Essener Dialogkreuz auf dem "Berg der Kreuze" in Litauen

"Es muss nicht immer Eiche rustikal sein"

Inmitten von zehntausenden Kreuzen steht nun auch das Dialogkreuz aus Essen auf dem Berg der Kreuze in Litauen. Es habe dort auf jeden Fall seinen Platz, sagt Pastoralreferent Klaus Nelißen, der mit dem Kreuz die Reise angetreten ist.

Berg der Kreuze / © Klaus Nelißen (Bistum Essen)

DOMRADIO.DE: Sie haben das Dialogkreuz des Ruhr-Bistums in den Koffer gepackt und mit nach Litauen genommen. Was hat Sie daran gereizt es zum Kryziu kalnas, dem Berg der Kreuze, der weltbekannten Wallfahrtsstätte im Norden von Litauen, zu bringen?

Klaus Nelißen (Pastoralreferent des Bistums Münster und stellvertretender Rundfunkbeauftragter der NRW-Bistümer beim WDR): Die Aktion, das Dialogkreuz aus Essen mitzunehmen, war ungefähr so spontan wie die Reise selber. Meine Frau und ich haben Mitte Mai überlegt in welches Land wir fahren können, wo es vielleicht etwas kühler ist und so kamen wir auf Litauen, wo ich persönlich schon zweimal gewesen bin, aber bislang nur in Vilnius zu Konferenzen. In der Befassung mit dem Land damals durch ein Heft vom Bonifatiuswerk ist mir dieser Berg der Kreuze aufgefallen und der hatte mich irgendwie fasziniert, den wollte ich mal sehen. So war dann für mich auf jeden Fall ganz klar, dass auf dieser Reise ein Besuch dort stattfinden würde.

Es gehört da zu einer guten Tradition, dass Menschen dort ihre Kreuze mitbringen. So hatte ich zum Beispiel auch ein Kreuz von einer verstorbenen Nenntante mitgenommen, ihren Rosenkranz. Das ist aber ihre Frömmigkeitsform gewesen. Aber ich fand das charmant, den dorthin zu hängen, weil ich dort auf Fotos schon gesehen habe, dass auch ganz viele Rosenkränze dort hängen.

Dann dachte ich mir aber, dass ich auch ein Kreuz mitnehmen möchte, was ein bisschen meiner Frömmigkeitshaltung entspricht. Das Essener Dialogkreuz habe ich mal vor ein paar Jahren von den Mitarbeitern aus dem Bistum Essen geschenkt bekommen. Diese Geste hatte mich damals sehr berührt, weil ich das nicht aus anderen Bistümern kenne, dass ich ein Kreuz geschenkt bekommen habe von denen. Beziehungsweise, dass die in so einem Prozess ein Kreuz gestaltet haben. Ich wüsste nicht, dass es beim pastoralen Zukunftsweg in Köln zum Beispiel so etwas gab. So dachte ich, dass ich mal ein etwas moderneres Kreuz an diesen Ort bringe, in dem Kreuze aller möglichen Schattierungen, Farben und Stile hängen. Aber dieses Kreuz, diese Form gab es sicherlich bis jetzt noch nicht dort.

Dialogkreuz aus Essen auf Berg der Kreuze in Litauen / © Klaus Nelißen (Bistum Essen)
Dialogkreuz aus Essen auf Berg der Kreuze in Litauen / © Klaus Nelißen ( Bistum Essen )

DOMRADIO.DE: Seit Jahrzehnten stellen pilgernde Menschen ganz unterschiedliche Kruzifixe aus Holz, Metall oder Plastik, mit Korpus oder ohne dort ab. Wie haben Sie den Ort erlebt?

Nelißen: Ich muss gestehen, das war der heißeste Tag unserer Reise. Es war über 30 Grad in sengender Hitze. Da ist etwas vielleicht von meiner persönlichen Frömmigkeit flöten gegangen, weil es dort einfach keinen Schatten gab. Mich hat eine Frau berührt, die wirklich in dieser Gluthitze dort vor einem Kreuz lange ausgeharrt hat und gebetet hat. Die war ungefähr so alt wie ich. Das fand ich schon stark.

Aber dennoch war ich sehr beeindruckt von über 50.000 Kreuzen, die man dort sieht, in allen möglichen Größen und Formen. Ganz viele Kreuze sind über und über behangen mit Rosenkränzen. Dann gibt es dort ganz große Christus-Figuren. Eine besondere Form der Ikonographie ist dort der "Christus in der Rast" heißt er oder "Der traurige Christus", der so nachdenklich den Kopf in die Hand legt. Das finde ich eine sehr faszinierende Darstellung. Die steht, glaube ich, ein bisschen sehr für den Katholizismus Litauens, der ja auch viel gelitten hat.

