Friedensaktivist setzt trotz Teilmobilmachung auf Diplomatie

"Es muss Verhandlungen geben"

Nach der russischen Ankündigung einer Teilmobilmachung scheint eine friedliche Lösung im Krieg gegen die Ukraine kaum denkbar. Wie bewerten Friedensbewegungen die Situation? Pax Christi sieht jetzt auch den Vatikan in der Pflicht.

Frieden scheint derzeit im Krieg gegen die Ukraine kaum möglich.
Frieden scheint derzeit im Krieg gegen die Ukraine kaum möglich.

DOMRADIO.DE: Wie haben Sie die TV-Ansprache vom russischen Präsidenten Wladimir Putin zur Teilmobilmachung wahrgenommen? Wie ist sie aus Ihrer Sicht einzuordnen?

Gerold König (Bundesvorsitzender der katholischen Friedensbewegung Pax Christi): Ich war zunächst mal geschockt, weil Putin damit eine neue Eskalationsstufe errichtet hat. Durch die Ankündigung der Referenden in den ukrainischen Regionen sagte er ja, dass sich die Grenze zu Russland in die Ukraine verschiebt, wenn das Referendum positiv ausgeht. Damit würde die Ukraine keine Verteidigung mehr praktizieren, sondern dann auf Angriff gegen Russland setzen.

Vereinte Nationen in New York / © Alex Foxius (DR)
Vereinte Nationen in New York / © Alex Foxius ( DR )

Allerdings ist auch klar, dass diese Referenden völkerrechtlich überhaupt nicht anerkannt werden. Das hat die UN auch schon sehr deutlich gesagt. Die Referenden können nicht anerkannt werden, weil die Menschen gar nicht mehr da sind, die mitentscheiden könnten. Die mussten fliehen.

Die Teilmobilmachung ist genauso schockierend, weil Putin dadurch beweist, dass er keine Einsicht auf das Unrecht zeigt, was er tut und nach wie vor dabei bleibt, dass er Ansprüche hat, die er geltend machen kann. Die Teilmobilmachung ist eine Verschärfung der Positionen.

DOMRADIO.DE: Es wird darüber diskutiert, dass die Ukraine mehr Waffen benötigt. Da wird auch über Waffengattungen gesprochen und die Notwendigkeit, dass auch Deutschland mehr schweres Kriegsgerät in die Ukraine liefern soll. Wie stehen Sie denn dazu?

König: Waffenlieferungen sind schon seit Kriegsbeginn immer wieder Thema bei uns und es haben sich einige auch in der Politik zu Waffenexperten entwickelt.

Mein Problem dabei ist, dass wir mittlerweile mehr Waffenexperten haben als diejenigen, die auf Verhandlungen setzen. Es darf und kann nicht sein, dass dieser Krieg weiterhin nur mit Waffen gelöst werden soll und es nur um Sieg oder Niederlage gehen kann. Das darf nicht sein, es muss auf Verhandlungen gesetzt werden.

Also, auch wenn immer mal wieder das Argument zu hören ist, mit Putin kann man nicht verhandeln.

DOMRADIO.DE: Da ist doch gar kein Spielraum...

König: Na ja, das kann man so sehen oder kann man auch anders sehen. Es gibt auch Beispiele, dass Bundeskanzler Olaf Scholz über eine Stunde mit ihm telefoniert hat, der franzöische Präsident Macron in regelmäßigen Abständen mit ihm telefoniert.

Gerold König, Pax Christi

"Der diplomatische Weg darf nicht eingefroren werden."

Ich glaube, es müssen noch weitere diplomatische Züge unternommen werden. Dass zum Beispiel auch der Vatikan einschreitet, dass der Papst klar Stellung bezieht und dass die UN noch deutlicher einschreitet und Putin nicht zwingt, aber zumindest zu Verhandlungen bewegt.

Genauso muss auch der ukrainische Präsident Selenskyj zu Verhandlungen bereit sein. Aber die Bereitschaft ist im Moment nicht gegeben. Der diplomatische Weg darf nicht eingefroren werden. Indem man nur über Waffenlieferungen redet, bleibt der diplomatische Weg verschlossen und stumm.

