Warum sich an der Fußball-WM vieles falsch anfühlt

Blut und Spiele

Fußball-WM im Advent - und das ausgerechnet in Katar? Passt das zusammen? Ab diesem Sonntag rollt im Wüstenstaat der Ball über den grün gehaltenen Rasen. Ein Blick auf die Risiken und Chancen einer solchen "Liason dangereuse".

Autor/in:
Andreas Öhler
Aussenansicht des Khalifa International Stadion in Al Rayyan bei Doha / © Christian Charisius (dpa)
Aussenansicht des Khalifa International Stadion in Al Rayyan bei Doha / © Christian Charisius ( dpa )

Bedeutet Fußballweltmeisterschaft hierzulande nicht eigentlich Sommermärchen mit Public Viewing, bierseligen Grillabenden und Kneipenjubel? Die Leichtigkeit des Seins, sobald das runde Leder über den Rasen rollt, steckt sogar Menschen an, die sonst mit Kicken nix am Hut haben.

Und selbst noch so herbe Niederlagen der Mannschaft, mit denen wir mitfiebern, lassen sich in der Sommerhitze leichter mit ein paar Aperol Spritz in der Clique kleintrinken als zu jeder anderen Jahreszeit.

WM und Weihnachtsmarkt

Bei der kommenden WM in Katar ist alles anders und vieles falsch. Man kann sich schlecht vorstellen, dass auf dem Weihnachtsmarkt zwischen Zuckerwatte, Glühwein und Bratwurstständen große Fußballstimmung aufkommt. Wird hinter der Mandelbude ein kleiner Monitor flimmern, wo unsere Elf, winzig wie Tipp-Kick-Figuren, dem Ball nachjagt?

Vielerorts sind die "Weihnachtsmärkte" eröffnet / © Britta Pedersen (dpa)
Vielerorts sind die "Weihnachtsmärkte" eröffnet / © Britta Pedersen ( dpa )

Die Adventszeit ist als eine besinnliche Phase des Rückzuges angelegt. Kaum jemand weiß im Trubel des Weihnachtsgeschäfts und der Firmenfeiern noch, dass die Zeit vom 11. November (Sankt Martin) bis zur Christnacht einst eine vierzigtägige Fastenzeit war.

Zeitpunkt und Ort in der Kritik

Nicht nur der Zeitpunkt der WM ist also nicht richtig gewählt, sondern auch der der Ort. Schon bei der Vergabe der WM 2010 ging es bekanntlich nicht mit rechten Dingen zu. Katar bekam im vierten Wahlgang den Zuschlag, obwohl der Wüstenstaat sogar laut interner Fifa-Prüfberichte von allen Bewerbungen am wenigsten für eine WM-Ausrichtung geeignet war.

Offizielle Countdown-Uhr für die Fußball-WM in Katar / © HasanZaidi (shutterstock)
Offizielle Countdown-Uhr für die Fußball-WM in Katar / © HasanZaidi ( shutterstock )

Die Bestechlichkeit des Fifa-Exekutivkomitees, das ist mittlerweile aufgearbeitet, waren der Grund dafür, dass bei der Doppelvergabe der WMs nach Moskau 2018 und nach Katar 2022 an einem Tag entschieden wurde. Von den 22 Exekutivkomitee-Mitgliedern, zu denen auch Franz Beckenbauer gehörte, boten zwei ihre Stimmen zum Kauf an. Die "Sunday Times" filmte sie bei dem faulen Deal mit versteckter Kamera.

Daraufhin wurden sie kurz vor der Abstimmung gesperrt. Ermittler in den USA stellten 2015 erstmals offiziell fest: Die WM in Katar wurde gekauft.

Der Preis der Schmiergelder, der ist jedoch nichts gegenüber dem hohen Preis, den die Gastarbeiter in Katar bezahlten, die unter den menschenunwürdigsten Bedingungen die Stadien errichteten oder renovierten. Die Zahl der Opfer, die bei dieser Sklavenarbeit am Bau für die WM starben, beläuft sich nach Recherchen der britischen Tageszeitung "The Guardian" auf über 6.500 migrierte Arbeiter, etwa 2.700 von ihnen kamen allein aus Indien. Und damit ist noch nicht die verheerende Ökobilanz beschrieben, die langfristige Folgen haben wird.

Solche Zahlen kannte man bisher nur von Schätzungen rund um den Bau der ägyptischen Pyramiden vor rund 4.500 Jahren. Sind wir, wenn wir es uns nun ab dem 20. November vor dem Fernsehapparat gemütlich machen, ähnlich dekadent wie das spätrömische Publikum in der Arena, die den Tod der Gladiatoren für ihre Unterhaltung billigend in Kauf nahmen?

Was machen die Fußballfans in Deutschland

Womöglich läuft es dieses Mal anders. Immerhin hielten es zwei Drittel der Bundesbürger laut einer Infratest-Dimap-Umfrage vom letzten Jahr noch für angemessener, wenn die deutsche Nationalmannschaft gar nicht erst nach Katar reisen würde.

Ob die Fußballfans, wenn es jetzt tatsächlich losgeht, bei ihrer Haltung bleiben, wird sich noch herausstellen. Jedenfalls machen Eventveranstalter und Wirte es den Fans vielerorts nicht leicht.

Deutsche Fußballfans (Archiv) / © Juri Pozzi (shutterstock)
Deutsche Fußballfans (Archiv) / © Juri Pozzi ( shutterstock )

Durch Corona und Inflation finanziell schwer gebeutelt, weigern sich immer mehr Kneipenbesitzer, die Spiele in ihrer Kneipe zu zeigen. Das ist eine moralische Großtat. Diese aufrechten Menschen verkörpern am ehesten den Adventsgedanken.

Auffallend ist allerdings, dass Menschenrechtsorganisationen wie Amnesty International sich gegen einen Boykott der WM aussprechen.

Katar hat zaghafte Reformen eingeleitet, die auch die Arbeitsbedingungen der Migranten betreffen. Erst durch die Berichterstattung im Vorfeld der WM rückte die Misere in den Blick.

Die verschärfte Beobachtung wird Katar nach dieser WM nicht mehr so schnell los.

Infantino kritisiert "heuchlerische" Kritik am WM-Gastgeber Katar

FIFA-Präsident Gianni Infantino vor dem Eröffnungsspiel eine "Doppelmoral" westlicher Nationen gegen WM-Gastgeber Katar angeprangert. "Ich denke, was wir Europäer in den vergangenen 3000 Jahren weltweit gemacht haben, da sollten wir uns die nächsten 3000 Jahre entschuldigen, bevor wir anfangen, moralische Ratschläge an andere zu verteilen", sagte der 52-Jährige während einer Pressekonferenz in Al-Rajjan. Es sei "traurig", diese "Doppelmoral" erleben zu müssen.

FIFA-Präsident Gianni Infantino / © Nick Potts (dpa)
FIFA-Präsident Gianni Infantino / © Nick Potts ( dpa )
Quelle:
KNA