DOMRADIO.DE: Sie sind jetzt gerade mit neun Bischöfen aus sechs europäischen Bischofskonferenzen im Heiligen Land. Wie wichtig ist es denn, sich vor Ort zu treffen?
Dr. Udo Bentz (Vorsitzender der Arbeitsgruppe Naher und Mittlerer Osten der Kommission Weltkirche bei der Deutschen Bischofskonferenz, Mainzer Weihbischof): Ich spüre, dass es für uns in der "Holy Land Co-Ordination" zunächst einmal wieder schön ist, wirklich zusammenzutreffen.
Wir hatten in den vergangenen zwei Jahren Treffen über Videokonferenzen. Das ist natürlich nie ein Ersatz für das Zusammensein vor Ort. Ich spüre natürlich auch, dass es für unsere Gesprächspartner ein besonderes Zeichen ist, dass wir wieder da sind, dass wir einander begegnen können, dass wir miteinander auch in anderer Weise ins Gespräch kommen können, als das über Videokonferenzen möglich ist. Das macht ja vieles der "Holy Land Co-Ordination" aus. Ich merke, es gibt eine große Erwartung, ob wir wahrgenommen werden. Und Solidarität zeigen heißt für die Christen hier vor allen Dingen auch Präsenz zu zeigen. Interessiert man sich für uns, haben wir die Möglichkeit, ins Gespräch zu kommen? Und es ist einfach schon ein besonderes Zeichen, dann auch tatsächlich da zu sein und einander zu begegnen.
DOMRADIO.DE: Wie ist aktuell die Lage in Jerusalem?
Bentz: Aktuell bekommt man jetzt nichts mit von größeren Unruhen. Natürlich sind die tödlichen Schüsse auf die katholische Journalistin Schireen Abu Akleh ein Thema auch bei uns. Die "Holy Land Co-Ordination" hat am Sonntagnachmittag auch die Familie besucht. Auch bei diesem Besuch ist deutlich geworden, dass es eine ganz große Dankbarkeit gibt, dass man Öffentlichkeit schafft, verbunden mit der Bitte die Situation wahrzunehmen und Anwälte der Situation der Christinnen und Christen zu sein. Das spürt man allenthalben und überall. Es gibt ja immer wieder diese Zusammenstöße. Es gibt Provokationen unterschiedlichen Levels an den heiligen Stätten, und das ist auch in diesem Jahr das Thema, mit dem wir uns ganz besonders befassen. Der Fokus liegt auf Jerusalem in diesem Jahr.
DOMRADIO.DE: Sie treten für eine friedliche Koexistenz von Israelis und Palästinensern ein. Was können denn die christlichen Kirchen konkret dazu beitragen?
Bentz: Wir haben ganz spannende Gespräche geführt, die auf der einen Seite die politische Herausforderung und die Komplikationen hinsichtlich einer Zweistaatenlösung im Blick hatten, andererseits aber auch die konkreten Schritte, Entwicklungen und Rückschläge, die es darin gibt, betrachtet haben. Und dabei ist deutlich geworden, dass die Christen im Hinblick auf Jerusalem eine eigene Vision haben, die sie stark zu Gott bringen soll. Sie wollen nämlich die politische und die religiöse Dimension ein Stück auseinanderhalten.
Während Juden und Muslime mit ihren heiligen Stätten auch in einer gewissen Weise nationale Ansprüche verbinden, gilt das für Christen in dieser Weise gilt. Das ist differenzierter. Es gibt palästinensische Christen, es gibt Christen, die israelische Bürger sind, und es gibt Christen in Jerusalem, die aus vielen Nationen, aus der ganzen Welt zusammenkommen. Das ist dann natürlich auch noch mal aus der Perspektive von Christen ein besonderer Blick auf Jerusalem. Jerusalem als der Ort der heiligen Orte der Bibel, Jerusalem als der Ort, an dem Religionen zusammenkommen und eigentlich eine Vision des Friedens und des guten Miteinanders der Religionen leben sollen. Und das fand ich einen spannenden Gedanken, dass man sagt, wenn Pilger hierher kommen, dann kommen sie an heilige Orte in einer durchaus unheiligen Gegenwart. Und das ist eine Herausforderung, mit der wir uns beschäftigen.
DOMRADIO.DE: In dem Leitwort steht "Jerusalem – Zentrum der Seele. Eine Mutter, die uns lehrt und hilft, zu wachsen". Können Sie uns das erklären?
Bentz: Zugegeben, ein etwas blumiger Titel für die folgende Fragestellung: Was haben wir Christen für eine Vision? Welche Bedeutung hat Jerusalem für uns? Jerusalem ist nicht irgendeine Wallfahrt wie andere Wallfahrtsorte, nicht irgendein Pilgerort wie andere Pilgerorte auch.
Wer nach Jerusalem pilgert, pilgert zum Ursprung unseres Glaubens, pilgert zu den Orten Jesu, pilgert zu den Orten in der Bibel. Das ist noch einmal etwas anderes als auch religiöser Tourismus. Und das sehe ich als eine Herausforderung, dass wir deutlich machen müssen, wie wir unsere Pilgerfahrten gestalten, egal aus welcher Region wir kommen. Dass man nicht einfach nur die spirituelle Dimension dieser Pilgerfahrt deutlich macht, sondern auf solchen Pilgerfahrten mit den Menschen von heute, die hier in dieser besonderen Situation leben, ins Gespräch kommt. Was heißt das zum Beispiel auch für die Ausbildung von Guides, von Fremdenführern, dass sie vor Ort Historie, biblisches Fundament, spiritueller Ort und politisch-gesellschaftliche Gegenwart wirklich zusammenbringen können?
Die Diskussion über den Status von Jerusalem ist verbunden mit der Vision der Christen. Uns geht es vor allen Dingen um die heiligen Stätten. Es muss garantiert sein, dass wir zu den heiligen Stätten, der Altstadt mit all den kirchlichen Einrichtungen, den religiösen Einrichtungen, dem Zionsberg, dem Ölberg, freien Zugang haben. Es muss garantiert sein, dass sie frei von politischen Provokationen sind. Es muss garantiert sein, dass ein anderer Status gilt. Und von daher sind die Gespräche hier sehr stark in dieser Hinsicht: Gibt es für diese heiligen Orte einen internationalen Status, zum Beispiel unter der Leitung der Vereinten Nationen, die diesen heiligen Orten noch einmal einen anderen Rechtsstatus gibt?
Das Interview führte Florian Helbig.