Die armenisch-apostolische Kirche nimmt das Ende der Kampfhandlungen um die Südkaukasus-Region Berg-Karabach und das entsprechende Abkommen mit zwiespältigen Gefühlen auf. Der Bischof der deutschen Diözese, Serovpe Isakhanyan, sagte der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA) in Köln (Dienstag): "Die Waffenruhe ist sehr zu begrüßen - der Inhalt der Vereinbarung ist aber besorgniserregend."
Keine neuen Gefechte
Russlands Präsident Wladimir Putin, Armeniens Ministerpräsident Nikol Paschinjan und Aserbaidschans Präsident Ilham Alijew hatten am Vortag einen Neun-Punkte-Plan unterzeichnet, der den Konflikt um Berg-Karabach langfristig lösen soll. Seit der Nacht zum Dienstag meldeten die Kriegsparteien Aserbaidschan und Armenien keine neuen Gefechte mehr. In der umkämpften Region trafen russische Soldaten ein, die die Einhaltung des Waffenstillstands nach mehr als sechs Wochen Kampfhandlungen überwachen sollen.
Isakhanyan begrüßte, dass keine weiteren Zivilisten und Soldaten getötet werden. Er kritisierte aber, dass das Abkommen den Status von Berg-Karabach offenlasse. Bislang wird die Region von Armeniern bewohnt und kontrolliert, gehört völkerrechtlich aber zu Aserbaidschan. Der Bischof bedauerte, dass Regierungschef Paschinjan Teile von Berg-Karabach aufgegeben habe. Es sei fraglich, ob das armenische Parlament dem Abkommen zustimme.
"Armenien hatte kein Interesse an einem Krieg"
Laut dem Bischof steht die "physische Existenz von 150.000 Menschen" in der Region auf dem Spiel. Zudem gehe es um den Schutz von Kirchen und alten religiösen Denkmälern in den Gebieten, die von aserbaidschanischen Truppen eingenommen worden seien. Diese Gebiete sollen der Vereinbarung zufolge von nun an unter der Kontrolle von Aserbaidschan stehen.
"Armenien hatte kein Interesse an einem Krieg", so Isakhanyan. Die Kirche habe seit Beginn der Kampfhandlungen Ende September zu Friedensgebeten aufgerufen, aber zugleich den "Verteidigungskampf" unterstützt und gefallene armenische Soldaten als "Märtyrer für die Heimat" gewürdigt.
Hoffnung auf Hilfe der Bundesregierung
Enttäuscht zeigte sich Isakhanyan von der Bundesregierung. Er habe sich von Deutschland eine "aktivere Rolle" erhofft, zumal es die EU-Ratspräsidentschaft innehabe und dem Weltsicherheitsrat angehöre. Berlin solle "Kriegsverbrechen" ebenso verurteilen wie "die ganz große, negative Rolle der Türkei in diesem Krieg".
Aserbaidschan habe Berg-Karabach mit Streu- und Phosphorbomben angegriffen. Die Türkei habe Aserbaidschan militärisch unterstützt und "2.000 dschihadistische Söldner aus Syrien, Pakistan, Afghanistan und Libyen" rekrutiert. - Die Türkei und Aserbaidschan haben diese Vorwürfe stets zurückgewiesen. Deutschen Firmen warf der Bischof zudem vor, Komponenten für türkische und israelische Drohnen geliefert zu haben, die das Militär in Baku im Krieg eingesetzt habe.
Isakhanyan rief die Bundesregierung zu Unterstützung von Hilfstransporten nach Berg-Karabach auf. Seine Kirche habe Tonnen von Winterkleidung, Decken, Medikamenten und anderen Hilfsgütern gesammelt - sei aber nicht in der Lage, sie schnell in die Region zu liefern. Bisherige Anfragen unter anderem beim Auswärtigen Amt seien bislang erfolglos geblieben.
Proteste in Armenien
Aus Protest gegen den Neun-Punkte-Plan stürmten in der armenischen Hauptstadt Jerewan aufgebrachte Einwohner Regierungsgebäude und schlugen den Parlamentspräsidenten Ararat Mirsojan zusammen; der Politiker musste im Krankenhaus behandelt werden. Viele Armenier sehen in dem Abkommen eine ungerechte Kapitulation und werfen Regierungschef Paschinjan einen Alleingang vor.
Der armenisch-apostolische Katholikos-Patriarch Karekin II. rief in einer Videobotschaft zu Ruhe auf. Es brauche Solidarität und Stabilität, um Lösungen für Berg-Karabach, Armenien und "das sichere Leben unseres Volkes" zu finden. Zugleich verlangte das einflussreiche Kirchenoberhaupt mehr Informationen: "Wir fordern die Regierungen von Armenien und Berg-Karabach auf, unserem Volk in unserem Land, in Berg-Karabach und in der Diaspora unverzüglich die Entscheidungen und ihre Auswirkungen auf die Zukunft unserer Heimat genau und umfassend zu erklären."