DOMRADIO.DE: Das ist ja eine Situation, die für uns ganz lange unvorstellbar war – Krieg inmitten von Europa. Was geht Ihnen da ganz persönlich durch den Kopf?
Peter Kohlgraf (Bischof von Mainz und Präsident von "Pax Christi"): Es zeichnete sich ja die letzten Tage so ein bisschen ab, wenn man die Zeitungen las und die Medien verfolgte, aber ich muss ehrlich sagen, heute Morgen war ich schon wirklich traurig und erschüttert. Ich kann es nicht anders sagen, zumal wir auch vom Bistum Mainz gute Kontakte in die Ukraine haben. Da sitzen viele, viele Menschen, mit denen wir in Verbindung stehen.
DOMRADIO.DE: Sie sind ja auch verantwortlich für die katholische Friedensorganisation "Pax Christi". Nun sehen wir, dass der Wert des Friedens nicht so sicher ist, wie man es in Europa eigentlich erwartet hätte. Wie geht es Ihnen damit?
Kohlgraf: Ich hatte neulich mal in einer Predigt gesagt, dass mir bei unseren innerkirchlichen aber auch gesellschaftlichen Debatten auffällt, dass wir das Friedensthema wieder stärker machen müssen. Wir haben das Thema Klima, wir haben viele andere Themen, die wir beackern und die auch wichtig sind. Die kann man nicht gegeneinander ausspielen.
Aber das Friedensthema war die letzten Jahre doch ziemlich weg vom Schirm. Ich glaube einfach, weil wir uns in Sicherheit gewiegt haben. Und da meine ich ist heute der Tag, wo wir wirklich merken, dass das eine Selbsttäuschung war.
DOMRADIO.DE: Sie veranstalten morgen Abend gemeinsam mit Pax Christi ein digitales Friedensgebet. Warum haben Sie sich dazu entschlossen?
Kohlgraf: Also, zunächst einmal glaube ich natürlich an die Kraft des Gebets – dass Gebet die Welt verändert – aber natürlich auch ein wichtiges Zeichen der Solidarität mit den Menschen dort ist. Ich vermute, dass das für diese Menschen sehr, sehr wichtig ist, jetzt auch zu spüren: Wir sind nicht vergessen, sondern die Welt geht auch mit, sie leidet mit, sie betet mit, sie ist an unserer Seite und das ist ein kleiner Beitrag.
Aber wir haben heute auch ökumenisch - evangelisch, katholisch in verschiedenen Landeskirchen und Diözesen - die Glocken geläutet und werden das auch weiter tun, um einfach auch an das Schicksal dieser Menschen und an ihre Zukunft zu erinnern und mit ihnen zu sein.
DOMRADIO.DE: Noch mal konkret nachgefragt: Dieser Aufruf zum Gebet ist schnell passiert. Warum glauben wir denn als Christen, dass das konkret etwas verändern kann, während man doch eigentlich eher auf Diplomatie setzen würde?
Kohlgraf: Das eine schließt das andere nicht aus. Ich kann mir vorstellen, dass zum Beispiel auch das Gebet Menschen vor Ort hilft und auch uns hilft, für den Frieden zu arbeiten, auch sehr konkret zu arbeiten – was Friedenserziehung angeht, was Sprache angeht, was gewaltfreie Kommunikation angeht. Also, es beginnt auch hier vor Ort.
Das hilft jetzt den Menschen in der Ukraine nicht, dennoch glaube ich, dass wenn sie merken, da beten Menschen für uns, dass sie das auch vielleicht ermutigt, nicht nur den Weg der Gegengewalt zu gehen, sondern vielleicht auch andere Wege zu suchen und zu deeskalieren. Vielleicht bin ich naiv, aber vielleicht ist das Gebet ein Schritt in diese Richtung.
DOMRADIO.DE: Sie haben gerade schon gesagt, in ökumenischen Aktionen werden die Glocken geläutet. Die Deutsche Bischofskonferenz und die EKD haben sich heute auch schon in einem Statement geäußert. Was planen Sie im Bistum Mainz in den nächsten Tagen?
Kohlgraf: Wir werden in allen Gottesdiensten für den Frieden beten, das ist das eine. Ich glaube, das es auch noch mal wichtig ist, auch bei den Kontakten, die wir haben, zu schauen, welche man beleben kann und wo man Menschen sehr konkret Mut machen oder auch konkret helfen kann.
Das Interview führte Renardo Schlegelmilch.