Umstrittene documenta-Ausstellung in der Kunigundiskirche

"Diese Zahnpaste kommt nicht zurück in die Tube"

In der katholischen Kirche St. Kunigundis hat ein haitianisches Künstlerkollektiv den Kirchenraum in ein dystopisches Voodoo-Ambiente verwandelt – in Absprache mit dem Bistum Fulda. Ein Horrorkabinett, das zum Nachdenken anregt.

Autor/in:
Birgitt Schippers
documenta: In weißem Tüll gehülltes Skelett auf einer Bahre in St. Kunigundis / © Birgitt Schippers (DR)
documenta: In weißem Tüll gehülltes Skelett auf einer Bahre in St. Kunigundis / © Birgitt Schippers ( DR )

Die 1927 fertiggestellte Kirche St. Kundigundis in Bettenhausen ist fast leergeräumt. Gottesdienste finden nicht statt, aber profaniert ist sie auch nicht. Im Altarraum steht noch ein weißer, schlichter Altar, dahinter einzelne Heiligenfiguren und Wandgemälde. Es gibt sie noch, einige Zeugnisse aus einer Zeit, als St. Kundigundis ein lebendiger Kirchenraum für die Gemeinde war.

Doch zur documenta hat das Künstlerkollektiv Atis Resistans/Ghetto Biennale diesen Raum mit dystopischen Metallarbeiten aus Elektromüll und inszenierten Skeletten bevölkert, die vom grausamen Tod und Krieg erzählen, und von Toten, die aus den Gräbern steigen.

Skelettgestalten in St. Kunigundis / © Birgitt Schippers (DR)
Skelettgestalten in St. Kunigundis / © Birgitt Schippers ( DR )

Radikale Skulpturen des Todes

In der Mitte des Raums liegt ein in weißem Tüll gehülltes Skelett auf einer Bahre, ein metallener Totenkopfsoldat mit Heiligenschein hält seine Waffen hoch, ein Skelett erhebt sich aus dem Sarg mit Waffen im Anschlag und ein mit Schläuchen umwickelter Kindersoldat liegt in einem Bettgestell mit kindlich anmutender rosa Rückwand.

Ein Horrorkabinett düsterer Endzeitphantasien, die gleichzeitig auf den ganz realen Kriegshorror unserer Gegenwart hinweisen. Aus der Kunigundiskirche wurde eine Voodoo-Kirche, so ist in den Medien zu lesen.

Die Skelettmadonnen – ein Skandal?

Ein optischer Schlag ins katholische Herz sind auf den ersten Blick die zwei Skelettmadonnen vor dem Altar. Unmittelbaren Bezug zur biblischen Weihnachtsgeschichte nimmt die in blauem Tüll umwickelte Madonna auf der linken Seite, die auf einer Art Krippe eine dunkle Plastikpuppe ohne Arme vor sich trägt, mit dem aufgeschlagenen Matthäusevangelium und einer Uhr an der Brust.

"Voodoo-Madonna" mit Kind in der St. Kunigundis-Kirche / © Birgitt Schippers (DR)
"Voodoo-Madonna" mit Kind in der St. Kunigundis-Kirche / © Birgitt Schippers ( DR )

Und es stellt sich die Frage: Ist diese haitianische Skulptur wirklich ein Skandal oder konzentriert sie nicht die Lehre von Tod und Auferstehung in einer radikalen Symbolik? Über der Geburt Jesu liegt im christlichen Glauben ja auch der Schatten des gewaltsamen Kreuzestodes, die nach Erlösung schreit.

Auch die drei fetten Schlangen, die sich auf der rechten Kirchenseite hochwinden zu in einem Fenster ausgestellten Monstranzen haben christlich-motivierten Symbolcharakter – das Böse auf dem Kreuzzug gegen die Erlösung.

