DOMRADIO.DE: Es ist ein Meilenstein der Medizin: US-Wissenschaftlern ist es gelungen, ein Schweineherz in einen Menschen zu verpflanzen. Der Körper darf es jetzt nicht abstoßen. Für den Patienten, der natürlich zugestimmt hat, ist das erstmal super. Halten Sie es für richtig, man muss schon fast sagen diese "Experimente" an Menschen durchzuführen?
Andreas Lob-Hüdepohl (Mitglied im Deutschen Ethikrat und Professor für Theologische Ethik an der Katholischen Hochschule Berlin): Ja, im Grundsatz ist da nichts gegen einzuwenden. Wir haben es ja hier mit einem sogenannten Heilversuch zu tun. Das heißt, ein noch nicht ausführlich erprobtes Verfahren wird als letztes Mittel zur Rettung eines Lebens eingesetzt. Die Aufklärung war ja umfassend mit einem hohen Risiko verbunden. Der Patient hat im Wissen um dieses hohe Risiko, im Wissen darum, dass es keine andere Möglichkeit gibt, sein Leben zu retten, eingewilligt.
Die ist zwar auch beachtlich, aber es ist ja auch nicht tollkühn, denn vorausgegangen sind ja viele Testungen und Versuche, ob ein solches Schweineherz genetisch so verändert werden kann, beziehungsweise das Schwein so genetisch verändert werden kann, dass es nicht zu diesen Abstoßungsreaktionen kommt. Das ist offensichtlich gelungen. Insofern sind solche Versuche, solche Heilversuche, eindeutig legitim. Das muss man im Einzelfall natürlich immer noch überprüfen, aber soweit ich das hier von Deutschland beurteilen kann, ist das völlig akzeptabel.
DOMRADIO.DE: Das eingesetzte Schweineherz ist ja eine Weltneuheit. Es hat schon ähnliche Eingriffe gegeben. Herzklappen von Schweinen wurden Menschen zum Beispiel schon eingesetzt. Wo würden Sie bei derartigen Eingriffen die Grenze des ethisch Vertretbaren sehen?
Lob-Hüdepohl: Wenn durch eine "bloße" – das ist schon hochaufwendig – Transplantation eines Organs etwas Fremdes in meinen Körper kommt, auch von einer anderen lebenden Gattung, ist das zunächst einmal unproblematisch, weil ja damit mein Menschsein nicht verändert wird. Es würde dort die Grenze überschreiten, wenn es zu einer echten chimären Bildung käme, also wenn beispielsweise in menschlichen Zellen die Kerne von tierischen Leben eingesetzt werden würden oder dergleichen.
Wenn da die Keimbahn im Menschen in einer Weise verändert werden würde und es durch nichtgattungs-entsprechendes Material tatsächlich zu einem neuen Wesen käme, da wäre eindeutig die Grenze des moralisch Legitimen erreicht – nein, nicht nur erreicht, sondern überschritten. Das wäre abzulehnen. Aber da sind wir weit von entfernt, wenn wir beispielsweise ein Herz oder auch eine Niere, was ja vor kurzem auch erfolgt ist, vom Schwein in einen Menschen transplantieren.
DOMRADIO.DE: Dann gucken wir auf der anderen Seite mal auf das Thema Tierwohl. Das Thema ist in aller Munde, die Tierhaltung soll eigentlich drastisch zurückgefahren werden. Man könnte ja sagen: das ist praktisch, wir werden jetzt Tiere züchten, die Spenderorgane liefern. Widerspricht das nicht dem ganzen Tierwohl, mit dem wir uns derzeit beschäftigen?
