Weltweit haben Amnesty International zufolge Kriegsverbrechen, Verletzungen des humanitären Völkerrechts und schwere Menschenrechtsverletzungen im vergangenen Jahr zugenommen. Die Verstöße seien von der internationalen Staatengemeinschaft häufig nicht sanktioniert worden - etwa im Jemen, in Syrien oder auf dem afrikanischen Kontinent, kritisiert die Organisation in ihrem am Dienstag veröffentlichen Jahresbericht 2021/2022.
Ukraine-Krieg sei Spitze eines Eisbergs
"In diesem Sinne ist der völkerrechtswidrige russische Angriff auf die Ukraine die Spitze eines Eisbergs", sagte Markus N. Beeko, Generalsekretär von Amnesty International in Deutschland. Die Reaktion der internationalen Staatengemeinschaft auf viele Konfliktherde weltweit sei zuletzt unzureichend oder zu zögerlich gewesen. Zu oft hätten es Staaten aufgrund wirtschaftlicher oder machtpolitischer Interessen vermieden, konsequent auf die Einhaltung von Völker- und Menschenrechten zu dringen. "Somit breiteten sich Konfliktherde aus - mit einschneidenden Folgen für die betroffenen Menschen", sagte Beeko.
Infolge der Krisen komme es zu Vertreibungen und Fluchtbewegungen von Millionen von Menschen. Gleichzeitig werde Geflüchteten das Recht Schutz zu suchen in vielen Teilen der Welt gewaltsam und systematisch verwehrt, kritisierte Beeko. Amnesty dokumentierte in 48 der 154 untersuchten Ländern Misshandlungen und rechtswidrige Zurückweisungen von schutzsuchenden Menschen.
Rechtswidrige Zurückweisungen
Das gelte auch für die EU-Außengrenzen. So habe Polen rechtswidrige Zurückweisungen von Geflüchteten gesetzlich verankert, um Geflüchtete an der Einreise zu hindern. Allein an der belarussischen Grenze zu Polen, Lettland und Litauen wurden 2021 demnach über 40.000 Menschen zurückgetrieben. Mehr als 30.000 Migranten seien 2021 im zentralen Mittelmeer von der libyschen Küstenwache gewaltsam nach Libyen gebracht worden. Die US-Behörden hätten im vergangenen Jahr zudem fast 1,5 Millionen Flüchtlinge an der Grenze zwischen den USA und Mexiko unrechtmäßig zurückgewiesen, darunter Zehntausende unbegleitete Kinder.
Amnesty verwies zudem auf weltweit zunehmende Repressionen gegen kritische Stimmen. "In jedem zweiten Land wurde die Zivilgesellschaft in einem unverhältnismäßigen Maße unterdrückt und drangsaliert", sagte Beeko. Dazu zählten Einschränkungen der Meinungs-, Vereinigungs- oder Versammlungsfreiheit oder Inhaftierungen, Verschwindenlassen bis hin zu Tötungen von Menschenrechtsaktivisten.
Kritik an fehlender Impfgerechtigkeit
In ihrem Jahresbericht kritisierte die Menschenrechtsorganisation überdies eine fehlende Impfgerechtigkeit bei der weltweiten Bekämpfung der Corona-Pandemie: "Während in der EU mehr als 70 Prozent der Bevölkerung vollständig geimpft sind, warten die Menschen in vielen Teilen des globalen Südens noch immer auf ihre erste Impfung", sagte Beeko. So seien von den 1,2 Milliarden Menschen auf dem afrikanischen Kontinent Ende 2021 nicht einmal acht Prozent geimpft gewesen. Reiche Länder wie Deutschland, Norwegen, die Schweiz und das Vereinigte Königreich hätten systematisch Versuche blockiert, die weltweite Produktion von Impfstoffen schnellstmöglich auszuweiten, indem sie sich weigerten, den vorübergehenden Verzicht auf geistige Eigentumsrechte und einen zielgerichteten Technologietransfer zu unterstützen, kritisierte Amnesty.