DOMRADIO.DE: Was ist denn an diesem Tag vor 25 Jahren bei der Schweizergarde im Vatikan passiert?
Ulrich Nersinger (Vatikanexperte): Ein Vizekorporal mit Namen Cedric Tornay hat sich zur Wohnung seines Kommandanten begeben. In der Wohnung war auch die Frau des Kommandanten anwesend. Er hat den Kommandanten erschossen, dann die Frau des Kommandanten und sich schließlich selbst gerichtet.
DOMRADIO.DE: Wer ist denn dieser Kommandant, Alois Estermann, gewesen?
Nersinger: Alois Estermann hat eine beachtliche Karriere gemacht. Er war ehemalig im landwirtschaftlichen Bereich tätig und hat sich dort hochgearbeitet. Er war ein sehr fähiger Mann, der auch beim Attentat auf Papst Johannes Paul II. eine vorbildliche Rolle gespielt hat, indem er den Papst zu schützen versuchte.
Estermann wollte eine gute militärische Führung durchsetzen. Er hatte straffe Vorstellungen von der Führung der Truppe. Das ist vielleicht nicht bei jedem so gut angekommen.
DOMRADIO.DE: Hatte er den jungen Schweizergardisten zuvor degradiert?
Nersinger: Er hat ihn nicht degradiert. Er hat ihm angeblich eine Auszeichnung verweigert, die eigentlich nach einer gewissen Dienstzeit üblich war. Es gab Probleme mit Tornay, weil dieser auch in seiner Arbeit immer wieder Schwierigkeiten gezeigt hatte.
DOMRADIO.DE: Für den Vatikan ist der Fall abgeschlossen. Tornay galt als unreif und soll Haschisch konsumiert haben. Es gibt aber auch andere Theorien, zumal auf dem Tisch des Tatorts vier Gläser standen. Und es waren ja nur drei an diesem Mordfall beteiligt.
Nersinger: Es gibt einen ausführlichen Bericht. In diesem Bericht gibt es aber einige Sachen, die bis heute nicht ganz transparent geworden sind. Das eine ist, dass sich in der Wohnung statt drei Gläsern vier befanden. War also noch jemand in der Wohnung?
Dann hat auch die Mutter von Tornay gesagt, das sei nicht die Art ihres Sohnes gewesen. Sie hat auch auf verschiedene Punkte hingewiesen. Sie war mit der offiziellen Beurteilung ihres Sohnes nicht zufrieden.
Man sprach in den Fachkreisen von einem Raptus. Das ist ein psychopathologisches Symptom. Das heißt, dass jemand mit einem ungeheuren Ausbruch von Aggressivität aus bestimmten psychischen Problemen heraus gehandelt hat. Damit hat sie sich nicht zufrieden gegeben.
DOMRADIO.DE: Welche Folgen hatten denn die Morde? Es gab Spekulationen, die Schweizergarde aufzulösen.
Nersinger: Ja, weil das ein unglaublicher Akt war, der so eigentlich kaum vorgekommen ist. Im Jahr 1959 gab es einen ähnlichen Vorfall, da hat ein Gardist versucht, Oberst Nünlist umzubringen. Das ist aber Gott sei Dank nicht geschehen. Er wurde nur verletzt. Es gab das also schon mal, aber trotzdem war das für die Garde unglaublich und ein regelrechter Schock.
DOMRADIO.DE: Inzwischen gibt es charakterliche Eignungstests für neue Soldaten, oder?
Nersinger: Ja. Man hat vorher auch schon ausgesiebt, aber man hat das danach nochmal verfeinert, um alle Möglichkeiten und alle Krankheiten eines künftigen Gardisten auszuschließen.
DOMRADIO.DE: Zwei Tage nach der Bluttat des 4. Mai hätte eigentlich ein Gardefest stattfinden sollen. Das ist vermutlich ausgefallen, oder?
Nersinger: Ja. Die ganze Garde stand unter Schock. Sie hat es dann mit der Zeit und auch mit der Hilfe des Vatikans überwunden. Auch der Papst und der Kardinalstaatssekretär haben dabei geholfen, das zu überwinden und haben auch ihre Solidarität mit der Garde ausgesprochen.
Das Interview führte Tobias Fricke.