Sterbebegleiterin und Autorin über Tod und Abschied

"Ich sehe den Tod als ein großes Abenteuer"

Johanna Klug engagiert sich seit vielen Jahren ehrenamtlich im Hospiz- und Palliativbereich. In ihrem kürzlich erschienenen Buch "Mehr vom Leben" schildert die freie Autorin, was sie die Begleitung Sterbender fürs Leben gelehrt hat.

Autor/in:
Michael Althaus
Sterbebegleitung / © Whyframe (shutterstock)

Katholische Nachrichtenagentur (KNA): Frau Klug, was war Ihre erste Begegnung mit dem Tod?

Johanna Klug (Sterbe- und Trauerbegleiterin und Autorin): Meine erste bewusste Konfrontation mit dem Tod hatte ich, als ich im Alter von 16 Jahren neben der Schule im Altenheim arbeitete. Dort wurde ein noch gar nicht so alter Mann Mitte 50 betreut, der eine schwere Alkohol- und Drogenvergangenheit hatte. Im Frühdienst wollte ich ihm das Frühstück auf sein Zimmer bringen. Ich habe das Tablett abgestellt, mich umgedreht, und dann eine Blutlache auf dem Boden gesehen. Da wusste ich schon, dass irgendetwas Schreckliches passiert war. Der Vorhang, der das Badezimmer vom Rest des Zimmers abtrennte, war ausgebeult. Ich habe ihn ganz vorsichtig zurückgezogen, und da lag dieser Mann. Es hieß dann später, er hatte einen Schlaganfall auf der Toilette, ist gestürzt, hat sich den Kopf gestoßen und war tot. Das war krass für eine 16-Jährige und kam sehr unerwartet.

KNA: Gab dieses Ereignis den Ausschlag, dass Sie sich in der Begleitung Sterbender engagiert haben?

Klug: Das kam erst später. Aber wenn ich jetzt zurückblicke, habe ich gewissermaßen auch damals schon Sterbende begleitet - ohne dass mir das bewusst war. Als ich mit 18 angefangen habe zu studieren, ist das Thema erst mal wieder in die Ferne gerückt. Im Laufe meines Studiums hatte ich dann plötzlich den Gedanken, dass ich sterbende Menschen begleiten möchte. Ich weiß bis heute nicht, woher dieser Gedanke kam. Aber es war für mich klar, dass ich Menschen am Ende ihres Lebens glückliche Momente schenken will. Zufällig arbeitete meine Nachbarin als Seelsorgerin auf der Palliativstation und hat mich mitgenommen. Dort wurde ich mit offenen Armen empfangen.

KNA: Was fasziniert Sie an dieser Arbeit?

Klug: Auf eine gewisse Art und Weise fasziniert der Tod uns alle, weil er die einzige Unvermeidbarkeit des Lebens ist. Für die einen ist er mehr angstbehaftet. Ich sehe den Tod als ein großes Abenteuer. Genauso wenig wie wir wissen, was das Leben für uns bereithält, wissen wir es beim Tod. Die Begegnungen mit den Sterbenden sind für mich sehr intensiv und haben mir gezeigt, dass man keine Angst zu haben braucht.

KNA: Worüber reden Sie mit den Menschen?

Klug: Das kommt immer ganz drauf an. So individuell, wie wir alle im Leben sind, so individuell sind wir auch im Sterben. Manchmal komme ich in die Zimmer, und die Enkelkinder und die Schwiegertochter sind da. Dann liegt der Fokus natürlich eher auf der Familie. Bei anderen geht es eher darum, was sie am liebsten noch essen möchten. Wenn ich beispielsweise mit Schokoküssen auf die Palli [Anmerkung d. Red.: gemeint ist Palliativstation] komme, ist das für viele etwas ganz Besonderes.

KNA: Wie hat Sie die Begleitung Sterbender verändert?

Klug: Ich habe mich selbst dadurch viel besser kennengelernt und kann meine Emotionen und Gefühle viel besser einordnen. Aber ich engagiere mich nicht, um in erster Linie selbst davon zu profitieren, sondern es ist ein gegenseitiges Geben und Nehmen. Je länger ich mich engagiere, desto mehr merke ich, wie viel Vertrauen in diesen kurzen Begegnungen steckt und wie viel echtes, unverfälschtes Leben. An dieser Schnittstelle zwischen Leben und Tod zu sein, diese Grenzerfahrung zu haben, hat mir gezeigt, um was es im Leben wirklich geht.

