DOMRADIO.DE: Es gibt kaum einen Menschen, über den es mehr Geschichten und Legenden gibt als diesen berühmten Heiligen. Wie haben Sie sich ihm genähert?
Alois Prinz (Autor): Ich habe mich ihm genähert, indem ich auf Wanderung gegangen bin. Ich bin den Franziskusweg gegangen - von Assisi bis nach Rom - weil ich, obwohl ich mich früher schon mit Franz von Assisi beschäftigt habe, immer der Überzeugung war, dass man ihn besser kennenlernt, wenn man auch die Gegend sieht und die Gegend "ergeht", in der er gewirkt hat.
Franz von Assisi war ja mehr oder weniger ein Obdachloser, ein Rumstreuner, ein Vagabund, hat nie einen festen Wohnsitz gehabt. "Die Welt ist mein Kloster", hat er gesagt. Und wenn man dann die Gegend sieht, wo er war, auch die Grotten, wo er vielleicht übernachtet hat, die Städte und kleinen Orte, die er besucht hat, dann glaubt man schon, dass man ihn besser versteht.
DOMRADIO.DE: Das heißt, Sie haben sich auch physisch auf den Weg gemacht, ihn kennenzulernen. Sie sind zu Fuß von Assisi bis nach Rom gelaufen. Was hatte das für eine Bedeutung für Ihr Buch?
Prinz: Ich habe das Buch so geschrieben, dass es teilweise ein Wanderbuch ist, wo ich Gegenden schildere, Begegnungen mit Menschen, mit denen ich mich unterhalten habe. Ich habe mir vorher auch von Franziskanern in München eine Empfehlungsschreiben ausstellen lassen, damit ich in Klöstern übernachten kann. Ich bin also drauflosgegangen und wusste nie genau, wo ich abends übernachten werde, wo ich sein werde. Das hat mir einen ganz neuen Zugang zu ihm erschlossen. Er war ja einer, der die Natur, die Tiere und auch die Gestirne sehr geschätzt hat. Man denke an seinen berühmten Sonnengesang. Das heißt, er war einerseits ein sehr erdverbunden Mensch, der die Natur genossen hat, andererseits aber auch ein Mystiker. Und das kann man meiner Meinung nach besser verstehen - jedenfalls habe ich es besser verstanden - wenn man auch diese Gegend kennt und ergeht.
DOMRADIO.DE: Franz von Assisi hatte ein bewegtes Leben. Als Jugendlicher hat er keine Feier ausgelassen. Was hat dann dazu geführt, dass er sein Leben komplett umgekrempelt hat?
Prinz: Das kann man nicht genau sagen. Er hat es ja ziemlich krachen lassen, war immer der König der Jugendlichen, hat alle Feste bezahlt. Die Veränderung ging etappenweise. Er hat angefangen, die Dinge zu schätzen, die in diese bürgerliche Welt nicht reinpassen. Dinge, vor denen er vorher Angst hatte - nämlich vor Armut, vor Aussätzigen, vor Bettlern. Er spricht immer von Süßigkeit, die er dann empfangen hat. Sodass das, was ihn vorher immer abgestoßen hat, plötzlich für ihn einen großen Reiz bekommen hat und er gemerkt hat, dass die Abhängigkeit vom Geld, von seinem Vater, von der Familie, von den ganzen bürgerlichen Werten, eine Sackgasse war. Er hat gemerkt, dass ihn das in ein Leben gedrängt hat, in dem er sich selber verloren hat und auch andere verloren hat. Und er hat sich langsam, Stück für Stück wegbewegt von dieser Welt und hat dann ein Leben gewählt, das im Grunde genommen ein entschlossener Abstieg war.
DOMRADIO.DE: Wenn wir uns jetzt mal die Themen angucken: Tierschutz, Minimalismus, er war auch Friedensstifter. Man könnte sagen, Franziskus hätte auch uns heute noch viel zu sagen. Auf der anderen Seite ist es auch schon 800 Jahre her, dass er gelebt hat. Kann er uns heute noch Orientierung geben oder war das eine komplett andere Zeit?
Prinz: Man muss es immer zweifach sehen. Man muss sehen, dass uns ein tiefer Graben von ihm trennt. Und das darf man nicht übersehen. Das muss man akzeptieren. Andererseits gibt es etwas, eine Essenz, die man auch übertragen kann, die überzeitlich ist. Beispielsweise sein Lob der Schöpfung, sein Lobgesang der Natur, sein Beschützerinstinkt gegenüber Tieren, dann seine Ortlosigkeit, aber auch sein Verhältnis zu Geld. Oder was er über Hierarchie gesagt hat. Er hat die Hierarchie abgelehnt. Er wollte nicht in die Hierarchie-Systeme einer bestehenden Kirche. Das sind alles Dinge, die man sehr wohl übertragen kann in die Gegenwart. Aber man muss vorsichtig sein. Man darf das nicht mit der Brechstange aktualisieren, sondern man muss ein Angebot machen. Und wenn man dann sieht, was er für Gedanken Ideen hatte, dann merkt man erst, wie hochgradig aktuell er ist.
DOMRADIO.DE: Am Ende Ihres Buches schreiben Sie: Ich glaube, ich verstehe Franziskus jetzt besser. Ich muss unbedingt nochmal auf seinen Wegen wandern. Warum müssen Sie das unbedingt tun?
Prinz: Die Erfahrung damals, diese Tage, in denen ich unterwegs war, das war einfach großartig - die Landschaft dort, die Architektur, die kleinen Dörfer, zu sehen, wo er gelebt hat. Das hat mich noch nicht gesättigt und war zu kurz. Ich musste wieder zurück, weil ich nur eine bestimmte Zeit hatte. Aber als ich zurückfuhr mit dem Zug, habe ich mir vorgenommen, dass ich wiederkomme.
Das Interview führte Elena Hong.