Zu Besuch in einem Frauenhaus

Ein Weg aus der häuslichen Gewalt

Etwa jeden dritten Tag stirbt eine Frau wegen häuslicher Gewalt, meist durch einen Mann. Das Caritas-Frauenhaus in Berlin wird zum Zuhause, wenn die eigenen vier Wände es nicht mehr sind und stellt Weichen für ein Leben ohne Angst.

Autor/in:
Nicola Trenz
Symbolbild verzweifelte Frau / © mrmohock (shutterstock)
Symbolbild verzweifelte Frau / © mrmohock ( shutterstock )
Der Sandkasten im Frauenhaus in Berlin / © Nicola Trenz (KNA)
Der Sandkasten im Frauenhaus in Berlin / © Nicola Trenz ( KNA )

Eine Klingel ohne Namensschild. Bunt bepflanzte Blumenkübel, ein Sandkasten mit Förmchen - mit unscheinbarer Normalität versteckt sich eine Villa im Berliner Großstadtalltag.

Nur wenige wissen, wer in dem Haus wohnt. Nur wenige haben Zutritt. Was mysteriös klingt, dient dem Schutz: Das Caritas-Haus ist Zufluchtsort für Frauen, die missbraucht, geschlagen oder gedemütigt werden.

Überwiegend männliche Täter

Es öffnet sich für Frauen und ihre Kinder, wenn sie in den eigenen vier Wänden um ihr Leben fürchten müssen. Rund jeden dritten Tag stirbt in Deutschland eine Frau durch Gewalt innerhalb der häuslichen Gemeinschaft. Die polizeiliche Kriminalitätsstatistik erfasste für

2020 insgesamt 146.655 Fälle von Partnerschaftsgewalt. Der Großteil der Opfer ist weiblich, die Täter sind meistens (Ex-)Partner, manchmal auch Brüder oder Väter. Leben Kinder im Haushalt, sind sie ebenfalls Leidtragende. Oft erfahren die Betroffenen durch die Polizei von Schutzmöglichkeiten wie dem Frauenhaus.

Strenge Aufnahmekriterien

Gabriele Kriegs, eine Berlinerin im mittleren Alter mit kurzem dunklem Haar, steht in einem Büro, hinter ihr ein Brett mit vielen Schlüsseln. Will eine Frau einziehen, findet zunächst ein Telefongespräch mit den Mitarbeiterinnen statt, so die Leiterin des Frauenhauses. "Wir müssen die Gefährdungslage der Frau einschätzen."

Dabei gibt es auch Ausschlusskriterien: Frauen mit Suizidgefahr, Alkohol- und Drogenproblemen sowie jene, die selbst schon gewalttätig geworden sind, werden nicht aufgenommen. "Wir gefährden die ganze Einrichtung, wenn wir zu großzügig sind." Nur so könnten alle Bewohnerinnen zur Ruhe kommen.

Die Mitarbeiterinnen sind gut vernetzt mit Beratungsstellen, Jugendämtern sowie anderen Einrichtungen und Behörden. "Wenn eine Frau am Telefon erzählt, dass ihre Wohnung gekündigt wurde und ihr die Straße droht, dann tut mir das leid, aber wir sind nicht zuständig", betont Sozialarbeiterin Kriegs.

Ein Puppenhaus im Berliner Frauenhaus  / © Nicola Trenz (KNA)
Ein Puppenhaus im Berliner Frauenhaus / © Nicola Trenz ( KNA )

Viele Vorsichtsmaßnahmen

Kann einer Frau nach dem Aufnahmetelefonat ein Platz angeboten werden, muss sie sich allein an einen Treffpunkt begeben - möglichst mit allen wichtigen Papieren. Die geheime Adresse wird nicht telefonisch bekanntgegeben.

"Der Sinn vieler Regeln im Haus ist Schutz und Sicherheit", erklärt Kriegs. So ist die Pforte der Villa rund um die Uhr besetzt und das Einhalten der Hausordnung für den reibungslosen Alltag wichtig.

"Für das Sicherheitsgefühl einer Frau ist es außerdem wichtig, dass das Haus weit genug weg vom ehemaligen Zuhause ist", so Kriegs. Frauen aus der Umgebung vermittele sie weiter an andere Häuser.

Einfache Einrichtung

Jungen werden nur bis zum 13. Lebensjahr aufgenommen, die Einrichtung kooperiert mit einem Heim in der Nähe.

Pro Frau ist ein Zimmer im Haus vorgesehen. Kriegs geht die Treppe hoch in einen leeren Raum, zeigt die Doppelstockbetten, den Holztisch und den passenden Schrank. Das Ensemble erinnert an eine Jugendherberge.

Nur die bunten Gardinen setzen lebendigere Akzente in dem Raum mit hohen Decken. Das Zimmer wird nicht lange leer stehen: 18 Plätze hat das Caritas-Frauenhaus, je nach Anzahl der begleitenden Kinder bietet es bis zu 50 Personen Obdach.

Besserer Zugang zum Wohnungsmarkt nötig

Manche Frauen bleiben eine Nacht, manche länger als ein Jahr. Nicht zuletzt sind lange Aufenthaltsdauern auch eine Folge des angespannten Wohnungsmarkts. Wenn öffentlich mehr Frauenhaus-Plätze gefordert werden, widerspricht die Caritas-Leiterin nicht.