Was bringt uns Heilung und Erlösung? In einer Seitenkapelle steht eine zur Ausstattung von St. Kunigundis gehörende Madonna, gerahmt von zwei bunten, sich drehenden Säulen des Künstlerkollektivs. In diese Säulen wurden medizinische Tabletten eingewoben. Heilt das Gebet zur Mutter Gottes besser als die Angebote der Pharmaindustrie?

documenta: Drei Schlangen in St. Kundigundis  / © Birgitt Schippers (DR)
documenta: Drei Schlangen in St. Kundigundis / © Birgitt Schippers ( DR )

In der haitianischen Voodoo-Welt, so lesen wir in einer Erklärung am Eingang der Kirche, geht es um die Welt der Lebenden und des Unsichtbaren, zwischen denen Voodoo-Geister eine Verbindung schaffen. Es gibt da schon auch Parallelen zur katholischen Glaubenswelt. Die Erschrecken auslösende Ausstellung des Künstlerkollektivs ist nicht nur ein globales politische Mahnmal gegen Krieg und ökonomische Zerstörung, sie bietet auch eine kompromisslose Auseinandersetzung mit dem scandalon des Todes.

Es lohnt sich, mit dieser Ausstellung in einen Dialog zu treten.

Besucher in der Kirche St. Kunigundis  / © Birgitt Schippers (DR)
Besucher in der Kirche St. Kunigundis  / © Birgitt Schippers ( DR )

Bistum Fulda und die Voodoo-Kirche

Es gibt heftigen Gegenwind gegen die Entscheidung des Bistums Fulda und von Bischof Dr. Michael Gerber, die Kirche St. Kunigundis der documenta und ihren Kollektiven zu überlassen. Doch Bischof Gerber steht zu dieser Entscheidung. Er hat auch persönlich das Gespräch mit den Künstlern gesucht. An die Vorgaben des Bistums zur Nutzung der Kirche hat sich das Kollektiv bislang gehalten.

Michael Gerber, Bischof von Fulda / © Arne Dedert (dpa)
Michael Gerber, Bischof von Fulda / © Arne Dedert ( dpa )

"Wir schaffen über den Kontakt und die Auseinandersetzung mit zeitgenössischen Künstlern und Künstlerinnen einen Kommunikationsraum, den es sonst nicht gibt", erklärt Dr. Peter Züricher, persönlicher Referent von Bischof Gerber. Und dieser Dialog ist wichtig, da er einen neuen, frischen Blick auf die Welt werfen hilft, in der nichts mehr selbstverständlich ist. Kunstschaffende führen die Zerbrechlichkeit des Gewohnten radikal vor Augen.

Die seit 2017 entstandenen, intensiveren Kontakte der Kirche mit der documenta-Leitung, die auch zur Ausstellung in der Kunigundiskirche führte, ist ein gutes Beispiel für die Dialogbereitschaft von beiden Seiten - gerade nach dem Konflikt rund um die Balkenhol-Figur auf der Turmspitze der Elisabethkirche 2012, durch die die documenta-Leitung ihr Alleinstellungsmerkmal in Kassel gefährdet sah.

Alles ist im Prozess, weiß auch Bischof Gerber, und sieht darin eine spannende Perspektive. Trotz heftiger Gegenreaktionen, die aus Kreisen des Bistums kommen, setzt die Bistumsspitze weiter auf diesen Dialog. "Diese Zahnpasta kommt nicht in die Tube zurück", sagt Dr. Züricher.

Stichwort documenta

Die documenta ist eine der weltweit bedeutendsten Ausstellungsreihen zeitgenössischer Kunst. Alle fünf Jahre kommen Kunstschaffende ins nordhessische Kassel, um die Stadt 100 Tage lang in ein Panorama für Gegenwartskunst zu verwandeln. Die Ausstellung ist seit ihrer Gründung 1955 zum wichtigen Ort für Debatten über Kunst und Kultur geworden.

Eine kompostierbare Toilette steht zur documenta fifteen in der Karlsaue und ist Teil der Zusammenarbeit der Gruppe Cinema Caravan mit Takashi Kuribayashi. Die Weltkunstausstellung geht vom 18.06. bis 25.09.2022. / © Uwe Zucchi (dpa)
Eine kompostierbare Toilette steht zur documenta fifteen in der Karlsaue und ist Teil der Zusammenarbeit der Gruppe Cinema Caravan mit Takashi Kuribayashi. Die Weltkunstausstellung geht vom 18.06. bis 25.09.2022. / © Uwe Zucchi ( dpa )
Quelle:
DR
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