DOMRADIO.DE: Wir können, glaube ich, sagen, dass der Konflikt zwischen Armenien und Aserbaidschan nicht zu den präsentesten bei uns in den westlichen Medien gehört. Der Konflikt ist nicht neu, er besteht seit Jahrzehnten. Klären wir zum Einstieg noch mal: Worum geht es bei diesem Konflikt überhaupt?
Martin Thalhammer (Länderreferent bei Caritas International): Wie Sie schon gesagt haben; der Konflikt dauert schon seit vielen Jahrzehnten an. Auf armenischer Seite ist natürlich im kollektiven Gedächtnis ganz zentral der Völkermord von 1915, als damals während des Osmanischen Reiches schon bis zu 1 Million Armenier getötet und umgekommen sind.
Konkret geht der Konflikt um Bergkarabach auf das Ende der Sowjetunion zurück. Die Region liegt im Westen Aserbaidschans und ist mehrheitlich von Armeniern bewohnt. Und im Zuge des Zusammenbruchs der Sowjetunion ging es dann um Grenzstreitigkeiten bzw. Streitigkeiten um die Selbstbestimmung und Autonomie der Armenier in dieser Region. Zum Ende der Sowjetzeit eskalierte dann der Konflikt und hat dann zu einem blutigen Krieg zwischen 1992 und 1994 geführt, wo auf beiden Seiten eine Vielzahl von Todesopfern zu beklagen sind, zehntausende insgesamt. Über eine Million Menschen sind auch vertrieben worden; damals hauptsächlich auf aserbaidschanische Seite.
Bergkarabach konnte damals seine Unabhängigkeit militärisch bewahren. Dann kam es zu einem Waffenstillstand über die letzten Jahrzehnte, also nach 1994, der allerdings immer wieder sehr brüchig war und dann 2020 zu einem zweiten Bergkarabach-Krieg geführt hat.
DOMRADIO.DE: Und jetzt ist ja dieser Konflikt wieder aufgeflammt. Es gab viele Tote bei dem Angriff vergangene Woche. Was war dann der Grund, dass der Konflikt jetzt wieder aufgeflammt ist?
Thalhammer: Der Grund ist schwierig zu sagen. Die beiden Seiten geben sich gegenseitig die Schuld dafür. Von aserbaidschanische Seite wurde berichtet, dass Armenien anscheinend gewisse Straßen vermint hätte, um die Bewegung der aserbaidschanischen Truppen zu stören und zu verhindern. Von armenischer Seite wurde berichtet, dass es dann ein geplanter Angriff auf Armenien war. Was hier eine zentrale Rolle spielt, ist, dass es nicht um Kämpfe um Bergkarabach ging, sondern dass es erstmals um Auseinandersetzungen an der Grenze zwischen Armenien und Aserbaidschan ging. Es ist also das erste Mal, dass an der Grenze der zwei Kernländer Krieg geführt wird.
DOMRADIO.DE: In diesem Konflikt spielt ja auch Russland eine Rolle. Welche ist das?
Thalhammer: Es ist im Moment schwierig, die konkrete Rolle Russlands in der letzten Woche zu beleuchten, da kann man nur spekulieren. Aber traditionell ist Russland die Schutzmacht Armeniens und unterstützt Armenien in diesem Konflikt. Allerdings unterhält Russland natürlich auch gute Beziehungen zu Aserbaidschan als eine der ehemaligen Sowjetrepubliken.
Die Truppen, die den Waffenstillstand von 2020 absichern sollten, sind natürlich an der Grenze zu Bergkarabach. Und vergangene Woche haben sie auch in die Kämpfe nicht eingegriffen, weil eben die Kämpfe erstmalig an der Staatsgrenze stattgefunden haben und eben nicht mehr in der umstrittenen Region Berggkarabach.
DOMRADIO.DE: Die Caritas hilft ja auch vor Ort. Wie dramatisch ist da denn die Situation, gerade auch für Zivilistinnen und Zivilisten?
Thalhammer: Die Situation ist sehr dramatisch. Unter den Todesopfern sind hauptsächlich Angehörige der offiziellen Streitkräfte und Grenztruppen. Allerdings sind auch zivile Todesopfer zu beklagen. Auf armenischer Seite gibt es über 7000 Geflüchtete und Vertriebene aus der Grenzregion.
Die Caritas Armenien als Partner von Caritas International unterstützt schon seit 2020 die Geflüchteten aus der Region Berg-Karabach. Dabei geht es hauptsächlich um Unterstützung bei Unterbringung und Hilfe bei Wohnungen. Da geht es vor allem um Wärme-Isolierungen der Wohnungen und Ausbau der Sanitäranlagen, aber auch um Unterstützung, um den eigenen Lebensunterhalt zu verdienen. Zum Beispiel durch Hühner, Schweine oder Agrarmaßnahmen. Aber auch zum Beispiel durch die Anschaffung eines Backofens oder Nähmaschinen, so dass man einfach sein eigenes kleines Geschäft, eine Art Start up realisieren kann. Konkret jetzt in der akuten Krise kommt eine Bargeldunterstützung hinzu, da viele Geflüchteten ihr Haus, ihr Hab und Gut daheim zurücklassen haben müssen.
Das Interview führte Julia Reck.