Theologe hält die deutsche Kirche schon lange für Vorreiter

"Früher durchdacht als andernorts"

Immer diese Deutschen! Der Vatikan hat mehrfach seinen Ärger über Reformideen von nördlich der Alpen formuliert. Doch gab es diese "Stoppschilder" schon früher? Historiker Unterburger sieht einige Parallelen zum 19. Jahrhundert.

Alte Theologie-Bücher in einer Bibliothek / © Marius Becker (dpa)
Alte Theologie-Bücher in einer Bibliothek / © Marius Becker ( dpa )

DOMRADIO.DE Auf deutschen Autobahnen gibt es bekanntlich kein Tempolimit. Hat das auch eine Tradition, was bestimmte Entwicklungen und Reformen in der Kirche angeht?

Prof. Dr. Klaus Unterburger (privat)
Prof. Dr. Klaus Unterburger / ( privat )

 

Klaus Unterburger (Professor für Kirchengeschichte an der Ludwig-Maximilians-Universität in München): Ungleichzeitigkeiten gibt und gab es in der Kirche natürlich immer. Aber dass die Deutschen jetzt so besonders schnell sind, das ist so ein typisches Phänomen, das es seit der Aufklärung, seit dem 19. Jahrhundert gibt. Das hängt mit verschiedenen Faktoren zusammen. Vor allem, weil in den romanischen Ländern der Kulturkampf so gelaufen ist, dass die Priesterausbildung von den Universitäten weggekommen ist und es in der Regel eine schlechtere theologische Ausbildung gab. Die Deutschen hatten da andere Ressourcen und konnten auf Entwicklungen schneller und früher reagieren.

Die Liturgische Bewegung ist in Deutschland sehr viel schneller und früher durchdacht worden als andernorts und es wurde versucht, die Liturgie zu reformieren. Die Antwort auf den Sozialismus ist in Deutschland sehr viel früher und differenzierter geschehen und konnte geschehen, weil der Klerus besser ausgebildet war, weil es ein Vereinswesen gab, Laien gab, die gebildet waren und selbstständig Verantwortung übernehmen konnten. Das waren Prozesse seit dem 19. Jahrhundert, bei denen die deutsche Kirche in vielen Bereichen schon so etwas wie eine Vorreiterrolle hatte. Natürlich nicht nur Deutschland, aber es gab da doch eine gewisse Tendenz, manche Dinge früher und vielleicht auch zukunftsweisend für die Weltkirche zu sehen.

DOMRADIO.DE Auch Dinge, die "von unten" angeleiert worden sind?

Unterburger: Natürlich sind manche Entwicklungen in Deutschland ohnehin früher gewesen. Das hängt mit einer unterschiedlichen Geschwindigkeit der Modernisierung zusammen. Die führte nicht nur zu Reformprozessen von oben, sondern auch von unten. Denn solche Aufbrüche wie die liturgische Bewegung entsprachen schon einem Bedürfnis von unten, ebenso das Vereinswesen, das in Deutschland frühzeitig ausgebildet worden ist.

Das Zentralkomitee der Deutschen Katholiken, das ja auch hinter dem Synodalen Weg steht, ist ja - nicht nur, aber in gewisser Weise - auch heute noch eine Form von Dachorganisation von Vereinen, also von Zusammenschlüssen, bei denen die Gläubigen, die Laien, egalitär eine ganz wichtige Rolle spielen. Dieses Vereinswesen ist auch eine Bewegung von unten gewesen, eine starke und kompetente Bewegung von unten, die es andernorts so stark nicht gegeben hat.

DOMRADIO.DE Bleiben wir mal bei den Beispielen, die Sie genannt haben: Wie hat denn Rom früher auf so ein deutsches Reformtempo reagiert? Gab es da auch so heftige Warnsignale oder Stoppschilder, wie wir das teilweise jetzt erleben?

Unterburger: Solche Stoppschilder haben schon eine längere Tradition. Wobei ja vieles dann auch in Rom und auch weltkirchlich aufgegriffen wurde. Unstrittig ist, dass die Theologie nördlich der Alpen mit ihren Einsichten einen großen Einfluss auf das Zweite Vatikanische Konzil hatte. Und seither gibt es eben in Rom sehr stark auch Kräfte, die das Reformtempo drosseln wollen.

