Der Pontifex persönlich war es, der die Gerüchteküche um eine mögliche vatikanische Friedensmission zwischen Russland und der Ukraine befeuerte. Da sei etwas im Gange, teilte Papst Franziskus am 30. April im Luftraum zwischen Budapest und Rom der Weltpresse überraschend mit. Und wenn es spruchreif sei, werde er mehr dazu sagen.
Rätselraten seit Ankündigung
Seither ist ein Sturm von Anfragen in Kiew, Moskau und im Vatikan eingegangen, und zunächst schien alles nur heiße Luft zu sein. Man sei verwundert und wisse von keiner derartigen Initiative, hieß es zunächst im russischen und im ukrainischen Außenministerium.
Woraufhin sich der Chef der vatikanischen Diplomatie, Kardinalstaatssekretär Pietro Parolin, seinerseits verwundert zeigte und versicherte, es handele sich um ein Missverständnis.
Beobachter erinnerten an den Besuch des ukrainischen Ministerpräsidenten Denys Schmyhal beim Papst unmittelbar vor der Ungarn-Reise. Auch da war schon von einer "Friedensformel" die Rede.
Und der Gast aus Kiew war voll des Lobes für die unermüdlichen Bemühungen des Papstes für den Gefangenenaustausch zwischen den Kriegsparteien und für eine Rückführung von Kindern, die nach Russland entführt worden waren.
Der ukrainische Botschafter beim Heiligen Stuhl, Andrii Yurasch, twitterte einen Tag nach der geheimnisvollen Ankündigung von Papst Franziskus: "Die Beziehungen sind jetzt auf einem viel höheren Niveau mit konstanter Interaktion und vertrauensvollem Austausch." In Richtung Moskau gab es in den Tagen danach Signale, dass der abgebrochene Gesprächsfaden zwischen dem Papst in Rom und dem Moskauer Patriarchen Kyrill I. wieder neu geknüpft werden könnte.
Schwieriges Verhältnis zum Moskauer Patriarchen
Dieser war nach einer von Kyrill als unverschämt empfundenen Äußerung des Papstes ihm gegenüber Mitte März abgebrochen. Kyrill ist ein wichtiger Verbündeter von Präsident Wladimir Putin und hat dessen Angriff auf die Ukraine bislang vorbehaltlos gutgeheißen.
Neuen Schwung bekamen die Spekulationen über eine vatikanische Vermittlung im Krieg, als sich am Samstag Medienberichte bestätigten, dass der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj in Rom und dort auch beim Papst erwartet werde. Selenskyj selbst twitterte am Samstagmorgen, dass er in Rom Präsident Sergio Mattarella, Regierungschefin Giorgia Meloni und den Papst treffen werde und sprach von "einem wichtigen Besuch für den nahenden Sieg der Ukraine".
Der Papst nutzte ein Treffen mit fünf neuen Vatikanbotschaftern am Samstagmorgen, um noch einmal seine Vision einer vatikanischen Vermittlung zu umreißen. Der Heilige Stuhl habe eine klar definierte Sonderrolle in der internationalen Gemeinschaft und verfolge eine Strategie der "positiven Neutralität". Dies ermögliche es ihm, "besser zur Lösung von Konflikten beizutragen".
"Positiven Neutralität" für Frieden?
Trotz dieser Ausführungen blieb bis zuletzt unklar, wie die Vermittlungsstrategie des Papstes (als Person) und des Heiligen Stuhls (als Völkerrechtssubjekt) überhaupt aussehen könnte.
Wichtigste Trumpfkarte im Ärmel des Papstes ist seine über Monate konsequent herausgearbeitete Überparteilichkeit in dem Konflikt. Zwar hat er seit Beginn des Krieges mehr als 50 Mal zum Gebet für das "gemarterte ukrainische Volk" aufgerufen. Doch vermied er stets, den russischen Präsidenten als Schuldigen an dem Krieg zu benennen.
Stattdessen ließ er bei einigen Gelegenheiten sogar Verständnis dafür durchblicken, dass sich Russland wohl angesichts des Vorrückens der Nato an die Grenzen des eigenen Imperiums provoziert gefühlt habe. Er sprach zudem auch vom Leiden des russischen Volkes und von allen, die im Krieg Angehörige verloren haben. Zudem vertrat er immer wieder pazifistische Positionen - etwa, dass der Waffenhandel schuld an diesem Krieg und an anderen Konflikten sei.
Wenn nun Selenskyj den Papst trotz fehlender Parteinahme für die ukrainische (und die westliche) Position in diesem Krieg als Mann des Friedens aufsucht, ist für den von der Mitte zwischen beiden Ufern aus agierenden Brückenbauer in Weiß die eine Hälfte des Wegs schon fast überbrückt.
Wie danach der Brückenschlag Richtung Moskau gelingen kann und welche Rolle dabei gegebenenfalls neue Kontakte zum Moskauer Patriarchat spielen werden, steht auf einem anderen Blatt.