KNA: Vor einem Jahr ging die Initiative #OutInChurch an den Start. War sie erfolgreich?
Jens Ehebrecht-Zumsande (Religionspädagoge in Hamburg und Mitinitiator von #OutInChurch): Das kommt darauf an, wie man Erfolg definiert. Mit Blick auf unsere Forderungen würde ich sagen, wir haben einiges erreicht, aber es bleibt noch viel zu tun. Mit Blick auf das Empowerment von Personen würde ich sagen, haben wir einen großen Erfolg erzielt, nämlich dass queere Menschen jetzt sagen: "Wir sind ein selbstverständlicher Teil dieser Kirche und wir lassen uns nicht mehr wegdrängen und diskriminieren".
KNA: Sie haben eine Liste mit sieben Forderungen aufgestellt. Welche davon sehen Sie erfüllt?
Ehebrecht-Zumsande: Der größte und sichtbarste Erfolg ist die Änderung des Arbeitsrechts der katholischen Kirche in Deutschland. Die deutschen Bischöfe haben Ende November einen Grundtext für ein neues Arbeitsrecht beschlossen. 20 Bistümer haben ihn bereits zum Jahreswechsel in Kraft gesetzt. Die übrigen haben es für das erste Quartal angekündigt.
Das ist zu unserer eigenen Überraschung relativ schnell gegangen. Wir sind aber auch nur ein Teil einer größeren Gruppe von Menschen, die das schon lange fordern. Ich glaube aber, dass #OutInChurch noch mal den letzten Schub gegeben hat.
KNA: Was bedeutet das für queere Menschen?
Ehebrecht-Zumsande: Das ist ein ziemlicher Quantensprung, weil nun die persönliche Lebensführung für das Arbeitsverhältnis keine Rolle mehr spielt. Eine gleichgeschlechtliche Ehe oder Personenstandsänderungen für Transmenschen sind nicht mehr automatisch ein Kündigungsgrund. Es gibt im Moment noch eine Unsicherheit bei den Religionslehrkräften, weil die Ordnungen für ihre Beauftragung in den Bistümern noch nicht entsprechend geändert sind. Das hat aber die Bischofskonferenz auch angekündigt.
KNA: Damit ist aber nur eine von sieben Forderungen umgesetzt, oder?
Ehebrecht-Zumsande: Genau. Die Änderung des Arbeitsrechts ist ein großer Schritt, aber damit ist die Queerfeindlichkeit in der Kirche noch nicht verschwunden. Unsere Kernforderung, die dem Arbeitsrecht vorausgeht, ist der Abbau dieser Diskriminierung. Wir merken, dass es noch große Unsicherheiten gibt bei Bischöfen, aber auch bei anderen Verantwortlichen in der Kirche. Durch die Änderungen im Arbeitsrecht sind Fakten geschaffen worden. Ich hoffe, dass dadurch eine größere Klarheit da ist, dass wir uns mit diesem Thema weiter beschäftigen müssen.
KNA: Welche Ihrer Forderungen sind noch offen?
Ehebrecht-Zumsande: Wir haben beispielsweise immer noch keine Regelung für Segnungsfeiern für gleichgeschlechtliche Paare - auch wenn das jetzt beim Synodalen Weg im März wieder Thema sein wird. Eine andere große Forderung ist die Aufarbeitung der Schuldgeschichte. Es gibt zahlreiche Menschen, die aufgrund ihres Queerseins ihren Job bei der Kirche verloren haben - auch in der jüngeren Vergangenheit. Da ist noch keine Aufarbeitung oder Wiedergutmachung passiert, soweit das überhaupt möglich ist.
KNA: Eingangs sagten Sie, dass sie den eigentlichen Erfolg im Empowerment von Personen sähen. Was meinen Sie damit?
Ehebrecht-Zumsande: Durch den Fernsehfilm zu #OutInChurch und alles, was danach passiert ist, sind viele weitere Menschen zu unserer Gruppe hinzugestoßen. Wir haben jetzt ein Netzwerk von ungefähr 500 bis 600 Personen. Darüber hinaus kenne ich sehr viele, die entweder durch den Film oder die Kampagne motiviert worden sind, sich zu outen, oder die zumindest jetzt öffentlich sichtbarer auftreten können und dadurch viel Lebensqualität gewonnen haben. Das heißt noch lange nicht, dass damit alles gut ist. Aber ich würde das doch als großen Erfolg betrachten.
KNA: Es ist also in ihren Augen etwas in Bewegung geraten?
Ehebrecht-Zumsande: Ich glaube, es ist etwas losgetreten worden, das nicht mehr zurückzudrehen ist. Selbst unsere Kritiker merken, dass ein Point of No Return erreicht ist. Die meisten Bischöfe haben das Arbeitsrecht ja nicht geändert, weil sie die große Erkenntnis hatten, dass sie sich bisher queerfeindlich verhalten haben, sondern weil gar keine Alternative dazu besteht. Es gibt aber auch einzelne Bischöfe, denen ich abnehme, dass sie sich bewegen, oder die merken, dass es auch in der Lehre einen Entwicklungsbedarf gibt. Ich würde mir wünschen, dass sie noch mutiger wären.
KNA: Inwiefern?
Ehebrecht-Zumsande: Wir haben mit dem neuen Arbeitsrecht eine absurde Situation. Als Arbeitnehmer bin ich jetzt plötzlich als schwuler Mann akzeptiert oder geduldet. Als schwuler Katholik lebe ich laut der kirchlichen Lehre weiter in Sünde. Wenn ich sie ernst nehmen soll, dann müssten sich die deutschen Bischöfe jetzt eigentlich zu Vorkämpfern für eine Änderung der kirchlichen Sexualmoral machen.
KNA: Wie groß ist ihre Hoffnung, dass sich an dieser Sexualmoral etwas ändert?
Ehebrecht-Zumsande: Da sind auf Ebene der Weltkirche sehr dicke Bretter zu bohren. Es bleibt abzuwarten, wie sich der von Papst Franziskus angestoßene, weltweite synodale Prozess entwickelt. Interessant ist ja, dass die Themen von #OutInChurch auch aus anderen Ländern benannt worden sind. Wir müssen auch schauen, wie Papst Franziskus weiter im Amt agiert und wie lange sein Pontifikat überhaupt noch währt. Da ist viel Ungewissheit, und gleichzeitig haben wir gerade zumindest in Deutschland einen Kairos, in dem das Thema auf der Tagesordnung steht und auch nicht mehr so leicht abzuräumen ist.
KNA: Und wie geht es jetzt weiter bei #OutInChurch?
Ehebrecht-Zumsande: Wir merken gerade, dass wir einen langen Atem brauchen. Wir kommen aus einer sehr aktivistischen Anfangsphase. Jetzt geht es darum, Strukturen zu schaffen, die eine Nachhaltigkeit sicherstellen. Zum Jahrestag gibt es ein Treffen in Köln, bei dem wir das erste Mal als Gruppe zusammenkommen. Wir wollen einen Verein gründen, um unserem bisher lockeren Netzwerk eine Basis zu geben. Zudem möchten wir in Zukunft noch stärker Ansprechpartner für Bistümer, Kirchengemeinden und Vereine sein und etwa Workshops und Fachberatung zum Thema Queersein in der Kirche anbieten.
Das Interview führte Michael Althaus .