KNA: Wie halten Sie es aus, so vertraute Erfahrungen mit Menschen zu machen, von denen sie dann schon bald wieder Abschied nehmen müssen?

Klug: Genau daraus schöpfe ich Kraft. Ich hatte nie eine Supervision oder Menschen, mit denen ich über meine Erfahrungen gesprochen habe. Ich habe das immer mit mir selbst ausgemacht. Das war für mich gut. Bei anderen Menschen mag das anders sein. Die sollten dann schauen, dass sie gut aufgefangen werden. Bei der Begleitung von Sterbenden gibt es schwere, traurige und wütende Momente, aber auch schöne. Für mich wiegt das eine das andere auf.

KNA: Aber das Abschiednehmen fällt Ihnen schon schwer?

Klug: Das kommt immer drauf an. Ich erinnere mich noch sehr gut an eine Begegnung mit Anna. Die habe ich kennengelernt, als ich erst zwei Wochen auf der Palli war. Anna war Anfang 30 und hatte einen sehr aggressiven Tumor im Gesicht. Wir haben uns bei jedem Treffen voneinander verabschiedet, weil wir immer dachten, es sei das letzte Mal. Und trotzdem war es für mich jedes Mal gut. Irgendwann war sie wirklich in der finalen Phase, in der sie nicht mehr ansprechbar war. Ich saß dann bei ihr und habe impulsartig angefangen zu weinen. Ich bin an ihr Bett getreten und habe meine Hände auf ihre gelegt, und dann hat sie sie zu ihrem Herzen gezogen. In diesem Moment passierte so viel. Der ganze Raum war gefüllt mit Liebe. Ab da war das einfach alles okay für mich.

KNA: Sie kritisieren in Ihrem Buch, dass die Themen Trauer, Tod und Sterben in unserer Gesellschaft viel zu oft tabuisiert werden. Wie kann es gelingen, sie mehr in den Mittelpunkt zu rücken?

Klug: Durch die Hospiz- und Palliativbewegung ist bereits viel passiert. Aber ich würde mir wünschen, dass wir noch offener über diese Themen reden. Wenn ich anderen von meiner Arbeit erzähle, habe ich immer das Gefühl, dass ich einen Raum öffne. Die Menschen fangen dann an, über ihre Erfahrungen mit dem Tod zu reden. Es braucht sichere Räume, in denen man über das Thema sprechen kann. Wichtig ist auch, auf eine lebensbejahende Weise über den Tod zu reden. Ich finde es ganz schlimm, wenn Leute über den Tod reden und ganz leise werden - so als ob man das bloß nicht zu laut sagen dürfe.

KNA: Wie positionieren Sie sich in der Debatte um den assistierten Suizid? Hat der Mensch ein Recht auf das Sterben?

Klug: Ich finde, das ist eine ganz individuelle Sache. Man muss immer schauen, wie die Geschichte des jeweiligen Menschen ist. Ist der Wunsch zu sterben ein Hilfeschrei, weil er so einsam ist? Oder ist er durch eine schwere körperliche oder psychische Erkrankung bedingt? Diese Differenzierung erfordert sehr viel Aufwand. Am Ende sollte die Entscheidung gut durchdacht sein. Grundsätzlich denke ich: Es ist mein Leben, dass ich autonom leben darf - und dann möchte ich auch über mein Sterben entscheiden.

KNA: Haben Sie sich schon Gedanken über Ihren eigene Bestattung gemacht?

Klug: Ja. Ich würde am liebsten kompostiert werden. Das finde ich die nachhaltigste und für mich beruhigendste Variante. Ich hoffe, dass das irgendwann auch in Deutschland möglich ist. In den USA wird das schon praktiziert. Ich finde den Gedanken sehr schön, dass man zu dem wird, aus dem man eigentlich entstanden ist. Unser Körper besteht ja zu einem großen Teil aus Wasser. Man geht also wieder in den Kreislauf des Lebens ein.


Quelle:
KNA
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