DOMRADIO.DE: 25 deutsche Imame protestieren gegen das Universitätsverbot für Frauen in Afghanistan. Warum steht dieses Verbot im Widerspruch zum Islam?
Mouhanad Khorchide (Professor für Islamische Religionspädagogik): Weil der Prophet schon zu seiner Zeit betont hat, dass Bildung eine Pflicht für jeden Mann und jede Frau ist. Das hat er gesagt und extra betont: auch für jede Frau. Wir wissen, dass auch die Frau des Propheten eine Gelehrte war, zu der auch Männer gekommen sind und von ihr gelernt haben. Wir haben eine breite Tradition innerhalb der islamischen Ideengeschichte, die das bestätigt. Deshalb ist es dem Islam, wie wir ihn verstehen, fremd zu sagen: Frauen gehören nur nach Hause und ihnen sei Bildung verboten.
DOMRADIO.DE: Es ist das erste Mal, dass Imame in Deutschland die Taliban kritisieren. Wer sind die Leute, die sich da äußern?
Khorchide: Das sind verschiedene Imame, die sich zusammengeschlossen haben. Wir hatten ein Zertifikatsstudiengang an der Universität Münster im Jahr 2022. Aus diesem Studiengang, der eine Art Weiterbildung für Imame war, ist diese Initiative gewachsen. Die Imame haben gesagt: "Uns fragt keiner. Auf uns hört keiner. Die Gespräche laufen immer nur mit den Vorständen der Moscheegemeinden. Aber wir Imame haben auch unsere Positionen. Wir wollen gehört werden."
Deshalb ist dieser Verein eine Art Plattform für die Imame. Wir haben viele Pläne, auch für 2023, dass sich die Imame stärker positionieren wollen. Sie möchten einen europäischen Islam definieren, theologisch begründen und konkret leben.
DOMRADIO.DE: Die Imame kritisieren das Frauenbild der Taliban. Wie begründen sie das mit dem Islam?
Khorchide: Für die Taliban sind Frauen nur Objekte der Hörigkeit, die den Männern unterworfen sind. Sie sind nur da, damit es den Männern gut geht. Sie sind keine selbstbestimmten Subjekte. Sie werden auf Sexualität reduziert; deshalb auch diese übertriebene Verschleierung, das Verstecken der Frauen. Die Frauen werden laut Taliban gar nicht als freie, selbstbestimmte Wesen wahrgenommen. Genau das steht im Widerspruch zu unserem Verständnis von der Frauenrolle im Islam als selbstbestimmte Subjekte.
Deshalb wollen wir ein Zeichen setzen, das nicht nur für Taliban gilt, sondern für alle muslimischen Communities. Frauen sollen ermutigt werden, selbst laut zu werden, aufzustehen und zu sagen: Wir wollen nicht mehr als Objekte behandelt werden. Wir sind selbstbestimmte Individuen. Entsprechend nehmen wir uns wahr und wollen auch wahrgenommen werden.
DOMRADIO.DE: Viele Moscheegemeinden halten sich zurück, was politische Äußerungen und Kritik gegenüber den Taliban betrifft. Warum gibt es dieses Schweigen?
Khorchide: Ich habe mit ein paar Gemeinden gesprochen. Einerseits habe ich das Argument gehört, dass Afghanistan so weit weg sei. Ich merke, gerade wenn es Frauenrechte geht, wie auch im Iran, dass die Stimmen leise sind. Anders ist das etwa, wenn es um die Verteidigung des Kopftuchs hier in Deutschland geht. Dann sind die Stimmen plötzlich laut.
Das ist ein Ungleichgewicht, wie viele sich da zu Wort melden. Da merkt man, dass es nicht wirklich um Frauenrechte geht, sondern um politische und ideologische Agenden unabhängig von den Betroffenen. Würden die Betroffenen im Zentrum des Interesses entstehen, dann dürfte man mehr Stimmen erwarten.
DOMRADIO.DE: Was muss weiter passieren, um die Taliban in Afghanistan unter Druck zu setzen?
Khorchide: Man muss die Frauen ermutigen, hier in Deutschland wie auch in Afghanistan ihre Stimme zu erheben. Aber man muss auch politischen Druck zu erzeugen. Das wollten wir durch diese Stellungnahme machen. Politisch wie auch wirtschaftlich haben wir gute Karten, wenn die Weltgemeinschaft wirklich den Willen hat, etwas verändern zu wollen.
DOMRADIO.DE: Werden sich weitere Muslime dem Aufruf der Imame anschließen?
Khorchide: Das hoffen wir. Wir ermutigen sie dazu, sich uns anzuschließen oder eigene Initiativen zu starten. Je mehr Stimmen es gibt und je mehr Initiativen entstehen, desto Frauen vor Ort kann geholfen werden.
Das Interview führte Dagmar Peters.