Der Nuntius sagte dem ukrainischen Portal "Focus", seit Februar habe die vatikanische Diplomatie trotz vielfacher Initiativen und intensiver Bemühungen fast keine Erfolge mit Russland zu verbuchen. "Es gibt null Ergebnisse", so der Diplomat; das sei "erschreckend".
Kulbokas erläuterte, Franziskus verstehe seine Mission als die eines Hirten, nicht eines Politikers. So sei auch zu erklären, warum der Papst eine eindeutige Schuldzuweisung für den Krieg vermeide. Kardinalstaatssekretär Pietro Parolin etwa spreche zwar immer von einer russischen Aggression und Russlands Angriff auf die Ukraine. "Jeder versteht, was vor sich geht", so der Vatikan-Botschafter. "Aber das Problem ist, dass, wenn Parolin oder ich darüber sprechen, niemand darauf achtet. Alle warten auf die Worte des Papstes." Und Franziskus entscheide selbst, welche Worte er sage und welche Konzepte er verfolge; "und das sind nicht immer die, die wir anbieten", so Kulbokas.
Papst bleibt "betender Priester"
Der Vatikan-Diplomat betonte, die Aufgabe des Hirten sei niemals, öffentlich zu verurteilen. Der Papst kümmere sich und erkundige sich, "aber nicht öffentlich". Zugleich wisse er, "dass es nicht viele Länder und nicht viele Personen gibt, die womöglich Vermittler sein könnten". Wenn Russland die Ukraine angegriffen hat, sage "die menschliche Logik, dass es keinen Raum für eine solche Vermittlung gibt". Der Papst bleibe aber "ein betender Priester", der erhoffe, "was für die menschliche Logik unmöglich ist". Das erkläre, so Kulbokas, warum Franziskus auch Optionen wähle, "die nicht diejenigen sind, die die Menschen in der Ukraine hören wollen".
Bisher gebe es leider kein Signal aus der Russischen Föderation, dass sie den Papst "als Vermittler akzeptieren wollen", erklärte der Diplomat; höchstens kleine Signale, aber "keine Informationen über ernsthafte Schritte". Das bedeute, dass sich die russischen Absichten hinsichtlich der Ukraine nicht geändert hätten, "daher gibt es kein Ergebnis". Dasselbe gelte für die Absicht von Papst Franziskus, sich gemeinsam mit dem russisch-orthodoxen Patriarchen Kyrill I. gegen den Krieg auszusprechen. Es gebe in Moskau keine Bereitschaft dazu.
Kontakte weiter "unzureichend"
Kulbokas verriet in dem Interview, dass der Papst noch Mitte Mai sehr konkret vorgehabt habe, in die belagerte Stadt Mariupol zu reisen; und das trotz seiner damals sehr schlechten Gesundheit. In der russischen Führung habe es jedoch keinerlei Zugeständnisse gegeben, was die Belagerung des Stahlwerks Asow und einen möglichen Abzug der Verteidiger angeht. Der Papst habe als "moralischer Garant" für einen Abzug unter Achtung der Menschenrechte fungieren wollen.
Zu den Kontakten zwischen dem Heiligen Stuhl und der Russischen Föderation sagte der Vatikan-Botschafter, diese hätten sich zwar in den vergangenen Jahren entwickelt, seien aber weiter "unzureichend". Die Tatsache, dass Franziskus nicht in der Lage sei, offiziell Russland zu besuchen, bedeute, dass die Verbindungen "noch kein hohes Niveau erreicht haben".
Zu einem möglichen Ukraine-Besuch des Kirchenoberhaupts sagte Kulbokas, für den Papst sei es viel schwieriger, in die Ukraine zu reisen, als für Politiker. Für diese sei es unter Umständen akzeptabel, wenn ihr Besuch erst im Nachhinein bekannt werde. Für den Papst sei das nicht der Sinn eines Besuchs: "Er sollte nicht heimlich kommen, sich nur mit dem Präsidenten treffen, nur Butscha, Irpen oder Borodjanka besuchen; er sollte Menschen begegnen - Opfern, Familien von Gefangenen, Getöteten" und Vertretern der Gesellschaft. Er selbst, so der Vatikan-Diplomat, hoffe weiter darauf, dass der Zeitpunkt für einen solchen Besuch bald komme.