DOMRADIO.DE: Welchen Fundus hat der christliche Glaube für die Gesellschaft?
Prälat Karl Jüsten (Leiter des Kommissariats der deutschen Bischöfe): Einmal gibt es in unserem Evangelium ganz viele Hinweise, was man tun sollte, um ein gutes Leben zu führen und was gut ist, damit Leben gut gelingen kann. Da sind schon mal ganz gute Eckpfeiler darin gegeben, an denen man sich orientieren kann.
Dann haben sowohl die evangelische Kirche wie die katholische Kirche die Soziallehre und Sozialethik. Da gibt es dann auch mit Hilfe der wissenschaftlichen Erkenntnis Ideen und Ideale, wo es sich lohnt, dass die in die Politik eingebracht werden und dass sie dann auch dazu beitragen, dass das Leben für die Menschen besser wird.
DOMRADIO.DE: Viele Menschen haben mit der Kirche gebrochen oder sind selbst auch keine Christen mehr. Was bedeutet da das "C" noch bei den Christdemokraten?
Jüsten: Der Vorsitzende der Partei, Friedrich Merz, hat das ja auch noch einmal sehr deutlich gemacht, wie wichtig das "C" für die CDU ist. Einmal ist es, glaube ich, ein Kompass. Der christliche Glaube richtet sich ja immer an die, die selber gläubig sind. Aber er ist mit seinen Idealen auch offen für andere Menschen.
Und das ist für die CDU wahrscheinlich die große Herausforderung, angesichts der Schwäche, in der die Kirchen sich befinden, angesichts der Säkularisierung zu sagen, dass wir trotzdem im Glauben so viele Antworten auf die Fragen des Lebens finden, dass auch Menschen, die sich abgewandt haben oder die sich nicht Christen nennen, produktive Antworten für das Leben finden.
Das ist für die Partei sehr wichtig, wenn sie Volkspartei bleiben will. Denn sonst wird sie sich irgendwann, wenn sie sich nur noch auf die Kirchenmitglieder bezieht, selbst marginalisieren.
DOMRADIO.DE: Jetzt kommen einige Herausforderungen auf unsere Gesellschaft zu. Wir haben enorm steigende Energiekosten, wir haben die Inflation. Das trifft besonders die armen Familien. Welche Verantwortung hat denn da die CDU auch aus christlicher Perspektive?
Jüsten: Wir haben das große Gebot der Nächstenliebe. Und Nächstenliebe ist ja nicht nur mein unmittelbar Nächster, sondern davon leitet sich ja auch die soziale Liebe ab. Das heißt, eine Politik muss immer die im Blick haben, die aus sich heraus nicht mehr in der Lage sind, selbst die Probleme des Lebens meistern zu können.
Dann muss der Staat helfen und das ist die Grundlage für das Subsidiaritätsprinzip und auch für das Solidaritätsprinzip. Das leitet sich im Grunde alles von der Nächstenliebe ab. Und eine christliche Partei muss das natürlich vorneweg haben, das heißt, sie muss die Schwächsten und die Vulnerablen der Gesellschaft immer besonders im Blick haben.
DOMRADIO.DE: Nun gibt es in der katholischen Kirche ja aber auch zur Zeit viel Streit. Es fällt immer schwerer, sich auch für diese Kirche zu begeistern, die so zerstritten ist. Wie kann da der christliche Glaube weiterhin faszinierend sein, auch in oder für die CDU?
Jüsten: Zunächst einmal finde ich Streit gar nicht so schlimm, weil Streit sagt ja, dass es wichtig ist, dass man um eine Sache ringt und dass man um Positionen ringt. Das erleben wir jetzt in diesen Tagen beim Synodalen Weg. Wir sind es vielleicht nicht so gewohnt, dass wir Streit in der Kirche öffentlich ausführen. Aber das finde ich eher positiv.
Junge Leute streiten ja auch und wollen auch diskutieren und wollen die richtigen Antworten auf die entscheidenden Fragen finden. Von daher finde ich das jetzt erst einmal gar nicht so schlimm. Die Frage ist nur, ob der Streit destruktiv ist oder ob er zu produktiven Ergebnissen führt, ob etwas Neues dabei herauskommt.
Wenn die CDU jetzt etwa diskutiert, ob sie eine Frauenquote haben wollen, weil die Frauen das in der Partei berücksichtigt wissen wollen, dann muss das strittig errungen werden und dann kann sich die Partei neu aufstellen. So ist das in der Kirche selber auch.
Wenn wir etwa auf dem Synodalen Weg diskutieren, wie man die Sexualität neu bewerten möchte oder wie die Rolle der Frau in der Kirche ist, dann wird das auch nicht ohne Streit gehen. Aber nur so kann auch etwas Neues entstehen. Und das ist ja positiv. Der christliche Glaube ist ja grundsätzlich offen für Neues.
DOMRADIO.DE: Friedrich Merz ist katholisch aufgewachsen und auch so geprägt. Welche Rolle spielt denn der Glaube für den Parteivorsitzenden und wie strahlt das vielleicht auch auf die Partei aus?
Jüsten: Ich kenne Friedrich Merz schon seit vielen Jahren und da weiß ich genau, dass er im tiefen Inneren wirklich auch religiös geprägt ist. Das hat er gerade auch in seiner Rede noch einmal deutlich gemacht. Ich glaube, diese innere Haltung, die spüren die Delegierten und deshalb ist er jetzt hier auch so akzeptiert.
Das Interview führte Elena Hong.