DOMRADIO.DE: Friedensorganisationen wird oft vorgeworfen, dass sie blauäugig oder naiv diese ganze Situation bewerten, wenn sie auf Verhandlungen mit Putin hoffen. Denn so heißt es dann oft, der russische Präsident verstehe nur Härte und klare militärische Antworten.

König: Ich glaube, dass es nicht naiv ist. Putin setzt auf Härte und auf Gewalt. Das hat er vielfältig bewiesen. Aber der Friedensbewegung Naivität vorzuwerfen? Das kann man tun. Wir sind vielleicht naiv, aber vielleicht ist der Naive der Stärkere, der auch Alternativen aufzeigen kann. Alternativen sind zum Beispiel Verhandlungen.

Gerold König, Pax Christi

"Wir sind vielleicht naiv, aber vielleicht ist der Naive der Stärkere, der auch Alternativen aufzeigen kann."

Grundsätzlich ist es schon so, dass uns dieser Krieg friedensethisch - wie alle anderen Kriege auch - erneut mit dem Dilemma des Einsatzes von Gewalt konfrontiert. Friedensbewegung steht natürlich in erster Linie für Gewaltfreiheit. Wir haben in den Anfängen des Krieges gesagt: "Das ist ein Verteidigungskrieg, und Waffen dürfen geliefert werden, solange verteidigt werden muss und keine weiteren Menschenleben gefährdet werden." Aber ich finde, dass diese rote Linie mittlerweile schon überschritten ist.

Es geht nur noch um Gewalt, um Vernichtung. So wie bei Putin. Ich bin sicherlich überhaupt kein Putin-Freund, aber solange Putin mit der Vernichtung der Ukraine droht, setzt auch die Ukraine im Moment nur noch auf Vernichtung und auf Stärke und aufs Gewinnen. Das darf nicht das Ziel sein.

DOMRADIO.DE: Auch der Einsatz von Atomwaffen kam bereits ins Gespräch. Halten Sie es für wahrscheinlich, dass Putin das wirklich macht?

König: Vor einem Atomwaffen-Angriff muss ich ganz ehrlich sagen, habe ich keine Angst, weil ich glaube, dass sich Russland mit einem Atomwaffen-Angriff genauso schadet, wie er damit auch anderen Ländern schadet.

DOMRADIO.DE: Das tut er mit dem Krieg auch schon.

König: Aber meine größee Sorge ist vielmehr das besetzte Atomkraftwerk, was für mich eine riesengroße Gefahr darstellt, die meiner Ansicht nach im Moment noch unterschätzt wird. Wenn dieses Atomkraftwerk explodiert oder weiterhin beschossen wird, kann es zu einem Supergau kommen, der territorial eingeschränkter ist als der Einsatz von Atomwaffen. Das, denke ich, muss auch verhindert werden.

DOMRADIO.DE: Haben Sie denn Hoffnung, dass die Situation sich entspannen könnte, vielleicht ein Waffenstillstand in der Zukunft da in Aussicht steht?

Gerold König, Pax Christi

"Dieser aggressive Überfall muss zurückgewiesen und auch bestraft werden."

König: Wenn Sie nach Hoffnung fragen: Ich hoffe natürlich, dass es zu einem Waffenstillstand und zu Verhandlungen kommt und dort Lösungen gefunden werden, die beide Seiten für sich rechtfertigen können und klar haben können.

Putin hat diesen Krieg angefangen. Er hat einen aggressiven Überfall gestartet. Dieser aggressive Überfall muss zurückgewiesen und auch bestraft werden. Dennoch muss es Verhandlungen geben und es muss Frieden geben, weil es nicht sein kann, dass dieser Krieg weitergeführt wird.

Das Interview führte Elena Hong.

Pax Christi

pax christi ist eine ökumenische Friedensbewegung in der katholischen Kirche. Sie verbindet Gebet und Aktion und arbeitet in der Tradition der Friedenslehre des II. Vatikanischen Konzils. 

Der pax christi Deutsche Sektion e.V. ist Mitglied des weltweiten Friedensnetzes Pax Christi International.

Entstanden ist die pax christi-Bewegung am Ende des II. Weltkrieges, als französische Christinnen und Christen ihren deutschen Schwestern und Brüdern zur Versöhnung die Hand reichten. (pax christi)

Friedenstauben (dpa)
Friedenstauben / ( dpa )

 

Quelle:
DR
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