Gibt es eine neue Revolution im Iran?

"Eine Frage der Zeit"

Vor 60 Jahren wurde durch die "Weiße Revolutiuon" das Frauenwahlrecht im Iran eingeführt. Heute sieht die Situation für Frauen deutlich schlechter aus. Wie ist es zu diesem Rückschritt gekommen und besteht die Chance einer Änderung?

Auf einem Portrait von Mahsa Amini werden während einer Demonstration Blumen gelegt (Archiv) / © Alexandros Michailidis (shutterstock)
Auf einem Portrait von Mahsa Amini werden während einer Demonstration Blumen gelegt (Archiv) / © Alexandros Michailidis ( shutterstock )

DOMRADIO.DE: Vor 60 Jahren bekamen Frauen im Iran das Wahlrecht. Wie lief das damals ab, gab es da auch so etwas wie eine Frauenbewegung?

Martin Lessenthin (Vorstands- und Pressesprecher der Internationalen Gesellschaft für Menschenrechte): Das war die sogenannte "Weiße Revolution" vor 60 Jahren, als im Iran Frauenrechte gestärkt wurden. Aber es wurden auch viele andere Rechte auf der Basis eines Referendums, das eine überwältigende Mehrheit der Zustimmung hatte, gestärkt.

Das hat den Hintergrund, dass damals eine gemeinsame Interessenlage bestand. Auf der einen Seite stand man dem fast allein herrschenden Mohammad Reza, dem Schah und weiten Kreisen der Bevölkerung gegenüber. Es waren vor allem natürlich die Frauen, aber auch die sehr gut gebildete iranische Jugend, die, wenn man in der Region einen Vergleich zieht, schon damals überdurchschnittlich gut gebildet war.

Alle hatten gemeinsam das Ziel, den Iran zu einer Westorientierung zu modernisieren und vor allem auch das Ziel einer Landreform.

Martin Lessenthin / © Internationale Gesellschaft für Menschenrechte / IGFM
Martin Lessenthin / © Internationale Gesellschaft für Menschenrechte / IGFM

DOMRADIO.DE: 1979 kam es dann aber zur Islamischen Revolution. Was hat das für die Rechte der Frauen im Iran bedeutet?

Lessenthin: Das hat bedeutet, dass der Traum der iranischen Frauen und aller fortschrittlich und partnerschaftlich denkenden Iraner zerstört wurde. Es kam zu einer gewaltsamen Machtübernahme der Mullahs und ihrer Helfer, der heutigen Revolutionsgarden und Milizen.

Frauen sahen sich plötzlich wieder der gesellschaftlichen Bevormundung und strengen Kleidervorschriften ausgesetzt und der penetranten sexistischen Unterdrückung.

Auch Instrumente wie die Zeitehe, wo sich Frauen auf Stunden oder Tage verkaufen müssen, waren in diesem neuen Mullah-Regime wieder angesehen, das mit Gewalt dem iranischen Volk aufgedrängt wurde.

DOMRADIO.DE: Was dürfen Frauen im Iran denn aktuell nicht, was für uns hierzulande ganz normal ist?

Lessenthin: Frauen haben zum Beispiel nicht das Wahlrecht als passive Personen, um als Präsidentin oder Staatschefin kandidieren zu dürfen. Das ist für eine Frau im Iran praktisch undenkbar.

Verschiedene andere wichtige gesellschaftliche Positionen verschließen sich den Frauen wie auch verschiedene Studiengänge. Was noch absurder ist: Frauen dürfen ohne die Zustimmung oder Begleitung eines Mannes, eines Vormundes, des Vaters, des Sippenchefs, des Bruders nicht frei reisen. All dies ist Frauen verwehrt.

Aber wie wir sehen, rütteln die Frauen daran. Sie sind mehr als die Hälfte der iranischen Bevölkerung und sehen nicht ein, warum sie sich länger von diesem Mullah-Regime unterdrücken lassen sollen.

Martin Lessenthin (Vorstands- und Pressesprecher der Internationalen Gesellschaft für Menschenrechte)

"Die Frauen sehen nicht ein, warum sie sich länger von diesem Mullah-Regime unterdrücken lassen sollen."

DOMRADIO.DE: Auch die Kleidervorschriften waren letztendlich ein Auslöser für die aktuellen Proteste in dem Land. Sie sind gut vernetzt mit der Exil-Szene aus dem Iran, haben aber auch Kontakt zu Aktivisten vor Ort. Was können Sie über die aktuelle Lage in dem Land sagen? Wird da weiterhin protestiert?

Frau mit blutender iranischer Flagge ins Gesicht / © Marius Becker (dpa)
Frau mit blutender iranischer Flagge ins Gesicht / © Marius Becker ( dpa )

Lessenthin: Die Proteste halten an, auch wenn es in den vergangenen Wochen ruhiger geworden war. Jetzt gibt es wieder ein Anziehen der Proteste. Und dies, obschon die Mullahs versuchen, sich auf dem internationalen Parkett als feste und stabile Größenordnung, als sicherer Partner in gegenseitiger Unterstützung mit Wladimir Putin und seinem Russland darzustellen. Also nicht nur als Waffenlieferant, sondern auch als stabiler Helfer auf diplomatischem Parkett oder in anderen internationalen Ebenen, auch in Wirtschaftsebenen.

DOMRADIO.DE: Was glauben Sie, werden diese Proteste zu mehr Menschenrechten und Freiheit für die Iranerinnen und Iraner führen? Oder wird das Mullah-Regime am Ende als Sieger herausgehen?

Lessenthin: Ich bin optimistisch. Es ist eine Frage der Zeit, wie lange das Regime diese hohe Unzufriedenheit in der Bevölkerung und auch in allen Regionen noch aushalten kann. Es sind längst nicht mehr nur Proteste der vielen nationalen Minderheiten, die im Iran leben, auch der Aseris oder der Kurden oder der Belutschen.

Martin Lessenthin (Vorstands- und Pressesprecher der Internationalen Gesellschaft für Menschenrechte)

"Es ist eine Frage der Zeit, wie lange das Regime diese hohe Unzufriedenheit in der Bevölkerung noch aushalten kann."

Es ist eine Unzufriedenheit der gesamten iranischen Bevölkerung, die auf die Straße drängt, die nur noch dadurch im Moment niedergehalten wird, dass Revolutionsgarden und Milizen keine Scheu haben, auch auf der Straße Menschenleben zu vernichten.

Daher haben sehr viele Menschen Furcht, zu den Tausenden von neuen politischen Gefangenen zu zählen. Aber dieser Kessel steht so unter Druck, dass wir erwarten und hoffen können, dass dieser Druck dazu führt, dass er letztlich doch das Mullah-Regime hinwegfegt.

Das Interview führte Elena Hong.

Internationale Gesellschaft für Menschenrechte

Die Internationale Gesellschaft für Menschenrechte (IGFM) wurde am 8. April 1972 in Frankfurt am Main von 13 Gründungsmitgliedern ins Leben gerufen - zunächst noch als Gesellschaft für Menschenrechte (GFM). Als zentrales Motiv für die Gründung nennt die Organisation, damals hätten viele Menschen gegen den Krieg in Vietnam demonstriert, aber kaum jemand für politische Gefangene in sowjetischen Straflagern und politisch Verfolgte in der DDR, Polen, Rumänien und der Tschechoslowakei.

Symbolbild Einschränkung der Menschenrechte / © Aram Shahinyan (shutterstock)
Symbolbild Einschränkung der Menschenrechte / © Aram Shahinyan ( shutterstock )
Quelle:
DR