Kirchliche Arbeitsrechtsreform lässt noch manche Frage offen

"Insbesondere Beziehungsleben und Intimsphäre"

Das neue Regelwerk für Arbeitsverhältnisse der katholischen Kirche in Deutschland liegt vor. Demnach soll die private Lebensgestaltung keinen Anlass mehr für Entlassungen bieten. Anfang kommender Woche soll sie besprochen werden.

Autor/in:
Simon Kajan
Kirchliches Arbeitsgericht in Münster / © Julia Steinbrecht (KNA)
Kirchliches Arbeitsgericht in Münster / © Julia Steinbrecht ( KNA )

In der neuen "Grundordnung des kirchlichen Dienstes", die vor allem die Loyalitätsverpflichtungen der Mitarbeiter neu fasst, bliebe als einziger Kündigungsgrund "kirchenfeindliches Verhalten" erfasst. Bislang sah die Grundordnung vor, dass der Familienstand und die öffentlich bekannte sexuelle Orientierung als entscheidend für die Loyalität kirchlicher Angestellter gewertet werden konnte.

#OutInChurch

Es ist eine große konzertierte Aktion: Auf einer Internetseite und im Rahmen einer Fernsehdokumentation haben sich 125 Menschen in der katholischen Kirche geoutet. Sie alle sind haupt- oder ehrenamtlich in der Kirche tätig und zugleich Teil der queeren Community, wie die Initiative "#OutInChurch - für eine Kirche ohne Angst" mitteilte. Die Initiative fordert unter anderem, das kirchliche Arbeitsrecht so zu ändern, "dass ein Leben entsprechend der eigenen sexuellen Orientierung und der geschlechtlichen Identität" nicht zur Kündigung führe. (KNA, 24.1.2022)

 © Julia Steinbrecht (KNA)
© Julia Steinbrecht ( KNA )

In der Praxis konnte etwa ein Dienstverhältnis gekündigt werden, wenn jemand eine homosexuelle Partnerschaft einging. Dagegen hatte es immer wieder Proteste gegeben, zuletzt in Form der Aktion "OutinChurch", bei der sich mehr als hundert Menschen im kirchlichen Dienst als "queer" geoutet hatten.

Scheidung kein Grund mehr

Ein anderer möglicher Kündigungsgrund war, wenn kirchliche Angestellte nach einer Scheidung eine neue Zivilehe eingegangen sind. In der Vergangenheit sorgte etwa der Fall eines geschieden-wiederverheirateten Chefarztes eines katholischen Krankenhauses für Aufsehen, der erfolgreich gegen seine Kündigung klagte.

Der Fall beschäftigte über zehn Jahre diverse Instanzen, inklusive das Bundesverfassungsgericht und den Europäischen Gerichtshof. In ähnlichen Fällen hatten auch andere Gerichte immer öfter den Kirchen deutliche Grenzen ihres "Tendenzschutzes" aufgezeigt, das heißt Arbeitsbeziehungen ihrem Ethos entsprechen zu
gestalten.

Bereits in der Frühjahrsvollversammlung der Bischofskonferenz im März wurde die Änderung des Arbeitsrechts noch in diesem Jahr angekündigt. Entsprechendes hatte die Vollversammlung des Synodalen Wegs gefordert.

Gemischte Reaktionen

Die Reformpläne rufen indes gemischte Reaktionen hervor. Der maßgeblich an der Reform beteiligte Tübinger Arbeitsrechtler Hermann Reichold bezeichnete die neue Grundordnung als "ein Aufschlag, der sich sehen lassen kann". Er hebt vor allem hervor, die nun umzusetzende Liberalisierung entspräche der eindeutigen Erwartung der Öffentlichkeit an die katholische Kirche. Die neue Grundordnung entziehe den "Kernbereich privater Lebensgestaltung, insbesondere Beziehungsleben und Intimsphäre", jeglicher rechtlicher Bewertung.

Hintergrund: Katholisches Arbeitsrecht in Deutschland vor Systemwechsel

Die Regeln für die rund 790.000 Beschäftigten der katholischen Kirche und der Caritas in Deutschland sollen sich grundlegend ändern. Am Montag veröffentlichte die Deutsche Bischofskonferenz den Entwurf für eine neue "Grundordnung des kirchlichen Dienstes". Demnach soll die private Lebensgestaltung, "insbesondere Beziehungsleben und Intimsphäre" der Beschäftigten, keinen Anlass mehr für Kündigungen bieten, falls diese nicht im Einklang mit der kirchlichen Lehre stehen. 

