmitteln, Kleidung und dem Nötigsten für den Alltag unterstützt wurden - und auch deren Gastfamilien. Das war das eine. Aber es gab in der Zwischenzeit auch ein neues Projekt, das mit 250.000 Euro ausgestattet ist. Aus dem Caritas-Netzwerk sind noch weitere Mittel für Partner in Armenien zur Verfügung gestellt worden.

Es geht darum, die Menschen dabei zu unterstützen, dass sie wieder in ihren Häusern leben können, diese so weit zu renovieren, dass zumindest die Sanitärbereiche eine größere Zahl von Personen aufnehmen können. Das andere ist, dass es eine Unterstützung zur Existenzsicherung gibt, um Grundbedürfnisse zu decken.

Sehr viele der Menschen, die aus Bergkarabach nach Armenien kamen, waren Bauern. Sie haben kein Land mehr. Mit den Hilfsgeldern können sie wieder Land pachten oder Land finden, das sich für Landwirtschaft und Viehhaltung eignet, oder Werkzeuge für den landwirtschaftlichen Betrieb anschaffen. Es wird auch Menschen im handwerklichen Bereich geholfen. Das sind die wichtigen Bereiche für den Wiederaufbau.

Das Interiew führte Florian Helbig. 

Hier spenden für die Nothilfe in Bergkarabach.


Quelle:
DR