Sozialethiker Lob-Hüdepohl ordnet Fußball-WM in Katar ein

Darf ich jetzt noch jubeln?

An diesem Mittwoch ist das erste Spiel der deutschen Elf bei der WM in Katar. Ein Grund, mit Freunden und Familie Fußball zu schauen - normalerweise. Denn der Austragungsort ist umstritten. Ein Gespräch mit Sozialethiker Lob-Hüdepohl.

Werden wir so ausgelassen die WM-Spiele in Katar verfolgen? / © KarepaStock (shutterstock)
Werden wir so ausgelassen die WM-Spiele in Katar verfolgen? / © KarepaStock ( shutterstock )

Katholische Nachrichten-Agentur (kna): Herr Professor Lob-Hüdepohl, darf ich jetzt eigentlich überhaupt noch zum Public Viewing, also zu dem gemeinschaftlichen, öffentlichen Fußballschauen, gehen?

Andreas Lob-Hüdepohl, Professor für Theologische Ethik / © Julia Steinbrecht (KNA)
Andreas Lob-Hüdepohl, Professor für Theologische Ethik / © Julia Steinbrecht ( KNA )

Andreas Lob-Hüdepohl (Sozialethiker und Mitglied im Deutschen Ethikrat): Natürlich dürfen Sie noch zum Public Viewing gehen. Es ist moralisch nicht verboten. Aber die Moral kennt nicht nur Gebote oder Verbote. Sie kennt auch Empfehlungen, ob etwas sinnvoll ist oder eben nicht. Und da macht es aus meiner Perspektive keinen Sinn, einerseits ausgelassen die Spiele zu feiern, andererseits aber zu wissen, dass die Vergabe wie die Durchführung der WM in Katar eigentlich ein Skandal ist.

Es ist ja nicht nur die gegenwärtige Menschenrechtslage prekär. Sondern es sind über die letzten Jahre Tausende von Bauarbeitern zu Tode gekommen. Jetzt zu sagen, dass der öffentliche Druck langsam die Lage von Bauarbeitern oder der Menschenrechte insgesamt verbessert hat, ist zynisch und obszön. Wollen wir ernsthaft behaupten, dass zur Verbesserung der Menschenrechtslage in einem Land ein paar tausend Tote eben der Preis sind, unter dem Verbesserungen nicht zu haben sind? So nach dem Motto: ein bisschen Schwund ist immer?

kna: Gehen Public Viewing und Protest gegen die Lage in Katar auch irgendwie zusammen?

Lob-Hüdepohl: Ich bin in Public Viewing nicht sonderlich erfahren. Gleichwohl könnte ich mir in meiner Stadt Berlin gut vorstellen, dass ein Public Viewing, das ja gelegentlich sogar im Fernsehen übertragen wird, auch für eine Demonstration genutzt wird - etwa dann, wenn beides vor der Botschaft Katars oder vor einem anderen symbolträchtigen Ort stattfindet. Aber das müsste aus voller Überzeugung der Teilnehmenden geschehen. Sonst wäre der Protest entweder erzwungen oder scheinheilig.

DFB entscheidet auf Druck der Fifa gegen das Tragen der "One Love"-Binde

Der Verzicht der deutschen Nationalmannschaft auf die "One Love"-Kapitänsbinde bei der Fußball-Weltmeisterschaft in Katar zieht Kritik aus Wirtschaft und Kirchen auf sich. Der Handels- und Touristikkonzern Rewe verzichte auf Werberechte aus dem Vertrag mit dem Deutschen Fußball-Bund (DFB) insbesondere im Zusammenhang mit der WM, teilte Rewe am 22. November in Köln mit. Der Sportbeauftragte der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Thorsten Latzel, sprach von "einer einzigen Farce".

One-Love-Kapitänsbinde  / © Sebastian Gollnow (dpa)
One-Love-Kapitänsbinde / © Sebastian Gollnow ( dpa )

kna: Sollte man sich bei dieser WM also besser das Public Viewing verkneifen?

Lob-Hüdepohl: Nochmals, ich persönlich würde kein solches Public Viewing besuchen. Aber ich werde auch kein Spiel verfolgen. Ich will mit mir im Reinen sein. Das bedeutet aber nicht, dass ich andere verurteile, nur weil sie die Abwägung zwischen Protest und Fußballbegeisterung anders vornehmen als ich. Nur hoffe ich, dass sie sich nicht herausreden wie viele Fußballfunktionäre, die ihr Gewissen mit dem Hinweis beruhigen, die WM bewirke doch letztlich nur Gutes. China und Russland sollten uns allen in Erinnerung sein: Wenn es überhaupt Verbesserungen gab, waren sie nur vorübergehende Kosmetik. Die Lage verschlechtert sich immer weiter. Warum soll es bei anderen autoritären Regimes besser laufen?

kna: Ist Boykott in diesem Fall eine ethisch gebotene Bürgerpflicht?

Lob-Hüdepohl: Nein, keine Bürgerpflicht. Aber eine dringende Empfehlung, es für sich zu prüfen. Viel wichtiger ist es, dass sich solches nicht mehr so einfach wiederholen kann. Und unabhängig der Frage, ob Boykott oder nicht, sollten wir alle unterstützen, die sich für eine angemessene Entschädigung für die Hinterbliebenen einsetzen. Im Raum sind knapp 500 Millionen Dollar. Das sind wir ihnen aus Gründen der Gerechtigkeit schuldig. Das ist tatsächlich eine Bürgerpflicht.

kna: Wie finden Sie es, dass viele Städte und Kneipen diesmal keine Fan-Meilen und kein Pubic Viewing anbieten?

Lob-Hüdepohl: Ich halte das aus den erläuterten Gründen für sehr nachvollziehbar und gut. Das ist schon ein Statement: Man schaut vielleicht das eine oder andere Spiel, verzichtet aber bewusst und konsequent auf das vergnügliche Gemeinschaftserlebnis. Und die wenigen Male, in denen ich selbst das gespannt erregte Treiben einer gemeinsamen Live-Übertragung erlebt habe, haben mich gelehrt: Das ist für viele ein sehr großer Verzicht. Auch das sollte nicht vergessen werden.

Das Gespräch führte Karin Wollschläger.

Quelle:
KNA
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