DOMRADIO.DE: Das ging hoch her gestern in der Synodalversammlung. Wie hast du das erlebt?
Renardo Schlegelmilch (DOMRADIO.DE-Reporter beim Synodalen Weg): Eigentlich hatten wir einen relativ ruhigen, man könnte fast schon sagen langweiligen Tag erwartet. Abstimmungen, pro, contra, Änderungsanträge. Abgestimmt wurde auch über den Grundtext zum Thema Sexualität, den Text "Leben in gelingenden Beziehungen" an dem jetzt über zwei Jahre gearbeitet wurde. Da steht drin, dass die Kirche homosexuelle Beziehungen akzeptiert, dass diese gottgewollt sind, aber auch, dass man sich abwendet vom Bild, dass es nur Mann und Frau gibt. Dieser Text hat eine große Mehrheit im Plenum bekommen, über 80 Prozent. Auch über 60 Prozent der Bischöfe haben dafür gestimmt, nötig wären aber zwei Drittel gewesen. Das heißt, da haben im Endeffekt vielleicht drei oder vier Stimmen gefehlt - und deshalb steht jetzt das ganze Projekt Synodaler Weg in Frage.
DOMRADIO.DE: Warum das denn? Wenn nur ein einzelner Text abgelehnt wurde?
Schlegelmilch: Einerseits weil das ein sehr zentraler Text ist. Es geht um Sexualität, also auch um sexualisierte Gewalt, sprich Missbrauch. Die Grundidee des Synodalen Weges ist es ja, Missbrauch zu bekämpfen, und um da die Grundausrichtung der Kirche zu ändern, gab es anscheinend keine genügende Mehrheit.
DOMRADIO.DE: ...und einiges an Ärger darüber in der Synodalversammlung.
Schlegelmilch: Genau, der Vorwurf ging an die konservative Seite, also die Bischöfe die gegen diesen Entwurf gestimmt haben, sie hätten sich doch lieber schon früher - schon während der Diskussion in den letzten zwei Jahren - zu Wort melden sollen, dann hätte man was ändern können. Jetzt ist es zu spät und der Text ist abgelehnt. Die Vertreter der konservativen Seite, das sind zum Beispiel die Kölner Weihbischöfe, oder Passaus Bischof Oster, haben sich beklagt, dass im Plenum so eine aufgeheizte Stimmung geherrscht hat, dass sich viele, die anderer Meinung waren, vielleicht nicht getraut haben das deutlich zu machen. Da mag vielleicht was dran sein, ich erinnere an frühere Synodalversammlungen, wo so Sätze fielen, wie: Wer gegen diesen Text stimmt, ist für Missbrauch. Sei's drum, der Text ist nun abgelehnt. und die Frage ist wie es jetzt weiter geht.
DOMRADIO.DE: Ja, wie geht es jetzt weiter?
Schlegelmilch: Darauf hatte man gestern Abend noch keine Antwort. Bis in die Nacht haben die beiden Fraktionen, also die Bischöfe und die Laien vom Zentralkomitee der deutschen Katholiken getrennt getagt. Und Vermutungen und Spekulationen gab es viele. Es haben zum Beispiel die Vertreter der Missbrauchsbetroffenen aus Protest gestern den Saal verlassen, auch einige Jugendvertreter. Das heißt, de facto ist die Sitzung jetzt eigentlich nicht mehr repräsentativ, denn es fehlen die Menschen, um die es ja gehen soll. Es gibt verschiedene Ideen, es gab den Wunsch noch mal abzustimmen. So funktioniert nur leider Demokratie nicht. Oder man möge die einzelnen Handlungstexte, die jetzt auf dem Plan stehen, weiter abstimmen. Das Problem daran ist: Da man jetzt einmal weiß, dass die 1/3-Sperrminorität der Bischöfe da ist und diese Minorität auch genutzt wird, könnte man denken, dass es bei allen anderen Texten genau so läuft. Macht man weiter? Bricht man ab? Eigentlich ist beides falsch, damit sitzen die Organisatoren in einer ziemlichen Zwickmühle. Ab neun Uhr soll auf alle Fälle wieder öffentlich getagt werden, dann wissen wir mehr.
DOMRADIO.DE: Turbulente Zeiten. Was denkst du da persönlich drüber?
Schlegelmilch: Mir sagte gestern Abend ein britischer Kollege, der die Tagung verfolgt, und gerade vom Tod von Queen Elizabeth erfahren hatte: Heute ist der Anbruch einer neuen Ära, auf zwei Ebenen. Ich glaube damit hat er recht. Nicht nur die Königin ist tot, sondern in gewissem Sinne auch die Illusion, dass Reform in der deutschen Kirche einmütig und mit einer demokratischen Abstimmung einfach so durchgewunken werden kann. Egal was jetzt passiert, der Weg wird noch komplizierter. Spannend ist zum Beispiel auch, wie der Vatikan reagiert, der dem Prozess von Anfang an sehr kritisch gegenüber stand. Auf alle Fälle wird die deutsche Kirche jetzt nicht mehr mit Selbstbewusstsein in die Welt treten können, mit dem Mantra: Wir gehen in Einmütigkeit voran.
Das Interview führte Martin Mölder.