Also dieser Kreuzberg zum Beispiel wurde mehrfach von den Sowjets plattgemacht, die Kreuze wurden verscharrt. Kurze Zeit später haben aber die Litauer wieder dort Kreuze aufgestellt. Der litauische Katholizismus hat etwas von einer gesunden Widerständigkeit und gleichzeitig aber auch das Wissen darum, dass er wirklich über Jahrzehnte massiv verfolgt wurde. Wir kennen meistens nur die Geschichten des Katholizismus in Polen. Aber man muss klar sagen, die litauische Kirche hat mindestens genauso viel gelitten im Kommunismus wie die polnische. Und diesen Kreuzberg dann doch zu sehen mit diesem massiven Glaubenszeugnis, das hat mich schon sehr berührt.

DOMRADIO.DE: Für was steht denn für Sie dieses Kreuz, das Dialogkreuz, das Sie zu den Zehntausenden anderen gebracht haben?

Nelißen: Der Berg der Kreuze ist ein Ausdruck von Volksfrömmigkeit und Volksfrömmigkeit, hat doch immer etwas mit Kitsch zu tun. Und ich gestehe ich mag auch Kitsch, auch katholischen Kitsch. Das Dialogkreuz von Essen ist aber etwas ganz anderes. Es ist auch der Ausdruck des Glaubens eines Kirchenvolkes, aber Ausdruck eines Prozesses, nämlich dieses Dialogprozess, den das Bistum Essen geführt hat, um sich fit zu machen für das 21. Jahrhundert.

Danach wurde dieses Dialogkreuz dann auch zum Logo des Bistums, was ich total charmant finde. Das Kreuz ist aus Stahl gemacht und ist dadurch erst mal ganz stabil. Aber es ist nicht massiv, sondern es gibt immer wieder so Durchbrüche. Mich erinnert das von der Erscheinung an so eine Hüpfkästchenform und das finde ich ganz charmant, dass es dadurch etwas Verspieltes hat.

Dialogkreuz auf Berg der Kreuze / © Klaus Nelißen (Bistum Essen)
Dialogkreuz auf Berg der Kreuze / © Klaus Nelißen ( Bistum Essen )

Glaube hat für mich auch etwas mit Freude zu tun, Freude am Glauben. Ich bin gerne katholisch. Dieses Kreuz drückt einerseits das Robuste aus, das mein Glauben hat, aber auch die Verspieltheit. Ich fand, das hat da irgendwie auch seinen Platz. Es muss ja nicht immer nur triefend Eiche rustikal sein, was man dort sieht.

DOMRADIO.DE: Durch Litauen sind Sie auch noch weiter gereist. Wie haben Sie das Land erlebt mit seinen schönen und auch historisch beeindruckenden Kirchen? Zum Beispiel in Europas Kulturhauptstadt 2022, in Kaunas?

Nelißen: Ich könnte jetzt ins Schwärmen geraten. Litauen finde ich ein sehr faszinierendes Land. Die Einwohnerschaft ist ja ungefähr so groß wie Berlin, aber sie haben eine eigene Sprache, haben eine ganz eigene Art, das Katholischsein zu leben, siehe Berg der Kreuze. Ich bin ein großer Freund von Emmanuel Levinas, einem großen französischen Philosophen, der aber in Kaunas geboren wurde, und just in diesem Jahr wurde dort auch ein Zentrum für ihn eröffnet. Da bin ich gewesen und das hat mich auf eine Art und Weise sehr glücklich gemacht.

Das Land selber ist abwechslungsreich von der Natur her. Diese Kurischen Nehrung, vielleicht haben einige schon davon gehört. Thomas Mann hatte da sein Sommerhaus. Es wird ja auch die Sahara Europas genannt, mit ganz großen Wanderdünen. Wenn dann da die Birken in den Dünen in das Haff hineinwachsen, dann hat das so ein Karibik-Feeling nur im Norden und das finde ich enorm reizvoll.

Gleichzeitig aber noch mal diesen Reichtum da an Kirchen zu sehen, die ja fast alle enteignet waren in der Sowjetzeit. Einige wurden zu Radiofabriken umgebaut, andere wurden zu Großmärkten, andere zu Sporthallen. Das ging alles wieder zurück in die Hand der Kirche und seit knapp 30 Jahren baut die katholische Kirche quasi die Substanz wieder auf, die sie vorher gehabt hat. Da habe ich große Bewunderung für.

