Vor 50 Jahren veröffentlichte John Lennon den Welthit "Imagine"

Bekenntnis zu Frieden und Atheismus?

Weltfrieden und Einigkeit. Utopien für eine perfekte Welt, die John Lennon in seinem Lied "Imagine" ausdrückte. Eigentlich auch urchristliche Vorstellungen. Mit Blick auf Religion ist Lennons Welthit problematisch.

Autor/in:
Johannes Senk
Der britische Musiker John Lennon und seine Frau, die japanische Künstlerin Yoko Ono im Juni 1968 / © Allan Randu (dpa)
Der britische Musiker John Lennon und seine Frau, die japanische Künstlerin Yoko Ono im Juni 1968 / © Allan Randu ( dpa )

Naturverbundenheit, Kapitalismuskritik und allem voran der Wunsch nach Frieden. Es waren grundlegende gesellschaftliche Änderungen, die die große Friedensbewegung der 68er einforderte. Die Ideale der Hippies sind heute wieder so greifbar wie ehedem.

Eine der wichtigsten Hinterlassenschaften der Bewegung war ihre Musik; wenn die Hippies eines hatten, dann waren es unzählige Lieder. Wohl kein anderes fasste dabei ihre Botschaft so allumfassend und nachhaltig auf wie John Lennons "Imagine". Es geht darin um Utopien: Stellt euch vor, wie schön einig die Welt sein könnte, wenn wir alle denselben Traum vom Frieden träumen.

Als Lennon den Titel 1971 veröffentlichte, lag gerade der erste große Meilenstein seiner Karriere hinter ihm: Im Vorjahr hatten sich die Beatles aufgelöst - diese britische Jahrhundertband, die Lennon zusammen mit Paul McCartney und George Harrison Anfang der 60er Jahre gegründet hatte.

"Hymne des Atheismus"?

Inspiriert von seiner Frau Yoko Ono vertont Lennon nun seine Vision einer besseren Welt. Das sanfte Piano-Riff, der ruhige Gesang und die melancholische Note haben dafür gesorgt, dass der Titel auch 50 Jahre nach seinem Erscheinen nur wenig von seiner Popularität als Friedenshymne verloren hat.

Dabei ist leicht zu übersehen, wie radikal diese erträumte Welt ausfällt - insbesondere gegenüber der Religion. Konkret verlangt das lyrische Ich nämlich vom Zuhörer, sich eine Welt ohne Religion vorzustellen; ohne Himmel, ohne Hölle. Die Nicht-Existenz dieser Dinge wird in "Imagine" faktisch zur Bedingung, um den ersehnten Frieden und den Zusammenschluss der Menschheit zu erreichen.

So wurde das Lied auch als "Hymne des Atheismus" gedeutet. Es passte zum bekannten Religionskritiker Lennon, der einst in einem legendären Interview behauptete, die Beatles - damals 1966 in der Hochzeit ihres Schaffens - seien "populärer als Jesus".

Schallplatten wurden öffentlich vernichtet

Ironischerweise waren es gerade die Reaktionen auf diese Äußerung, die die antireligiösen Tendenzen in "Imagine" mitbefeuert haben könnten: Konservative Christen liefen Sturm, nachdem sich das Lennon-Zitat verbreitete. Die Band wurde beleidigt und bedroht, ihre Schallplatten öffentlich vernichtet, und manche Radiosender nahmen auf Druck oder aus Überzeugung Beatles-Lieder aus dem Programm.

Lennon, der sich schon lange zuvor von der Anglikanischen Kirche losgesagt hatte, fühlte sich in der Folge häufiger dazu gedrängt, sein Verhältnis zu Glaube und Religion öffentlich zu klären. Seine berüchtigte Aussage relativierte er stark, gab an, dass sie nicht abwertend gegenüber dem Christentum, sondern kritisch gegenüber der Gesellschaft zu verstehen sei.

Ebenso erklärte der Musiker in einem späteren Interview, dass seine Abneigung sich eher gegen die institutionalisierte und dogmatische Kirche richtete, nicht gegen die Religion als solches. Jesus Christus, seine Botschaft und auch Gott interessierten ihn, der sich selbst als Agnostiker bezeichnete.

Beatles nahmen Lehrstunden in Meditation 

Frei von religiöser Spiritualität war Lennon tatsächlich nie. Am deutlichsten drückte sich dies während der "indischen" Phase der Beatles aus, zum Ende der 1960er Jahre. In dieser Zeit beschäftigten sich die Bandmitglieder ausführlich mit Hinduismus und Wiedergeburt. Das ging so weit, dass die "Pilzköpfe" 1968 gemeinsam nach Indien reisten und sich Lehrstunden in Meditation geben ließen. Diese starke Bindung an die indische Kultur blieb nach der Auflösung der Band jedoch lediglich beim Gitarristen Harrison bestehen.

Vor diesem Hintergrund scheint es besonders seltsam, dass Lennon der Religion in "Imagine" diesen Seitenhieb verpasst, zumal er in der Botschaft - geschweige denn seiner optischen Erscheinung zu dieser Zeit - durchaus Parallelen zu Jesus zeigt.

Wegen verletzter religiöser Gefühle erschossen 

Frieden, Nächstenliebe und das brüderliche Teilen der "Imagine"-Welt sind die Grundpfeiler der Evangelien. Doch muss auch die Frage legitim sein, ob der Sohn Gottes einverstanden damit wäre, wie die Menschen über die Jahre mit der Religion verfahren sind.

Insofern sollte der anti-religiöse Charakter des Songs nicht überbetont werden. Vielerorts hat die Kirche ihren Frieden mit dem Lied geschlossen - mitunter wird es sogar in Gotteshäusern und bei kirchlichen Veranstaltungen gespielt. Denn letztlich sind die Vorstellung und der Traum von Frieden ja auch das, wonach das Christentum strebt.

Lennon selbst sollte diese Aussöhnung nicht mehr erleben. Am 8. Dezember 1980 wird er von Mark David Chapman in New York erschossen. Als Begründung für seine Tat nannte der Attentäter unter anderem seine religiösen Gefühle, die er durch den Ex-Beatle verletzt gesehen habe.


Quelle:
KNA