DOMRADIO.DE: Wann und wie haben Sie vom Rücktritt erfahren?
Gudrun Sailer (Redakteurin bei Radio Vatikan/Vatican News): Wie das so ist bei überraschenden Dingen, man erfährt sie im Radio. Als ich von dem Rücktritt hörte, war ich zuhause – es war ja auch Feiertag im Vatikan. Dass Papst Benedikt zurückgetreten war, hatte uns alle umgehauen. Niemand von uns hatte damit gerechnet.
DOMRADIO.DE: Realisiert man denn direkt, was das bedeutet? Das passt ja gar nicht in den Erfahrungshorizont, dass ein Papst zurücktritt.
Sailer: Man realisiert sofort, dass ein solcher Rücktritt etwas noch nie Dagewesenes ist. Etwas, das bisher nicht zum Papstamt gehört hat. Obwohl wir ja alle gewusst und gelesen hatten, dass Papst Benedikt einmal öffentlich zu Protokoll gegeben hatte, dass ein Papst, wenn Gewissheit besteht, dass er nicht mehr kann, das Recht und unter bestimmten Umständen sogar die Pflicht hat, zurückzutreten.
Aber das erschien uns bis zu diesem 11. Februar vor zehn Jahren als eine Aussage eher hypothetischer Art – und das, obwohl Päpste ja alle recht alt sind. Niemand sonst hat mit 86 Jahren, so alt war Benedikt bei seinem Rücktritt und ist Franziskus heute, ein derart wichtiges Amt inne.
DOMRADIO.DE: Warum hat Benedikt seine Rücktrittserklärung eigentlich auf Latein gesprochen? Das versteht doch kaum jemand.
Sailer: Ja, er hat sie auf Latein gesprochen und vor Kardinälen, also im engen Kreis der Mitbrüder, nicht öffentlich. Es wäre ja auch denkbar gewesen, dass er seinen Rücktritt bei einem Angelus-Gebet am Sonntag erklärt, in einer Weltsprache oder in mehreren Weltsprachen.
Aber nein, es war Latein. Und von den versammelten Kardinälen in diesem Saal im Apostolischen Palast wissen wir, dass nicht alle die Rücktrittserklärung verstanden haben. Hat Benedikt Latein gewählt, weil er seine Rücktrittserklärung schwer verständlich machen wollte? Nein, das Gegenteil trifft zu. Die Rücktrittserklärung sollte besonders formal korrekt sein.
Latein ist ja die alte Kirchensprache, und Dokumente des Vatikans sind in ihrer lateinischen Fassung verbindlich und nicht in der italienischen Fassung. Benedikt wollte jeden formalen Zweifel an der Rechtssicherheit seine Rücktrittserklärung ausschließen.
Aus dem selben Grund hatte er übrigens auch die Formulierung "erkläre ich mit voller Freiheit" gewählt. Denn ein Papstrücktritt muss aus freien Stücken geschehen, sonst ist er ungültig oder löst zumindest viele Fragen aus.
DOMRADIO.DE: Sie sagen, alle waren sehr überrascht. Weiß man eigentlich, wen Benedikt vorher eingeweiht hatte?
Sailer: Seinen Bruder Georg Ratzinger und seinen Sekretär Georg Gänswein, den er erst kurz vorher zum Präfekten des Päpstlichen Hauses befördert und zum Bischof geweiht hat, und wenige andere.
Wenn ich recht informiert bin, wusste es auch sein Pressesprecher, Pater Federico Lombardi. Auch Ihn haben die Medienleute dann von Amts wegen gefragt, ob es stimmt, dass der Papst zurücktritt.
DOMRADIO.DE: Denken Sie, das wird der letzte Papstrücktritt gewesen sein?
Sailer: Nein, ich glaube nicht, dass es der letzte Papstrücktritt war. Auch wenn jetzt, nach dem Tod von Papst Benedikt, überraschend viele hohe Kirchenleute, zum Beispiel der Wiener Kardinal Schönborn, sich wünschen, dass Benedikts Amtsverzicht eine Ausnahme bleibt.
Franziskus sagt, er denkt im Moment nicht an einen Rücktritt. Er wirkt auf mich auch nicht amtsmüde. Aber er hat früher auch schon einmal gesagt, es gebe jetzt eben beides im päpstlichen Dienst – einen Papst, der im Amt stirbt und einen Papst, der auf sein Amt verzichtet. Tatsache ist auch, dass alle Päpste, und zwar angefangen mit Pius XII. im Zweiten Weltkrieg, präventive Rücktrittserklärungen unterschrieben haben.
Pius XII., Paul VI., Johannes Paul II. und auch Papst Franziskus haben unterschrieben, dass sie im Fall einer Entführung oder im Fall einer schweren Krankheit, die ihnen das Ausüben des Papstamtes unmöglich machen, zurücktreten, sodass ein Nachfolger gewählt werden kann. Der Amtsverzicht eines Papstes ist grundsätzlich dazu da, die Kirche zu schützen und sie gut vorangehen zu lassen.
Das Interview führte Renardo Schlegelmilch.