Neben der Verwaltungsleiterin einer Kirchengemeinde liegt das kirchliche Arbeitsrecht / © Harald Oppitz (KNA)
Neben der Verwaltungsleiterin einer Kirchengemeinde liegt das kirchliche Arbeitsrecht / © Harald Oppitz ( KNA )

Während von Initiativen wie "OutinChurch" und dem "Arbeitsbündnis Katholisches LSBT+Komitee" positiv hervorgehoben wird, dass gleichgeschlechtliche Eheschließungen künftig nicht mehr zur Kündigung führen sollen, wird seitens Gewerkschaften Kritik geübt, die sich vor allem an der Beibehaltung des "Dritten Wegs"entzündet. Dieser würde "fundamentale Rechte der Beschäftigten offenbar noch immer nicht respektieren", etwa bei der Glaubens- und Meinungsfreiheit, führt die Gewerkschaft Verdi an.

Die "Sonderrechte", die der Staat kirchlichen Arbeitgebern zubillige, gehörten abgeschafft. Mononiert wird etwa, dass  Maßnahmen des Arbeitskampfes wie Streik oder Aussperrung auch nach dem neuen Arbeitsrecht nicht statthaft seien. Stattdessen setzt die Kirche auf einvernehmliche Schlichtungsprozesse.

Neuerung: Gegenseitige Verpflichtung

In diesem Sinne ist der Reformentwurf durch ein Verständnis von Loyalität geprägt, das nicht mehr einseitig von den Mitarbeitenden abverlangt wird. Vielmehr verpflichtet sich künftig der kirchliche Dienstgeber auch gegenüber den Beschäftigten, etwa dass die Mitarbeitervertretung als Organ der Einrichtung immer und überall zu beteiligen ist.

Die katholische Identität eines Unternehmens soll durch Leitbilder, eine christliche Organisationskultur und durch die Vermittlung christlicher Werte gestaltet werden. So wird es Aufgabe des Dienstgebers, den kirchlichen Charakter einer Einrichtung sicherzustellen. Der Kirchenrechtler Markus Graulich sagte der KNA, dass durch die vorgesehene Neuordnung Arbeitnehmer zwar eher abgesichert seien, "aber mit dem kirchlichen Selbstverständnis im Sinne der verbindlichen Glaubens- und Sittenlehre hat das nicht mehr viel zu tun".

Vatikan kritisiert Entwurf

Der Untersekretär der vatikanischen Behörde für die Gesetzestexte kritisiert vor allem die fehlende Gradualität in der neuen Grundordnung. So mache der neue Entwurf keine Unterschiede mehr, wie ein Dienstverhältnis in der Kirche zustande kommt (etwa durch Vertrag oder auch durch die 'missio canonica' oder eine andere Form der bischöflichen Beauftragung).

Genauso wenig werde dahingehend unterschieden, in welchem Näheverhältnis eine Mitarbeit zur kirchlichen Sendung steht. "Da darf es einen Unterschied geben zwischen den Mitarbeitern im katechetischen, pastoralen und erzieherischem Dienst und den (haus-)technischen Mitarbeitern einer Einrichtung", findet Graulich. Dienste in der Verkündigung seien schließlich auf das "persönliche Lebenszeugnis im Sinne der Grundsätze der Glaubens- und Sittenlehre" angewiesen.

Seine Hinweise lassen insofern aufhorchen, als die vatikanische Bildungskongregation erst Ende März eine Instruktion zur "Identität der katholischen Schulen" veröffentlicht hat. Das Dokument sorgt sich um den Einfluss säkularer Ideologien auf den kirchlichen Erziehungssektor und stellt Normen auch für die Lehrkräfte aus. "Tatsächlich muss jede Amtshandlung der Schule in Übereinstimmung mit ihrer katholischen Identität erfolgen, wobei die Gewissensfreiheit jeder Person uneingeschränkt geachtet werden muss" - aber unter Gewissen wird hier ausdrücklich mit Verweis auf die Enzyklika "Veritatis splendor" Johannes Paul II. das an der "Autorität des Naturrechts und der praktischen Vernunft in Bezug auf das höchste Gut" gebildete Organ verstanden. Eine Definition, die wohl nur schwer mit den Vorstellungen der neuen Grundordnung zu vereinbaren ist.

Unterdessen gibt es auch einzelne Stimme, die öffentlich eine Aufrechterhaltung des kirchlichen Arbeitsrechts generell infrage stellen. Prominentester Vertreter unter den Bischöfen ist der Eichstätter Bischof Gregor Maria Hanke. Er warb für die Übernahme des zivilen Arbeitsrechts und die Anerkenntnis der wichtigen Funktion der Gewerkschaften.

Quelle:
KNA