Diakonie will trotz Arbeitsverboten in Afghanistan bleiben

"Wir sind uns der Risiken bewusst"

Seit Dezember dürfen Frauen in Afghanistan nicht mehr für internationale Hilfsorganisationen arbeiten. Manche Hilfsmaßnahmen wurden eingestellt. Wie sieht es bei der Diakonie Katastrophenhilfe aus und welche Hilfe ist noch möglich?

Hilfsbedürftige in Afghanistan / © lexandros Michailidis (shutterstock)
Hilfsbedürftige in Afghanistan / © lexandros Michailidis ( shutterstock )

DOMRADIO.DE: Am Mittwoch gab es ein Treffen in Doha mit den Vereinten Nationen und hochrangigen Diplomaten. Auch da ging es um die Restriktionen der Taliban gegen Frauen und das weibliche UN-Personal. Gibt es da greifbare Ergebnisse?

Michael Frischmuth (Abteilungsleiter Programme der Diakonie Katastrophenhilfe in Berlin): Wir haben bislang nichts von greifbaren Ergebnissen gehört. Insgesamt sind die Prognosen auch wenig vielversprechend, dass man mit den Taliban da auf einen gemeinsamen Nenner kommen wird.

Humanitäre Hilfe in Afghanistan

Afghanistan zählt zu den größten humanitären Krisenherden weltweit. Nach UN-Angaben sind etwa 28 Millionen Menschen in dem Land auf Hilfe angewiesen, mehr als die Hälfte der Bevölkerung. Die Afghaninnen und Afghanen leiden unter Hunger, den seit Jahrzehnten anhaltenden Konflikten sowie der Wirtschaftskrise.

Ortskräfte aus Afghanistan / © Marc Tessensohn/Bundeswehr (dpa)
Ortskräfte aus Afghanistan / © Marc Tessensohn/Bundeswehr ( dpa )

DOMRADIO.DE: Die Welthungerhilfe hat sich entschieden, die Arbeit in Afghanistan auszusetzen. Man wolle eine prinzipientreue, bedarfsgerechte Programmarbeit erst wieder aufnehmen, wenn das Berufsverbot der Taliban zurückgenommen wird. Was machen Sie mit der Diakonie?

Frischmuth: Wir haben die Arbeit nicht eingestellt, als im August 2021 die Taliban wieder die Macht in Afghanistan übernommen haben und wir haben sie jetzt auch nicht im Dezember vergangenen Jahres eingestellt, als das Verbot erlassen wurde, dass afghanische Frauen nicht mehr für Hilfsorganisationen arbeiten dürfen.

Wir arbeiten weiter, natürlich unter sehr erschwerten Bedingungen. Vor allen Dingen für unsere Partnerorganisationen, die ohnehin unter massivem Personalschwund leiden, da viele gut qualifizierte Menschen Afghanistan in den vergangenen 18 Monaten verlassen haben. Und nun können selbst die qualifizierten Frauen nicht mehr für die Organisationen arbeiten.

Michael Frischmuth (Abteilungsleiter Programme der Diakonie Katastrophenhilfe in Berlin)

"Ein Restrisiko bleibt immer für unsere Partnerorganisationen"

DOMRADIO.DE: Bringen Sie da Ihre Leute zusätzlich in Gefahr, wenn die Taliban jetzt offiziell sagen: Nein, Frauen dürfen hier nicht mehr arbeiten?

Frischmuth: Wir sind uns der Risiken bewusst. Die Partnerorganisationen sind sich der Risiken auch bewusst. Es gibt lokale Arrangements. Es wird ja nicht alles aus Kabul zentral gesteuert, es gibt ja nicht die einen Taliban.

Unsere Partnerorganisationen, die seit Jahren und zum Teil seit Jahrzehnten vor Ort sind und vernetzt sind, sind in der Lage, lokale Arrangements zu erwirken. Aber ein Restrisiko bleibt immer für unsere Partnerorganisationen, auch wenn sie sich gewisse Zusagen holen können.

Michael Frischmuth (Abteilungsleiter Programme der Diakonie Katastrophenhilfe in Berlin)

"Afghanistan ist ein extrem katastrophenanfälliges Land"

DOMRADIO.DE: Mit der Diakonie-Katastrophenhilfe leisten Sie auch Bargeld-Hilfe über eine Partnerorganisation in der Provinz Bamiyan. 8.000 Leute kriegen dadurch Zugang zu ausreichend Nahrungsmitteln. Was ist das für eine Gegend und wie ist dort die Lage?

Frischmuth: Das ist eine der Regionen, die von der Hungersnot mit am stärksten betroffen sind. Es gibt Regionen, da ist die Hungersituation sogar noch schlimmer. Dorthin würden wir auch gerne unsere Programme ausweiten. Es ist wirklich so, dass die Menschen auf die humanitäre Hilfe zum täglichen Überleben angewiesen sind.

Afghanistan ist ein extrem katastrophenanfälliges Land. Dürren schlagen durch, sie werden dann sofort von Überschwemmungen gefolgt. Erdbeben kommen dazu. Bei Bargeld-Hilfen gibt es funktionierende Märkte, die funktionieren so weiter in Afghanistan. Das heißt, die Menschen können sich das, was sie zum täglichen Überleben brauchen, auf den Märkten kaufen. Mit solchen Programmen sichern wir das Überleben der Menschen ab.

DOMRADIO.DE: Mehr als 24 Millionen Menschen sind angewiesen auf humanitäre Hilfe in Afghanistan, 6 Millionen stehen am Rande einer Hungersnot. Vertreter der UN und internationale Diplomaten haben jetzt beraten, um einen einheitlichen Umgang der internationalen Gemeinschaft mit der Taliban-Regierung zu finden. Sollte es in Ihren Augen auch eine einheitliche Lösung in der Frage geben, wer wie und wo humanitäre Hilfe in dem Land leistet?

Frischmuth: Das wurde versucht. Es gibt natürlich Gespräche zwischen den humanitären Hilfsorganisationen, die vor Ort arbeiten. Die sind sehr vielschichtig. Es gibt Organisationen, die ihre Projekte selbst umsetzen. Es gibt Organisationen wie die Diakonie Katastrophenhilfe, die ihre Hilfsprogramme über die Partnerorganisationen leistet.

Es gibt Organisationen, zu denen wir auch gehören, die sich sehr den humanitären Prinzipien verpflichtet fühlen. Wir setzen natürlich auch das Prinzip der Humanität an die erste Stelle. Vor diesem Hintergrund sagen wir: Wir wollten unsere Hilfsleistungen nicht aussetzen.

Das heißt, es ist eine sehr große Diversität da, dass wir uns abstimmen und koordinieren, wer wo hilft. Das funktioniert in Afghanistan. Einen einhelligen Konsens zu bekommen, wie man mit der Situation in Afghanistan umgeht, ist aber nur schwer möglich.

Das Interview führte Uta Vorbrodt.

Quelle:
DR