EKD-Kulturbeauftragter enttäuscht über "Judensau"-Verbleib

Aufarbeitung von Judenhass nicht abgeschlossen

Die Wittenberger "Judensau" darf an der Stadtkirche bleiben, so die Entscheidung des evangelischen Gemeindekirchenrats. Darüber ist der EKD-Kulturbeauftrage enttäuscht. Er sieht allerdings die Gedenkkultur damit nicht abgeschlossen.

Autor/in:
Von Franziska Hein
Darstellung in Wittenberg / © Norbert Neetz (KNA)
Darstellung in Wittenberg / © Norbert Neetz ( KNA )

Der Kulturbeauftragte der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Johann Hinrich Claussen, hat sich enttäuscht über den Verbleib der Wittenberger "Judensau" an der Stadtkirche geäußert. Er könne zwar die Entscheidung des evangelischen Gemeindekirchenrats inhaltlich nachvollziehen, sei aber über die Art und Weise verärgert, sagte Claussen am Donnerstag. Der Wittenberger Gemeindekirchenrat hatte am Mittwoch nach jahrelangem Streit bekannt gegeben, dass die "Judensau" an der evangelischen Stadtkirche verbleiben soll.

Entscheidung ohne Expertenbeirat

Der Expertenbeirat, den die Gemeinde 2020 eingesetzt hatte und der nach langer Arbeit eine Empfehlung ausgesprochen habe, sei nie zu einem Gespräch eingeladen worden, sagte Claussen, der selbst Mitglied des Beirats war. Zudem seien die beteiligten Fachleute nicht über die Entscheidung informiert worden. Der Expertenbeirat hatte im Juli die Empfehlung ausgesprochen, die Schmähskulptur von der Fassade zu entfernen und in unmittelbarer Nähe kommentiert auszustellen.

Das Stichwort: Die Wittenberger "Judensau"

Das Sandsteinrelief wurde um das Jahr 1300 an der Südfassade der Stadtkirche Wittenberg angebracht. Es zeigt eine Sau, an deren Zitzen sich Menschen laben, die Juden darstellen sollen. Ein Rabbiner blickt dem Tier unter den Schwanz und in den After. Schweine gelten im Judentum als unrein.

Mit solchen Darstellungen sollten Juden im Mittelalter unter anderem davon abgeschreckt werden, sich in der jeweiligen Stadt niederzulassen. Ähnliche Spottplastiken finden sich auch am oder im Kölner und Regensburger Dom sowie am Dom zu Brandenburg.

Antijüdisches Relief in Wittenberg / © Norbert Neetz/epd-bild (KNA)
Antijüdisches Relief in Wittenberg / © Norbert Neetz/epd-bild ( KNA )

Claussen sagte, die Entscheidung eines einzelnen Gemeindekirchenrats strahle auf die gesamte evangelische Kirche in Deutschland aus. Dabei werde verdeckt, wie andere Kirchengemeinden mit ähnlichen Plastiken umgehen. Claussen verwies etwa auf eine ähnliche Schmähskulptur an der Nürnberger Sebalduskirche. Die Darstellung stammt aus der Zeit um 1380 und befindet sich versteckt an einem Stützpfeiler außen am Ostchor der Kirche als Konsolstein in etwa sieben Metern Höhe, wie die Kirchengemeinde auf ihrer Internetseite schreibt. Als ersten Schritt einer Kontextualisierung ist den Angaben zufolge im Sebalder Pfarrhof die Dauerausstellung "Stein & Tür - Jüdische Spuren im Sebalder Pfarrhof" eingerichtet worden.

Gedenkkultur nicht abgeschlossen

Dem Wittenberger Fall komme aber eine besondere Bedeutung zu, die Skulptur sei größer und präsenter als andernorts, sagte Claussen. Außerdem sei sie mit dem Namen des Reformators Martin Luther (1483-1546) verbunden. Deshalb handle es sich hier nicht um eine Wittenberger Lokalangelegenheit. Die Entscheidung des Gemeindekirchenrats stehe nun zwar fest, doch Gedenkkultur sei kein abgeschlossener Vorgang. Jede Generation sei mit der Aufarbeitung von Judenhass von Neuem konfrontiert, sagte Claussen.

Quelle:
epd
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