Lob-Hüdepohl: Nicht unbedingt. Das Tierwohl umfasst ja oder schließt ja nicht aus, dass man Tiere nutzt und letztendlich auch züchtet und sie dann zu Tode bringt, also schlachtet, damit Menschen einen Nutzen daraus haben. Gott sei Dank, wie ich meine, sind die Bedingungen, unter denen man züchtet, Tiere hält und sie dann hinterher auch geschlachtet werden und dergleichen derzeit in Diskussion. Da werden wir deutlich mehr Anstrengungen aufnehmen müssen, um das Tierwohl tatsächlich auch zu gewährleisten.
Nochmal, es schließt eine Nutzung mit Todesfolge nicht aus. Aber die Haltungsbedingungen, die Zuchtbedingungen, müssen natürlich erfolgen. Ich kann mir nicht vorstellen, dass wir Schweine züchten und schlachten, um hinterher ein Schnitzel zu essen, es aber verweigern würden, hinterher für solche lebensrettenden Maßnahmen das Schwein nicht schlachten zu dürfen.
Wir müssen das Tier als Mitgeschöpf achten. Das heißt, wir müssen beispielsweise auch beim "Ersatzteillager", – wenn ich das mal so sagen darf – immer darauf achten, dass die genetischen Veränderungen – in diesem Fall des Schweins – nicht dazu führen, dass es während seiner Lebenszeit qualvoll existiert.
Schauen Sie auf die Putenzüchtung. Was da gemacht oder vielfach gemacht wird: die Pute so zu züchten, dass die Brüste ganz schnell wachsen, damit es viel Fleisch ansetzt. Die Puten können nicht mehr stehen, sie fallen immer um – das ist mit einem Tierwohl nicht zu vereinbaren. Wenn also Organtransplantationen, also Xenotransplantationen (Anm. d. Red.: Übertragungen zwischen verschiedenen Spezies, z.B. Tier-Mensch), es erforderlich machen, dass man Tiere züchtet und sie qualvoll halten muss, um da ranzukommen, dann wäre hier natürlich auch eine Grenze überschritten, die wir nicht überschreiten dürfen, um das Tier als Mitgeschöpf – nicht nur Gottes – sondern auch Mitgeschöpf in unserem Rechtssystem zu achten.
DOMRADIO.DE: Jetzt gibt es bei diesem Thema noch eine andere Facette. Es gibt ja viele Menschen, die aus ethischen oder sogar religiösen Gründen auf alle tierischen Produkte verzichten. Würde das solche Menschen nicht vor ein ethisches Dilemma stellen, wenn sie überlegen müssten, ob sie sich jetzt ein Schweineherz einsetzen lassen sollen?
Lob-Hüdepohl: Ja, da stellt sie vor ein Dilemma und das müssen sie abwägen. Und das ist ihr gutes Recht, wenn sie sagen, ich möchte darauf verzichten, weil mir der Schutz beispielsweise des Schweins oder der Verzicht auf tierische Produkte so hoch ist für meine Lebensphilosophie, für meine Religion, dass ich darauf dann verzichten muss.
Die Konsequenz wäre, dass sie dann beispielsweise auf eine solche Implantation in ihrem eigenen Körper verzichten müssen, ähnlich wie sie dann eigentlich auch beispielsweise bei den bislang noch üblichen Produktionen von Insulin verzichten müssten. Das haben wir jetzt auch gentechnisch ermöglicht. Oder bei einer Herzklappe oder anderen Produkten, das ist in der Tat ein ethisches Dilemma.
Übrigens ist das auch für uns Menschen, die tierische Produkte nutzen, ein ethisches Dilemma. Wir stehen immer vor einer Güterabwägung, dass wir das Wohl eines Tieres achten müssen und den Nutzen, den wir aus dem Leben des Tieres ziehen, das dennoch legitim ist. Da gibt es immer Abwägungsprobleme. Aber diejenigen, die beispielsweise aus Überzeugung grundsätzlich vegan sind oder aus religiösen Überzeugungen bestimmte Tiere zum Verzehr ablehnen müssen, die müssen eine solche Güterabwägung treffen.
Das Interview führte Heike Sicconi.