Da wird insbesondere dann die Theologie in Deutschland häufig verdächtigt, sich zu stark an die moderne Zeit anzupassen. Dieses Aggiornamento, das Johannes XXIII. noch als Programm des Konzils aufgestellt hat, das sei eine Anpassung an den Zeitgeist, an eine säkularisierte Gesellschaft, die würde die Identität des Katholischen untergraben. Das hat sich natürlich seit dem Konzil durch Reform-Ereignisse in Deutschland wie der Würzburger Synode oder der Kölner Erklärung von vielen deutschen Theologieprofessorinnen und -professoren noch mal verschärft. Dadurch hat es in den letzten Jahrzehnten auch eine starke Konfrontation gegeben.

DOMRADIO.DE Gibt es denn Beispiele, bei denen manche vorschnelle Entwicklung in Deutschland im Nachhinein dann doch von allen als beispielhaft für die Weltkirche angenommen wurde?

Unterburger In Deutschland war es sehr früh so, dass sich die Bischöfe, um gemeinsam agieren zu können, zu einer Bischofskonferenz zusammenschließen wollten. Das hat ja nach außen eindeutig Vorteile. Man kann auf politische Entwicklungen geschlossener reagieren, sich abstimmen.

Das hat man in Rom lange versucht zu bremsen, weil natürlich da innerkirchlich in der Machtverteilung das Problem liegt, dass da ein potenzielles Machtzentrum außerhalb Roms entsteht. Der einzelne Bischof ist natürlich sehr viel abhängiger von Rom als eine Bischofskonferenz. Immerhin gelang es den deutschen Bischöfen nach einem wirklich harten Ringen ab 1848, dass es so etwas wie eine Bischofskonferenz gibt. In der Weltkirchlich ist dies erst nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil eingerichtet worden. Das wäre so ein klassisches institutionelles Beispiel.

DOMRADIO.DE Es gibt ja auch den Vorwurf, dass die Kirche in Deutschland die katholische Weltkirche belehren wolle, was richtig und was falsch ist. Was denken Sie? Täte diesem deutschen Synodalen Weg so ein kleines Tempolimit vielleicht doch ganz gut?

Unterburger: Auf der einen Seite "ja". Momentan läuft die kontinentale Phase der Weltsynode, das bedeutet, die europäischen Kirchen beraten über das Arbeitspapier dieser Weltsynode. Da kommen schon ganz ähnliche Themen vor - als umstrittene Probleme weltweit, mit denen die Ortskirchen weltweit ringen -, die auch auf dem Synodalen Weg eine Rolle spielen.

Insofern könnte man schon ein Stück weit natürlich verstehen, dass man sagt, man muss diese Prozesse besser verzahnen. Andererseits ist es natürlich auch ganz legitim, dass nicht in der gesamten Weltkirche uniform überall dasselbe geschieht, sondern dass es in manchen Bereichen auch Unterschiede gibt, weil die Kirchen und die Bedürfnisse dort unterschiedlich sind. Papst Franziskus hat einen solchen Prozess in den lokalen Kirchen auch angestoßen. Gerade die Ortskirchen sollen das Geeignete für sich, in ihrer konkreten Situation, herausfinden. Sodass man auf der anderen Seite schon sagen muss, dass der Synodale Weg schon dem entspricht, was die Intention des Papstes war, nämlich solche Prozesse auch in den Ortskirchen anzustoßen.

Das Interview führte Uta Vorbrodt. 

Katholische Theologie in Deutschland

Die Theologie gehört zu den ältesten Disziplinen an den Universitäten. In Deutschland gibt es 19 Katholisch-Theologische Fakultäten und Hochschulen, an denen – neben Lehramts- und anderen Studiengängen – das fünfjährige Theologische Vollstudium (meist mit Abschluss Magister Theologie) absolviert werden kann.

Alte Bücher auf der Buchmesse / © Joachim Heinz (KNA)
Alte Bücher auf der Buchmesse / © Joachim Heinz ( KNA )
Quelle:
DR
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