Ehemaliger Ratsvorsitzender kritisiert FIFA und WM in Katar

"Die Fifa verkauft regelrecht den Fußball"

Nikolaus Schneider war Ratsvorsitzender der Evangelischen Kirche, als der Entschluss zur WM in Katar fiel. Der sei klar durch "Korruption" passiert. Politische Verbesserungen in dem Land müssten sich erst noch als nachhaltig erweisen.

WM-Trophäe vor dem FIFA World Cup 2022 Logo / © fifg (shutterstock)
WM-Trophäe vor dem FIFA World Cup 2022 Logo / © fifg ( shutterstock )

DOMRADIO.DE: Als Sie im Jahr 2010 zum Ratsvorsitzenden der Evangelischen Kirche in Deutschland gewählt worden sind, fiel die Entscheidung der FIFA, dass die WM 2022 in Katar stattfindet. Wie fanden Sie das damals? Wissen Sie das noch?

Theologe Nikolaus Schneider / ©  Fritz Stark (epd)
Theologe Nikolaus Schneider / © Fritz Stark ( epd )

Nikolaus Schneider (ehemaliges Mitglied der Ethikkommission des Deutschen Fußballbunds und früherer Ratsvorsitzender der EKD): Ja, das weiß ich noch. Ich fand das völlig unmöglich. Ich konnte mir gar nicht vorstellen, wie im Juni da Fußball gespielt werden soll. Es war ja auch bekannt, dass deren Bewerbungsunterlagen die schlechtesten waren. Dass das reine Korruption war, war völlig klar.

Es gab ja dann auch Protest dagegen. Wolfgang Huber (Anm. d. Red.: Vorgänger von Nikolaus Schneider als Ratsvorsitzender der Evangelischen Kirche in Deutschland) hat das sehr exponiert gemacht damals. Er sagte: "Im Grunde muss die WM da wieder abgezogen werden." Aber es ließ sich keine Bewegung daraus machen, das war das Problem. Ich weiß noch, dass ich gar keine Worte dafür hatte, wie man so etwas entscheiden kann.

DOMRADIO.DE: Damals gab es Proteste. Das sieht heute nicht anders aus. Viele Leute haben angekündigt, dass sie sich die WM nicht anschauen werden. Die letzte Weltmeisterschaft war vor gut vier Jahren in Russland. Hätte der Aufschrei da nicht ebenso laut sein müssen?

Schneider: In Russland war das nicht so extrem. Vom Wetter her ging es von, von den Temperaturen her ging es. Russland hat auch eine eigene starke Fußball-Tradition. Das ist also nicht ganz mit Katar vergleichbar. Unter dem Gesichtspunkt Menschenrechte wäre es allerdings ein guter Grund gewesen, zu sagen: "Wie könnt ihr die Spiele in ein solches Land verlegen?"

DOMRADIO.DE: Die allgemeinen Kritikpunkte an Katar sind die sehr schlechten Arbeitsbedingungen für Gastarbeiter, Diskriminierung von Homosexualität, aber auch die Ungleichstellung von Frauen. "Alles Heuchelei" hat vorgestern der FIFA-Boss Infantino dazu gesagt, wir sollten Katar keine moralischen Ratschläge erteilen. Hat er da Unrecht Ihrer Meinung nach?

Infantino kritisiert "heuchlerische" Kritik am WM-Gastgeber Katar

FIFA-Präsident Gianni Infantino vor dem Eröffnungsspiel eine "Doppelmoral" westlicher Nationen gegen WM-Gastgeber Katar angeprangert. "Ich denke, was wir Europäer in den vergangenen 3000 Jahren weltweit gemacht haben, da sollten wir uns die nächsten 3000 Jahre entschuldigen, bevor wir anfangen, moralische Ratschläge an andere zu verteilen", sagte der 52-Jährige während einer Pressekonferenz in Al-Rajjan. Es sei "traurig", diese "Doppelmoral" erleben zu müssen.

FIFA-Präsident Gianni Infantino / © Nick Potts (dpa)
FIFA-Präsident Gianni Infantino / © Nick Potts ( dpa )

Schneider: Er hat total Unrecht. Der oberste Heuchler ist Infantino. Dass Fußball auch Geld braucht, damit man ihn spielen kann, das ist völlig klar. Aber die Fifa vermarktet nicht nur den Fußball, die Fifa verkauft ihn regelrecht. Insofern ist das völlig unterm Strich.

Nikolaus Schneider

"Der oberste Heuchler ist Infantino."

Infantino ist für mich überhaupt nicht mehr akzeptabel. Und wenn der Fußball nicht einen Weg findet, die Fifa an Haupt und Gliedern zu reformieren, dann müssen die Anständigen einfach die Fifa verlassen und was Neues gründen. Bernd Neuendorf (Anm. d. Red.: Präsident des Deutschen-Fußball-Bundes) und sein Agieren vor dem DFB ist wirklich ein Zeichen von Hoffnung, dass endlich was passiert. Auch wie sich viele Spieler äußern und wie Fans sich äußern sind Zeichen von Hoffnung. Zeichen davon, dass endlich aufgewacht wird. Das es so nun wirklich nicht weiter geht.

Dass es einzelne Verbesserungen gibt im Land dadurch, dass die Aufmerksamkeit auf das Land gerichtet wurde. Das ist wohl wahr. Das verdankt sich aber der internationalen Bauarbeiter Gewerkschaft. Deren Vertreter sagen, dass der Fußball, für die Verbesserungen der Arbeiter in Katar, nicht sehr hilfreich gewesen ist.

DOMRADIO.DE: In der Eröffnungs Show haben wir gestern den Afroamerikaner Morgan Freeman gesehen, außerdem einen jungen Menschen aus Katar ohne Beine. Der Emir sagte in seiner WM-Ansprache, Menschen unterschiedlicher Religionen und Ansichten würden sich in Katar versammeln und deren Diversität bringe sie zusammen. Sind das alles Lippenbekenntnisse oder tut sich da was in Richtung Achtung der Menschenwürde?

Schneider: Ich bin der Überzeugung, dass sich ein bisschen was tut. Aber der Beweis, dass das nachhaltig ist und auch so bleibt, wenn die Scheinwerfer alle wieder aus sind, der muss erst noch erbracht werden. Da bin ich ausgesprochen skeptisch. Man kann nicht leugnen, dass sich da ein bisschen was getan hat.

Nikolaus Schneider

"Aber der Beweis, dass das nachhaltig ist und auch so bleibt, wenn die Scheinwerfer alle wieder aus sind, der muss erst noch erbracht werden."

Allerdings bin ich ausgesprochen skeptisch. Beispiel Frauenmannschaft: Katar hat die WM ja auch bekommen, weil sie eine Frauen-Nationalmannschaft haben müssen. Die haben sie dann ganz schnell gegründet. Mittlerweile gibt es die aber nicht mehr.

Die Kataris betreiben so eine Schaukelpolitik, einerseits geben sie etwas, andererseits nehmen sie wieder. Das sieht man auch in der Politik: Die Amerikaner haben eine große Basis in Katar, die Kataris sind aber auch Freunde des Iran. Sie unterstützen den Terror der Hamas, vermitteln aber auch, wenn es um Frieden geht. Sie unterstützen die Taliban und bedauern gleichzeitig, dass die Taliban die Frauenrechte einschränken. Die Kataris haben bemühen sich, dass sie in ihrem Land weiter dieses tolle Leben haben; dass 10 Prozent der Einwohner davon leben, was 90 Prozent erarbeiten.

Das Interview führte Michelle Olion.

 

 

Quelle:
DR