DOMRADIO.DE: Wenn ich Menschen aufnehme, die ich nicht kenne und die ich vielleicht nicht verstehe, weil wir keine gemeinsame Sprache sprechen. Wie finde ich einen guten Einstieg?
Claudia Schedlich (Leiterin des Caritas-Therapiezentrums für Menschen nach Folter und Flucht): Da funktionieren ganz viele kommunikative Wege, auch nonverbale. Das heißt, allein die Tatsache, Wohnraum zur Verfügung zu stellen, die Menschen bei sich aufzunehmen, ist schon mal ein sehr, sehr positives und sehr unterstützendes, stabilisierendes Signal. Sehr viel Kommunikation kann über Gestik und Mimik laufen. Es gibt natürlich auch die Möglichkeit, über Sprach- und Übersetzungsapps miteinander zu kommunizieren. Manche der Geflüchteten sprechen Englisch. Auch das ist eine Möglichkeit. Und in manchen Fällen kann es durchaus hilfreich sein, sich Unterstützung durch Sprach- und Kulturmittlerinnen zu suchen.
DOMRADIO.DE: Wie erkläre ich meinen eigenen Kindern, wer da kommt?
Schedlich: Am besten direkt. Das betrifft das Thema Krieg grundsätzlich. Man sollte mit den Kindern über den Krieg und über das, was passiert, sprechen. Da ist die Empfehlung, den Kindern altersgerecht angepasst zu erzählen, was in dem Land der Menschen, die zu uns kommen, passiert; warum die Menschen flüchten müssen; und warum es deshalb auch wichtig und notwendig ist, ihnen Unterstützung anzubieten. Es ist wichtig, den Kindern sehr klar zu kommunizieren, worum es geht, und auch Fragen der Kinder zu beantworten. Dafür müssen wir offen sein.
DOMRADIO.DE: Wie bekomme ich denn die Balance zwischen eigenen Bedürfnissen und den Bedürfnissen der Neuankömmlingen hin?
Schedlich: Es ist wichtig, sich einzugestehen, dass die eigenen Bedürfnisse und die eigenen Familien, Themen und die eigenen Aufgaben und eigenen Lebensbereiche natürlich nach wie vor genauso wichtig sind wie vorher. Und dass es vielleicht vorübergehend notwendig oder auch möglich sein kann, die eigenen Bedürfnisse etwas zurückzustellen, aber dass die genauso Raum haben müssen wie die Bedürfnisse der Geflüchteten.
DOMRADIO.DE: Und woran kann ich merken, dass trotz der Sprachbarrieren vielleicht irgendwas nicht stimmt? Vielleicht braucht jemand professionelle Hilfe, weil das alles zu viel war? Als Laie kann ich das ja gar nicht einschätzen.
Schedlich: Das ist im Moment grundsätzlich schwierig. Wir können davon ausgehen, dass die Menschen, die zu uns kommen, unterschiedlich von dem belastet sind, was sie im Heimatland und auf der Flucht erlebt haben. Allen gemein ist, dass sie sehr schnell, sehr ad hoc ihr Land verlassen mussten, Menschen zurücklassen mussten, die ihnen am Herzen liegen. Den Menschen geht es erst mal grundsätzlich nicht gut, auch wenn sie hier in Sicherheit sind. Da herauszufiltern, wer vielleicht das Risiko birgt, eine Traumafolgestörung zu entwickeln und psychisch zu erkranken, ist etwas, dass sich erst über die Zeit herausstellt. Das ist zum jetzigen Zeitpunkt noch viel zu früh.
Es geht viel mehr um eine Akzeptanz, dass es diesen Menschen nicht gut geht, dass sie traurig sind, dass sie Angst haben, dass sie natürlich mit all dem, was sie erleben mussten, beschäftigt sind. Da braucht es eine Unterstützung und eine Stabilisierung. Eine professionelle Hilfe im Sinne von einer psychosozialen Beratung kann man den Menschen anbieten, indem man sie darauf aufmerksam macht, dass es diese Möglichkeiten gibt. Dabei ist es wichtig konkret an die entsprechenden Einrichtungen zu verweisen und sich bei Unsicherheit auch selbst an Institutionen zu wenden, um nach Hilfe zu fragen oder auch, um um eine Einschätzung zu bitten.
DOMRADIO.DE: Wo bekomme ich denn selbst Hilfe, wenn ich nicht weiß, wie ich mit den Leuten umgehen soll?
Schedlich: Es gibt Anlaufstellen für Themen rund um die ganzen Familienbelange. Da sind natürlich Familienberatungsstellen, Erziehungsberatungsstellen, die für die Belange der Erwachsenen, der Kinder und der Jugendlichen besonders gut aufgestellt sind. Aber auch niederschwellige Beratungsangebot stehen zur Verfügung. Bei der Caritas Köln gibt es zum Beispiel die internationale Familienberatungsstelle oder auch die Erziehungsberatungsstelle in Porz. Aber auch andere Trägern haben entsprechende Beratungsstellen, die gute Anlaufstellen sind.
DOMRADIO.DE: Sie leiten das Caritas Therapiezentrum für Menschen nach Folter und Flucht. Sie sind somit direkt zuständig für die Menschen, die geflohen sind und bei uns ankommen. Wie ist der Stand der Dinge? Was können Sie im Moment anbieten?
Schedlich: Was wir anbieten, sind psychosoziale Sprechstunden in den Wohneinrichtungen, psychosoziale Beratung und traumasensible Beratung für Menschen, die Menschen bei sich aufgenommen und uns kontaktiert haben. Wir bieten aktuell Einzelberatung an. Geplant sind aber auch Gruppenberatungen für Kinder und Jugendliche.
Das sind alles Angebote, die sich jetzt so langsam etablieren und auch ausgebaut werden. Zum jetzigen Zeitpunkt geht es, um eine sorgfältige Bedarfseinschätzung: Braucht es eine traumazentrierte Beratung oder in Einzelfällen gar eine Behandlung? Welche sonstigen Bedarfe und Unterstützung brauchen die Menschen?
Das Interview führte Hilde Regeniter.