Eine Würdigung des Bußgottesdienstes im Kölner Dom

"Genau den richtigen Ton gefunden"

Im Kölner Dom ist am Donnerstag in einem Bußgottesdienst an das Versagen des Erzbistums im Umgang mit sexualisierter Gewalt erinnert worden. Ingo Brüggenjürgen hat sich diesen Gottesdienst angeschaut und ordnet ihn ein.

Die Spitzen des Kölner Doms / © dimm3d (shutterstock)

DOMRADIO.DE: Wie hast Du diesen Gottesdienst erlebt? 

Ingo Brüggenjürgen (Chefredakteur DOMRADIO.DE): Insgesamt als eine sehr würdige Form, eine sehr um Ehrlichkeit bemühte Form eines Gottesdienstes, die ich erlebt habe. Wir haben heute den "Europäischer Tag zum Schutz von Kindern vor sexueller Ausbeutung und sexueller Gewalt". Der Papst hat allen Katholiken nahegelegt, diesen Tag besonders zu nutzen, um auch das Versagen und die Schuld der kirchlich Verantwortlichen und das durch den kirchlichen Missbrauch verursachte Leid zur Sprache zu bringen. Das ist in Köln - glaube ich - heute sehr gut gelungen. Man merkte sehr deutlich, worum es geht und insofern mein Fazit: Ein sehr gelungener Gottesdienst. 

DOMRADIO.DE: Worum ging es denn den Verantwortlichen bei diesem Gottesdienst in erster Linie? Bei einem Bußgottesdienst fragt man sich natürlich, wer für wen büßt. Und das wurde ja auch im Vorfeld ziemlich deutlich in Frage gestellt. 

Brüggenjürgen: Die Kritik war berechtigt und man hat sie sich im Erzbistum auch zu Herzen genommen. Ich glaube, wenn man den Gottesdienst noch mal neu hätte planen können, hätte man vielleicht auch den Begriff Bußgottesdienst gar nicht so gewählt. Denn es ging im Grunde um Versöhnung.

Es ging darum - das hat Weihbischof Steinhäuser als Apostolischer Administrator in seiner Ansprache noch einmal deutlich gemacht - zu besinnen, bekennen, bereuen und bessern. Es geht nicht um floskelartige Entschuldigung nach dem Motto: Wir sagen jetzt mal, das tut uns alles leid.

Nein, das war nicht im Mittelpunkt, sondern es war deutlich getragen, den Betroffenen hier auch Raum zu geben, die Betroffenen zu Wort kommen zu lassen und selber das Versagen und die Schuld der Kirche deutlich zu bekennen und vor Gott zu tragen.

DOMRADIO.DE: Es war ja ein Gottesdienst, zu dem nur geladene Menschen in den Dom kommen durften. Hat es in der Liturgie entsprechende Symbole oder Zeichen gegeben, die diese Intention des Bußgottesdienstes unterstrichen haben? 

Brüggenjürgen: Auf jeden Fall. Das Ganze war eine sehr zurückhaltende Liturgie und die wenigen Akteure waren ganz in Schwarz gekleidet, dunkle Chorkleidung. Auch Weihbischof Steinhäuser hatte nur eine violette Stola der Umkehr und der Buße um. Und der ganze Chorraum war besonders gestaltet.

Auf der ganzen linken Seite waren großflächig Kerzen für die vielen Opfer aufgestellt, in der Mitte eine große Kerze und ein großes Kreuz. Und wenn so viele Kerzen brennen, dann wird schon deutlich, dass es da viele Opfer gab. Die wurden dann noch alle - jedenfalls die es wollten - namentlich mit ihren Vornamen vorgelesen.

Das war wirklich sehr beeindruckend, das hörte überhaupt nicht mehr auf. Danach sagte Weihbischof Steinhäuser noch mal, dass das ja gar nicht alle waren. Wir zünden noch eine große Kerze an für all diejenigen, die unbekannt sind, die Suizid begangen haben, viele, wo wir es gar nicht wissen.

Und insofern waren das starke Zeichen in der Liturgie, eben auch dadurch, dass die Betroffenen selbst zu Wort kamen. Es wurde zum Beispiel auch ein Liedtext von Peter Bringmann-Henselder vorgetragen, der selber Sprecher des Betroffenenbeirates in Köln ist. 

DOMRADIO.DE: Es ist ja jetzt nach dem Antritt auch der große Auftritt für den Apostolischen Administrator, für Rolf Steinhäuser gewesen. Wie hast Du seine Person so erlebt? 

Brüggenjürgen: Er hat sich selber mit seiner ganzen Person in dieses Amt, in diesen Gottesdienst reingebracht. Wir wissen, er hat sich nicht um dieses Amt des Apostolischen Administrators beworben. Er muss jetzt diese Last, dieses Amt tragen.  

In diesem Gottesdienst hat er das sehr glaubwürdig, sehr, sehr eindrücklich und deutlich gemacht. Da steht er mit seiner Person hinter und es geht ihm wirklich um die nötige Versöhung. Er hat genau den richtigen Ton getroffen – und der macht bekanntlich die Musik.

DOMRADIO.DE: Es hat vor dem Kölner Dom auch Protest gegeben. Die Protestbewegung Maria 2.0 hatte eine Demo unter dem Titel "Walk of Shame" angemeldet. Wie groß waren diese Proteste? 

Brüggenjürgen: Diese Proteste waren nicht so, dass die ganze Domplatte wegen Überfüllung geschlossen werden müsste. Aber die Leute, die dort waren, hatten was zu sagen. Und ich fand es gut, dass die gut 30 Protestierenden sehr deutlich auch die Stimme von anderen Betroffenen eingebracht haben.

Auch der Apostolische Administrator hat, bevor er im Gottesdienst war, diesen Protestierenden zugehört. Denn wir wissen, dass es bei diesem Thema die Gemeinden entzweit – aber es zerreißt  eben auch die Betroffenen unter sich. Und viele von ihnen konnten mit diesem Gottesdienst nichts anfangen.

Deshalb haben sie sich im Vorfeld deutlich geäußert und gesagt: Es kann nicht einfach so zur Tagesordnung übergegangen werden im Erzbistum Köln. Es muss schonungslos aufgeklärt werden und die Betroffenen - sprich die Verantwortlichen - müssen eben auch Konsequenzen ziehen.

In meinen Augen gut und richtig und wichtig, dass auch diese Protestierenden vor Ort die Stimme der Betroffenen eingebracht haben. 

Das Interview führte Uta Vorbrodt.


Ingo Brüggenjürgen / © Harald Oppitz (KNA)
Ingo Brüggenjürgen / © Harald Oppitz ( KNA )
Quelle:
DR
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