DOMRADIO.DE: 100 Jahre wäre der Gründer von Amnesty International, Peter Benenson, heute geworden. Eine Ungerechtigkeit hatte ihn dazu bewogen, die Organisation zu gründen. Vielleicht nehmen Sie uns kurz mit an den Anfang von Amnesty International...
Markus Beeko (Generalsekretär der deutschen Sektion von Amnesty International): Die Gründungsgeschichte von Amnesty beginnt mit einem Zeitungsartikel, den Peter Benenson las. Und zwar über die Geschichte von zwei Studentinnen in Portugal - das war während der Zeit der Salazar-Diktatur in Portugal - die verhaftet und verurteilt wurden, weil sie in einem Café auf die Freiheit anstießen. Benenson las diesen Artikel auf dem Weg zur Arbeit, er ließ ihm keine Ruhe und gab ihm ein Gefühl der Hilflosigkeit. Er kehrte in die Kirche St Martin-in-the-Fields am Trafalgar Square in London ein, um darüber nachzudenken, was er tun könne.
Und was er dann tat, war, dass er wiederum einen Zeitungsartikel schrieb, der dann auf der Titelseite des britischen Observers mit dem Titel "Die vergessenen Gefangenen" erschien. Darin rief er Menschen dazu auf, sich für gewaltlose politische Gefangene einzusetzen, ihre Freilassung zu fordern, an die Regierung zu schreiben, das Schicksal publik zu machen. Das war dieser Appeal für Amnesty, der dann in die Gründung von Amnesty International mündete.
DOMRADIO.DE: Benenson war ja gläubiger Katholik. Wie wichtig war ihm sein Glaube und welche Rolle hat dieser in seiner Arbeit für die Menschenrechte gespielt?
Beeko: Ich schilderte eben, wie er in die Kapelle von St Martin-in-the-Fields ging und eine Kerze anzündete. Eine Kerze mit dem Stacheldraht ist auch das Symbol von Amnesty. Fragen von Gerechtigkeit, aber auch von Besinnung und Gemeinschaft - die sicherlich für Benenson mit seiner Religion verknüpft waren, die aber einfach auch wichtig für Solidarität und Menschenrechte sind - spielten in seinem Leben sicherlich eine große Rolle.
Er war jemand, der sich auch schon vor der Gründung von Amnesty in Gewerkschaften und im Spanischen Bürgerkrieg engagiert hatte. Für ihn war es wichtig, dass man das, was Schreckliches in der Welt durch andere passiert, nicht hinnimmt, sondern sagt: Wir dürfen uns nicht hilflos fühlen und wir können etwas tun. Und das ist auch die Idee von Amnesty International bis heute, dass wir bei all dem, was Schreckliches in der Welt passiert, darauf vertrauen, dass man dem etwas entgegensetzen kann, wenn viele Menschen sich miteinander solidarisch engagieren.
DOMRADIO.DE: Wie haben sich denn die Aufgaben von Amnesty International in den vergangenen 60 Jahren verändert?
Beeko: Nun, es begann mit der Arbeit für gewaltlose politische Gefangene. Über diese Arbeit kam man dann schnell zum Einsatz gegen Folter und Todesstrafe, weil gerade die, die willkürlich und unschuldig in Haft waren, oftmals Folter und Verschwindenlassen ausgesetzt waren. Auch die Haftbedingungen waren wichtig. Amnesty wurde Fürsprecher für das weltweite Folterverbot und hat in den 60er und 70er Jahren mit dazu beigetragen, dass es die UN-Antifolterkonvention gibt und das absolute Verbot der Folter und erhielt dann dafür 1977 auch den Friedensnobelpreis.
Es wurde immer klarer, dass es so etwas wie Amnesty, dieses solidarische Handeln von Menschen weltweit, für die Menschenrechte insgesamt braucht. Dass der eigentliche Auftrag sein muss, sich für die allgemeine Erklärung der Menschenrechte mit ihren 30 Artikeln einzusetzen - die nicht nur Folter verbietet oder willkürliche Haft, sondern wo es auch darum geht, dass wir alle Mensch sein können, indem wir unsere Menschenrechte wahrnehmen. Und das für alle Menschen in der Welt. Das ist heute der Auftrag von Amnesty International.
Das Gespräch führte Michelle Olion.