Malu Dreyer beklagt Kirchenkrise und hofft auf Reformen
Ohne die Kirchen und ihr Engagement wäre die Gesellschaft nach Ansicht der SPD-Politikerin Malu Dreyer ärmer. Die Kraft des Glaubens habe viele Menschen durch die Corona-Pandemie getragen, sagte die rheinland-pfälzische Ministerpräsidentin am Donnerstagabend in Stuttgart. Es sei wichtig, dass sich Christen für die Schwächsten starkmachten. Und auch beim Kampf gegen den Klimawandel und seine Folgen könnten die Kirchen eine wichtige Rolle spielen: "Wir brauchen die ganze Kraft der Gesellschaft, um die Schöpfung zu bewahren."
Zugleich räumte Dreyer ein, dass der Missbrauchsskandal schwer auf der katholischen Kirche laste. Die Kirche sei nur zu retten, wenn sie sich radikal erneuere. "Alles darunter wird nicht reichen." Ausdrücklich stellte sich Dreyer hinter den von den Bischöfen und dem Zentralkomitee der deutschen Katholiken (ZdK) angestoßenen Synodalen Weg und dessen Reformanliegen wie der Gleichberechtigung von Frauen. Zur Begründung ihres eigenen kirchlichen Engagement sagte Dreyer, die selbst Mitglied im ZdK ist: "Ich möchte einfach, dass das Salz des Evangeliums nicht komplett schal wird." - Die Politikerin äußerte sich beim Empfang ihrer Partei am Rande des Katholikentags in Stuttgart.
Wolfgang Thierse sieht Aufrüstung kritisch
Dem ehemaligen Bundestagspräsidenten Wolfgang Thierse macht die Aufrüstung in Deutschland und anderen westlichen Ländern im Gefolge des Krieges in der Ukraine Sorgen. Mit Waffen allein ließen sich die Probleme der Welt nicht lösen, gab der SPD-Politiker am Donnerstagabend beim Katholikentags-Empfang seiner Partei in Stuttgart zu bedenken.
"Die Zweiteilung der Welt, die Überwindung des Kommunismus' ist nicht durch Panzer und Bomben erkämpft worden, sondern durch 'soft power'", so Thierse mit Blick auf die Zeit der Wende 1989/90. Zu diesen "weichen" Faktoren zählten etwa wirtschaftliche Beziehungen und diplomatische Kontakte. Friedensbemühungen könnten scheitern, aber das mache sie deswegen nicht falsch, fügte Thierse hinzu. Wichtig sei jedoch, dass man über die Gründe des Scheiterns rede.
Käßmann weiter gegen Waffenlieferungen an die Ukraine
Die evangelische Theologin Margot Käßmann (63) hat ihre Kritik an Waffenlieferungen für die Ukraine verteidigt. Sie sei "schockiert", wie schnell sich die öffentliche Meinung dazu geändert habe, sagte sie am Freitag beim Katholikentag in Stuttgart.
Es herrsche ein weit verbreiteter Glaube an einen militärischen Sieg. Dabei gebe es genug Beispiele, die zeigten, dass noch mehr Waffen keinen Frieden brächten, so die ehemalige Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD). Das zeige etwa der Blick nach Syrien oder in den Jemen.
Umso trauriger sei es, wenn Krieg und Gewalt durch die Kirchen legitimiert würden. Eine solche Haltung habe sich in der Geschichte stets als Irrweg erwiesen, betonte Käßmann. Sie glaube nicht an eine friedensstiftende Wirkung von Rüstungsinvestitionen. Ihrer Meinung nach sollte das geplante Milliarden-Budget der Bundesregierung eher in Nachhaltigkeit und Entwicklung investiert werden.
Hirschhausen: Hungerbekämpfung auch durch weniger Fleischkonsum
Der Arzt und Comedian Eckart von Hirschhausen hat zu weniger Fleischkonsum aufgerufen. "Wir können Ressourcen nicht weiter so verschwenden wie bisher", sagte Hirschhausen am Freitag beim Katholikentag in Stuttgart. Er verwies auf aktuelle Hungerkrisen, die sich infolge des Kriegs in der Ukraine dramatisch zu verschärfen drohten.
"Wir bekommen auch zehn Milliarden Menschen auf der Welt satt, aber nicht wenn wir weiter so viel Fleisch essen." Denn es sei durch nichts zu rechtfertigen, weiterhin 60 Prozent des in Deutschland angebauten Getreides als Tierfutter zu verwenden. Hirschhausen forderte einen bewussten Konsum. "Ich fordere niemanden auf, Vegetarier zu werden. Aber wir müssen weniger Fleisch essen und auch viel stärker das Tierwohl beachten."
Kühnert: Kirche muss aus Modus der Selbstbeschäftigung heraus
Die katholische Kirche muss nach Ansicht von SPD-Generalsekretär Kevin Kühnert aus dem "Modus der erzwungenen Selbstbeschäftigung" herausfinden. Es gebe gute Gründe für diesen Zustand, allen voran die Aufarbeitung von Missbrauchsfällen, sagte Kühnert am Donnerstag beim Katholikentag in Stuttgart. Zugleich wünsche er sich, dass die Kirche ihre Erfahrungen und weltweiten Netzwerke viel stärker in die öffentliche Debatte einbringe.
