Tollkühnheit, Vermessenheit und Übermut kann man Bettina Grimm nun wahrlich nicht nachsagen. Und trotzdem ist die 54-Jährige am Kölner Dom mit Arbeiten betraut, die gerade das nahe legen könnten. Immerhin gehört für sie zum Tagesgeschäft, immer mal wieder himmelwärts, weit über sich selbst hinaus zu schauen und – bildlich gesprochen – höhere Ziele in den Blick zu nehmen – manchmal, so scheint’s, unerreichbar weit weg.
Doch kein Problem für die gelernte Restauratorin, die seit 17 Jahren am Kölner Dom tätig ist und sich bei ihrem Diplom-Studium auf Wandmalerei- und Steinrestaurierung spezialisiert hat. Eingestellt wurde sie 2005 jedoch für die regelmäßige Reinigung und Wartung der Domausstattung; mit ihrer besonderen Expertise und berufsbedingten Sensibilität gegenüber kostbaren Kunstschätzen sollte sie dem vielen Staub im Dom zu Leibe rücken. Die unzähligen Kerzen, Ruß und vor allem viel Luftbewegung, die allein durch die täglichen Massenströme an Touristen entsteht, sorgen für ein hohes Staubaufkommen, so dass Grimm immer wieder mit ihrem Sauger an den Pfeilern und Schnitzaltären entlangfährt, aber auch mit hochfeinen Pinseln und Polierbürsten, wie sie für die diffizilen Marmorgrabstätten oder auch das reich verzierte Chorgestühl erforderlich sind, anzutreffen ist. "Einmal wöchentlich ist das mein Revier, da wird der lose Staub entfernt. Den Rest machen Spezialfirmen."
Zahn der Zeit nagt an den goldenen Sternen im Gewölbe
Seit einigen Monaten ist die Fachfrau zudem mit einem Spezialauftrag befasst. Auch die etwa 200 Sterne im Gewölbe des gotischen Chores sollen generalgereinigt werden und anlässlich des 700-Jahr-Jubiläums wieder in vollem Glanz erstrahlen. Über die Zeit büßen auch sie an Leuchtkraft ein und werden matt. Denn selbst in Schwindel erringender Höhe kann sich bei den kleinen Himmelskörpern eine Menge Schmutz ablagern und die goldene Oberfläche erodieren, zumindest jedoch durch viel aufgewirbelte Fremdmaterie in der Luft stark in Mitleidenschaft gezogen werden. Aus dem Mittelalter stammen vermutlich nur noch ein paar wenige Exemplare. "Die meisten sind aus dem 19. Jahrhundert, also aus der Phase nach dem Weiterbau des Domes 1842", weiß Grimm, "so dass der Zahn der Zeit ganz schön an den meisten dieser Ornamente genagt hat, das Sternenzelt in 40 Metern über dem Boden aber genauso unsere Aufmerksamkeit verdient wie auch die vielen Kleinodien in Reichweite."
Gereinigt oder ausgetauscht würden diese Sterne nur alle paar Jahrzehnte. "Dafür ist schon erheblicher logistischer Aufwand nötig. Daher schieben wir eine solche Detailarbeit immer mal dazwischen und nehmen uns die Exemplare vor, die es am nötigsten haben. Schließlich klappt die ganze Aktion nur zu zweit", erklärt Grimm. Einer müsse über das Außengewölbe gehen und durch das in der Decke ausgeschnittene Revisionsloch den Stern in den Innenraum herunterlassen. Der andere bleibe in Funkkontakt und seile unten den Stern ab, um ihn gegen einen neu vergoldeten auszutauschen und diesen auf demselben Weg wieder nach oben zu schicken. "Im mittelalterlichen Domtorso waren diese Revisionslöcher geschlossen", erklärt die Restauratorin. "Wurden in jüngerer Zeit aber Reparaturen im Gewölbe notwendig, konnten über diese Öffnungen Seile hinuntergelassen werden, um daran die entsprechenden Gerüste zu befestigen."
Mit Wolfgang Hippler, der als Maler in der Dombauhütte angestellt und seit über 30 Jahren für Vergoldungen und zu konservierende Oberflächenbeschichtungen von Metallen zuständig ist, hat Grimm einen Fachmann an der Seite, der sich auf Feinarbeiten dieser Art versteht. Etliche Sterne haben die beiden schon gemeinsam vom Himmel geholt und sind als eingespieltes Team dabei höchst behutsam vorgegangen. "Schließlich ist auch das – wie vieles am Dom – Maßarbeit", betont die Restauratorin. "Wenn man an die Decke schaut, soll alles makellos aussehen. Auf unser himmlisches Jerusalem legen wir schon großen Wert. Und ab und zu im wahrsten Sinne des Wortes nach den Sternen zu greifen ist Teil meines Jobs", lacht Grimm.
Die Sterne sind im Durchmesser etwa 20 bis 25 Zentimeter groß und von unterschiedlichem Ausmaß. "Nicht jeder Stern ist gleich", erläutert Hippler, "allenfalls ähnlich gestaltet. Der eine ist mit Abkantungen versehen, der andere nicht." Seine Aufgabe bestehe darin, das Zinkblech zu reinigen und mit einer hauchdünnen Schicht Blattgold wieder neu zu überziehen. "Daran bleibt nämlich mitunter der Dreck von Jahrzehnten hängen. Auch das Skelett eines toten Vogels, der sich wohl im weiten Gewölbe verirrt hat, haben wir schon im Hohlraum eines dieser Sterne gefunden." Und die Exemplare in den Zwickeln der Kreuzgrate seien als Staubfänger nun mal ganz besonders anfällig. Das habe mit der Architektur zu tun. "An diesen Stellen bleibt eben mehr kleben." Grundsätzlich versucht Hippler immer, das Original zu retten. "Aufhübschen nenne ich das. Manche Sterne aber sind so marode, dass unser Schmied einen neuen anfertigen muss", so der langjährige Mitarbeiter der Dombauhütte.
Die Wahl auf den jeweiligen Stern fällt nach Dringlichkeit
An diesem Vormittag ist einer der Sterne rund um einen Schlussstein dran. Restauratorin Grimm und Malermeister Hippler legen den Kopf tief in den Nacken, als sie senkrecht nach oben schauen, und verabreden genau, welchen sie sich vornehmen, überprüfen gegebenenfalls ihre Wahl ob der Dringlichkeit des gewählten Objektes mit dem Fernrohr. Alles Weitere läuft nur noch fernmündlich, denn nun fährt Hippler mit dem Außenfahrstuhl unters Dach des Domes. Es dauert etwa zehn Minuten, da meldet er sich auch schon, und bei genauem Hinsehen bewegt sich schließlich an der Decke kaum merklich etwas. "Ich lasse den Stern nun hinunter", spricht er in sein Funkgerät. Und in der Tat schwebt das golden schimmernde Etwas langsam durch den Chorrraum – wie ein winziger Leuchtkörper am Firmament. Unten nimmt Grimm das kleine Zierwerk entgegen, begutachtet es und befestigt einen neuen Stern mit Kupferdraht an einer feinen Schnur. "Nun funkelt der wieder", befindet Bettina Grimm sichtlich zufrieden. "Die Heiligen Drei Könige hätten ihre wahre Freude an Wegweisern wie diesen gehabt."