Wichtiger findet Kriegs aber einen besseren Zugang zum Wohnungsmarkt für die Frauen und mehr "Zweite-Stufe-Wohnen“, wie es im Fachjargon heißt. Die Berliner Caritas bietet etwa 25 Wohnungen mit begleitender Unterstützung für die Zeit nach den Einrichtungen zum akuten Gewaltschutz an. Im Frauenhaus reichten oft zwei bis drei Monate aus, um zur Ruhe zu kommen und die nächsten Schritte zu planen, so Kriegs.

Unterstützung bei Alltagsfragen

Kleiderspenden für die Frauen im Frauenhaus Berlin / © Nicola Trenz (KNA)
Kleiderspenden für die Frauen im Frauenhaus Berlin / © Nicola Trenz ( KNA )

1976 wurde das erste Frauenhaus in Deutschland eröffnet. Bundesweit gibt es heute rund 350. Hier können die Betroffenen Kraft für die Herausforderungen einer Trennung tanken und Antworten auf ihre Fragen finden: Wo das Geld herkommen soll, zum Beispiel, und wer das Sorgerecht für die Kinder bekommt.

Im Berliner Caritas-Frauenhaus unterstützen Sozialarbeiterinnen die Frauen, ihre Angelegenheiten selbstständig zu regeln. Wichtig für das Selbstvertrauen sind Erfolgserlebnisse - etwa bei einem Termin im Jobcenter allein mit einem Antrag erfolgreich gewesen zu sein.

Ähnlichkeiten zu einer bunten Wohngemeinschaft 

In der geräumigen Küche glänzen die Edelstahlmöbel blank geputzt. Eine Bewohnerin mit rotem T-Shirt räumt Lebensmittel von einem Klappkorb in ihren Schrank, jede Familie versorgt sich hier selbst.

Ihre beiden Kinder spielen mit einer Holzeisenbahn. In vielem ähnelt das Frauenhaus anderen Wohngemeinschaften: Mal ist die Stimmung gelöst, mal angespannt, mal gibt es Konflikte. "Da kann es auch mal um einen herumliegenden Putzlappen oder den Putzplan gehen", sagt Kriegs und schmunzelt.

Seit rund 30 Jahren leitet sie das Frauenhaus. Viele Frauen, die länger blieben, kämen aus schwierigen sozialen Verhältnissen. Bei den Migrantinnen ergibt sich manchmal beim zweiten Hinsehen ein anderes Bild: In Berlin sind sie abhängig von Arbeitslosengeld II, im Herkunftsland waren sie aber Teil einer besseren sozialen Schicht.

"Diese Frauen stellen hier im Haus oft recht schnell ihr Leben auf eigene Füße", berichtet Kriegs. Viele Sprachen werden gesprochen, im Alltag helfen Übersetzer-Apps sowie Hände und Füße.

Kinderschuhe für die Kinder im Frauenhaus Berlin / © Nicola Trenz (KNA)
Kinderschuhe für die Kinder im Frauenhaus Berlin / © Nicola Trenz ( KNA )

Erstausstattung steht bereit 

Im Keller des Hauses stapelt sich Kleidung, Schuhe stehen sorgfältig sortiert im Regal. Für alle Familien gibt es eine Erstausstattung, die meisten kommen mit kleinem Gepäck. Sozialarbeit, Hauswirtschaft, Kinderbetreuung: Für Kernaufgaben des Hauses finanziert die Berliner Senatsverwaltung für Gleichstellung rund sieben Vollzeitstellen.

Zusätzliches wie die Kleiderkammer wird über Spenden geleistet.

Erfolgsgeschichten motivieren

"Ich habe schon mehrere tausend Frauen hier kommen und gehen sehen. Da kann mir nicht jedes einzelne Schicksal nachgehen", sagt Kriegs.

"Aber es beeindruckt mich, wenn ich später mitbekomme, dass Frauen es geschafft haben. Nicht nur, sich vom Mann zu trennen, sondern vielleicht auch eine eigene Berufsausbildung zu haben oder, dass deren Kinder Abi machen. Wenn die ehemaligen Bewohnerinnen selbstbewusste und humorvolle Frauen geworden sind."

Mit Nachdruck ergänzt sie: "Das motiviert mich für meine Arbeit".

Für Betroffene von häuslicher Gewalt bietet das Hilfetelefon "Gewalt gegen Frauen" (Telefonnummer 08000 116 016) kostenlos und anonym Beratung.

 

Orange the World - Internationaler Tag gegen Gewalt an Frauen

Geschlechtsspezifische Gewalt fängt bei Alltagssexismus an und endet mit Femiziden. Diese Gewalt ist allgegenwärtig und fest in unseren patriarchalen Strukturen verankert.

In Deutschland ist jede dritte Frau mindestens einmal in ihrem Leben von physischer und/oder sexualisierter Gewalt betroffen, das sind mehr als 12 Millionen Frauen. Alle 45 Minuten wird eine Frau in Deutschland durch ihren Partner gefährlich körperlich verletzt. Jeden dritten Tag tötet ein Mann seine (Ex-)Partnerin.

Gewalt gegen Frauen / © Maurizio Gambarini (dpa)
Gewalt gegen Frauen / © Maurizio Gambarini ( dpa )
Quelle:
KNA