Zu Themen wie Krieg, Friedensarbeit, humanitäre Hilfe und Entwicklungszusammenarbeit sollte die Kirche "uns ein Menge mitzuteilen haben", betonte der Politiker, der sich als Atheisten bezeichnet. Dafür brauche es mehr Raum: "Ich würde dieser Kirche gerne zuhören."
Bätzing verteidigt umstrittene Beförderung eines Priesters
Der Limburger Bischof Georg Bätzing hat die umstrittene Beförderung eines Priesters nach Belästigungsvorwürfen verteidigt. Frauen körperlich oder verbal zu belästigen, sei "ein absolutes No-Go", sagte Bätzing am Donnerstag beim Katholikentag in Stuttgart. Dennoch habe er sich angesichts der Reue des Beschuldigten sowie bereits erfolgter Strafen und einer Entschuldigung gefragt, ob es nicht die Möglichkeit einer Rehabilitation geben müsse.
Nach einem Bericht der Beilage "Christ und Welt" der Wochenzeitung "Die Zeit" hatte Bätzing einen Priester seiner Diözese zum Bezirksdekan befördert, der Jahre zuvor zwei Frauen belästigt hatte. Bätzing, der Vorsitzender der Deutschen Bischofskonferenz ist, habe den Priester zuvor wegen der Belästigung von zwei Frauen in den Jahren 2000 und 2007 ermahnt.
Der katholische Priester soll demnach eine evangelische Pfarrerin in Ausbildung verbal und körperlich sexuell belästigt haben. Derselbe Pfarrer soll zudem eine katholische Gemeindereferentin in Ausbildung zwischen belästigt haben.
Der Bischof bestätigte nun, eine Abmahnung ausgesprochen zu haben. Zudem habe er vor der Entscheidung über eine Beförderung mit der Mitarbeiterin gesprochen. Im ersten Gespräch habe sie ihm lediglich signalisiert, dass dies "schwer" für sie wäre. Später, als gemeinsame Bilder von Bätzing mit dem Beschuldigten auftauchten, habe sie erklärt, dass dies für sie überhaupt nicht gehe. Der Mann könne jedoch nicht im Amt sein und zugleich niemals auf Fotos auftauchen, erklärte der Bischof.
Bätzing führte weiter aus, er habe den Fall nicht öffentlich machen können, um den Persönlichkeitsschutz beider Personen zu wahren.
Katholikentag geht weiter - Aufruf für gerechtere Welt
Mit dem Aufruf für eine gerechtere Gesellschaft ist am Vormittag der Katholikentag in Stuttgart fortgesetzt worden. Der gastgebende Bischof Gebhard Fürst sagte in einem feierlichen Gottesdienst unter freiem Himmel, das Motto "leben teilen" heiße auch, sich für gegenseitigen Respekt und einen achtsamen Umgang mit der Schöpfung einzusetzen. An der Zeremonie bei windigem Wetter nahm auch Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier teil.
In den Fürbitten wurde unter anderem für die Toten des Amoklaufs in Texas gebetet sowie für Opfer von sexualisierter Gewalt und von Kriegen. Eine Ordensfrau trug in ukrainischer Sprache eine Bitte für die Menschen in der Ukraine vor, "deren Leben durch Krieg gekennzeichnet ist".
Fürst sagte weiter, von dem bis Sonntag dauernden Treffen solle ein Signal des Friedens in die Ukraine und alle Krisenherde der Welt ausgehen. Der Impuls zur Veränderung liege immer "direkt rechts und links neben uns".
In Anspielung auf den heiligen Martin, der der Legende nach vor 1.700 Jahren seinen Mantel mit einem Bettler teilte, wurde ein 240 Quadratmeter großer Mantel präsentiert. Auf rund 1.100 Stoffstücken hatten sich Kinder, Jugendliche und Erwachsene mit dem Leitwort des Katholikentags auseinandergesetzt.
An dem Gottesdienst auf dem Schlossplatz im Herzen der baden-württembergischen Landeshauptstadt nahmen auch Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne), Landtagspräsidentin Muhterem Aras sowie die Präsidentin des Zentralkomitees der deutschen Katholiken (ZdK), Irme Stetter-Karp, teil. Das ZdK ist Veranstalter der Katholikentage.
Am Mittag nimmt der Katholikentag seine inhaltliche Arbeit auf. Unter anderem steht eine Diskussionen mit Steinmeier zu "Klimakrise, Pandemie und Krieg" auf dem Programm. SPD-Generalsekretär Kevin Kühnert und Bischof Georg Bätzing debattieren über die Frage "Wer braucht noch die Kirche?"