Das Essen dort ist lecker, kann man auch gut genießen. Die Stadt Kaunas, die jetzt Kulturhauptstadt ist, ist insofern hochspannend, weil sie nämlich zwischenzeitlich in den zwanziger/dreißiger Jahren des letzten Jahrhunderts Hauptstadt von Litauen gewesen war und es dadurch ein riesengroßes Bauprogramm gab. Es ist die größte Ansammlung von modernistischer, bei uns heißt das Bauhaus-Architektur in Europa. Fans von Architektur sollten auf jeden Fall mal nach Kaunas pilgern. Nicht unbedingt nur jetzt. Die Häuser werden nach und nach renoviert, es reicht auch in den nächsten Jahren dahin zu kommen.

DOMRADIO.DE: Wie gläubig haben Sie die Menschen im Baltikum kennengelernt? Wo liegen die Unterschiede zu den Christen hier bei uns?

Nelißen: Ich habe diese Abbildung von dem Jesus, der so etwas melancholisch wirkt, schon beschrieben. Der steht ein bisschen für mich, was mir den Eindruck gibt von der Art zu glauben dort. Denn Litauen und auch gerade die Katholiken Litauens, haben in ihrer Geschichte ganz oft Fremdbestimmung und Unterdrückung erfahren, vor allem im letzten Jahrhundert. Es gibt ungefähr 80 Prozent Katholiken, die heutzutage wieder sich zur Kirche rechnen. Viele wissen noch darum, wie zum Beispiel Priester in Gulags gesteckt wurden. Das steckt denen noch immer in den Klamotten, das merkt man auf eine Art und Weise.

Das Essener Dialogkreuz auf dem Berg der Kreuze in Litauen

Kitschig oder schlicht, aus Holz, Metall oder Plastik, mit Korpus oder ohne – seit Jahrzehnten stellen Menschen in Litauen Kruzifixe auf den Berg der Kreuze (Kryžiø kalna). Zehntausende sind so mittlerweile zusammengekommen. Seit Donnerstag steht auch ein Dialogkreuz des Bistums Essen an dem Wallfahrtsort im Norden der baltischen Republik. Mitgebracht und dort aufgestellt hat es der Kölner Theologe und Journalist Klaus Nelißen, der in diesem Sommer in Litauen unterwegs ist.

Berg der Kreuze / © Klaus Nelißen (Bistum Essen)

Dann noch ein ganz anderer Aspekt, der mich da sehr berührt hat. Als ich in Vilnius war, habe ich erfahren, dass in den zwanziger Jahren 150.000 Einwohner in Vilnius lebten, davon 100.000 Juden. Und die Deutschen haben es tatsächlich geschafft, knapp 100.000 dieser Juden umzubringen. Auf ziemlich bestialische Weise einfach in den Wäldern abgeschossen. Das kann einen als Deutschen nicht kalt lassen, wenn man nach Litauen fährt, sich damit auseinanderzusetzen. Das jüdische Erbe in Litauen ist leider größtenteils dahin. Jemand wie Emmanuel Levinas, der erwähnte Philosoph, war selber Jude und ist emigriert. Das haben die, die überlebt haben, ganz schnell getan. Das ist vorbei.

Dann hat mich aber am allerletzten Tag noch eine ganz kleine Beobachtung anders berührt zum Thema Glauben. Wir waren ganz am Schluss an der Burg Trakai. Das ist eine massive Wasserburg, wunderschön gelegen und vor 600 Jahren war da das Herz von Litauen. Der damalige Großfürst hatte dort Menschen aus der Krim rüber geholt, die sogenannten Karäer, die ihren Glauben aus dem Irak hatten, eine Mischung aus Judentum und Islam. Bis heute leben diese Karäer ganz selbstverständlich mit in Litauen. Ich habe das an vielen Orten erlebt, dass obwohl es ein sehr katholisches Land ist, es aber auch eine große Toleranz gab durch die Jahrhunderte gegenüber Juden, den Karäern, auch in einigen Städten gegenüber Reformierten und Protestanten. Da gibt es protestantisch gefärbte Städte.

Das spricht für mich so ein bisschen dafür, dass der litauische Katholizismus nicht so sehr so national verengt ist und verhärtet ist und sich absetzt gegen andere Glaubensrichtungen. Ich deute das eher als eine etwas tolerantere Form des östlichen Katholizismus. Das fand ich sehr sympathisch.

Das Interview führte Katharina Geiger.

Quelle:
DR