Der Kölner Kardinal Rainer Maria kommt ebenso wie einige weitere Bischöfe, die dem eher konservativen Flügel zugerechnet werden, nicht zum Katholikentag nach Stuttgart. Woelki feiert am Nachmittag im nordrhein-westfälischen Wallfahrtsort Neviges einen Gottesdienst zum Hochfest Christi Himmelfahrt.
Katholikentag geht weiter - Steinmeier besucht Kirchenmeile
Mit einem feierlichen Gottesdienst zum Fest "Christi Himmelfahrt" geht am Donnerstag der Katholikentag in Stuttgart weiter. Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier wird an der Zeremonie teilnehmen und anschließend die Kirchenmeile besuchen. Dort stellen katholische Initiativen und Verbände ihre Arbeit vor.
Bei der Eröffnung am Mittwochabend hatte er die katholische Kirche zur Erneuerung ermuntert. In einer viel beachteten Rede rief Steinmeier den russischen Präsidenten Wladimir Putin erneut zum Rückzug seiner Truppen aus der Ukraine auf.
Nach der Eröffnung auf dem Schlossplatz stand an sechs Orten in der Innenstadt ein "Abend der Begegnung" an. Bei angenehmen Temperaturen sorgte das abendliche Straßenfest unter anderem mit Maultaschen und Musik aus dem Ländle für Lokalkolorit.
Der 102. Deutsche Katholikentag steht unter dem Motto "leben teilen" und dauert bis Sonntag. Erwartet werden bis zu 30.000 Teilnehmende. Nicht nur kirchliche Fragen sollen zur Sprache kommen, sondern auch die Themen Corona, Krieg und Klimakrise. Am Freitag wird Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) erwartet.
Katholikentag in Zahlen
Bis Sonntag besuchen rund 25.000 Teilnehmende die etwa 1.500 Veranstaltungen des Katholikentags in Stuttgart. Von ihnen haben 19.000 Dauerkarten und 6.000 Tageskarten. Darunter sind etwa 7.000 Helfer und Aktive.
Die Kosten des Treffens beziffern die Veranstalter auf gut 10 Millionen Euro. 6,3 Millionen stammen aus Kirchenmitteln, 2 Millionen vom Land Baden-Württemberg. 1,5 Millionen Euro kommen von der Stadt Stuttgart und 0,5 Millionen vom Bund.
Einnahmen stammen aus dem Verkauf der Besuchertickets.
Steinmeier: Aufarbeitung darf keine innerkirchliche Sache sein
Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier hat Kirche, Politik und Gesellschaft aufgerufen, gemeinsam an der Aufarbeitung von Missbrauch zu arbeiten. "Aufklärung und Aufarbeitung müssen weitergehen, das darf keine innerkirchliche Angelegenheit sein", sagte er am Mittwochabend im SWR Fernsehen nach der Eröffnung des Katholikentags in Stuttgart. Zum Glück stelle er "bei vielen fest, dass sie den festen Willen haben, hier voranzukommen".
Der Missbrauchsskandal habe tiefe Spuren hinterlassen, fügte Steinmeier hinzu: "Da ist Vertrauen von Gläubigen verloren gegangen, aber auch kirchliches Selbstvertrauen".
Der Umgang mit sexualisierter Gewalt war auch Thema bei anderen Veranstaltungen im Vorfeld des Katholikentags: Bei der Vollversammlung des Zentralkomitees der deutschen Katholiken (ZdK) sprach sich die neue Missbrauchsbeauftragte der Bundesregierung, Kerstin Claus, ebenfalls für eine engere Zusammenarbeit zwischen Kirchen und Politik aus. Bisher fehle es aber an flächendeckend einheitlichen Standards und einer angemessenen Beteiligung von Betroffenen.
Zugleich warnte sie vor weiteren Verzögerungen nach dem angekündigten Rückzug von Bischof Stephan Ackermann vom Amt des Missbrauchsbeauftragten der Deutschen Bischofskonferenz. Noch sei unklar, wie die katholischen Bischöfe die Aufarbeitung demnächst organisieren wollten: "Ein Vakuum können wir zum jetzigen Zeitpunkt aus verschiedenen Gründen nicht brauchen."
Bei der Aufarbeitung von Missbrauch dürften sich die Bischöfe und die Kirche insgesamt "nicht mehr viele Fehler erlauben", betonte auch ZdK-Präsidentin Irme Stetter-Karp. Was die Bischöfe konkret vorhätten, sei bislang völlig unbekannt, ergänzte der Sprecher des Betroffenenbeirats bei der Deutschen Bischofskonferenz, Johannes Norpoth: "Wir wissen auch noch nicht, wo die Reise hingeht."
Unterdessen forderten Betroffene von sexuellem Missbrauch im Raum der Kirchen einen unabhängigeren Umgang mit ihren Fällen. Der Sprecher der Organisation "Eckiger Tisch", Matthias Katsch, sagte im SWR, es sei wichtig, "die Aufarbeitung in die Hände unabhängiger staatlicher Institutionen zu geben und das nicht immer alles selber machen zu wollen".