DOMRADIO.DE: Sie haben zwei Tage gemeinsam mit Bischof Erik Varden als Delegation der Nordischen Bischofskonferenz für einen Solidaritätsbesuch die Ukraine bereist. Welche Eindrücke haben Sie gesammelt?
Lars Anders Kardinal Arborelius (Bischof von Stockholm): Wir waren erstaunt, dass das Leben so normal war. Das Leben in Kiew geht einfach weiter. Die Menschen sahen froh aus und es war eine lebendige Stadt. Aber man hat im Hintergrund immer gefühlt, dass der Krieg eine schreckliche Wirklichkeit ist, die alle Menschen betrifft.
DOMRADIO.DE: Was bekommt man denn von der Kriegssituation konkret mit?
Arborelius: Wir waren in den kleinen zerstörten Städten außerhalb Kiews. Dort, wo die russischen Truppen Kriegsverbrechen begangen haben. Wir haben mit den Leuten gesprochen und es war deutlich zu sehen, dass da etwas Furchtbares geschehen ist.
Bei der Michaelskirche in Kiew sind Fotos von den tausenden Soldaten zu sehen, die gefallen sind. Alle haben Menschen in ihrem Umkreis, die vom Krieg betroffen und entweder an der Front oder im Ausland sind. Der Krieg ist eine ständige Wirklichkeit.
In der Nacht von unserer Ankunft sind viele Raketen über über Kiew geflogen. Aber während der nächsten Nacht, in der wir da waren, ist nichts geschehen. Überall war zu spüren, dass sich das Land im Krieg befindet, aber es hat uns verwundert, dass die Menschen doch so normal leben und auch froh sind. Die österliche Freude war wirklich zu sehen und zu erfahren in unseren Begegnungen mit Geistlichen und anderen Gläubigen in der Ukraine.
DOMRADIO.DE: Sie haben es gesagt, sie haben auch die zerstörten Städte rund um Kiew besucht. Was sieht man denn da heute konkret und was erzählen Ihnen die Menschen da?
Arborelius: Man sieht viele zerstörte Gebäude. Aber man sieht auch, dass die Menschen beginnen aufzubauen. Man hört von den Menschen, dass in den Wäldern Minen sind, dass es gefährlich ist und es ist verboten, dahin zu gehen. Andere sind da hingegangen und wurden immer noch getötet von den Minen.
Und dann natürlich das psychologische Trauma. Und das ist vielleicht das Schlimmste für Kinder und andere, die so viel erlebt haben. Man hat Verwandte, die gefoltert oder misshandelt oder sogar getötet wurden. Die Wunden sind immer noch da. Aber zurzeit sieht man, dass man an die Zukunft glaubt. Man beginnt aufzubauen. Man versucht zum normalen Leben zurückzukehren. Und was mir auch auffiel: Man hört nicht viel über Hass oder Rache. Natürlich ist man durch die Angriffe verletzt, aber von Hass habe ich nichts gehört.
DOMRADIO.DE: Sie haben auch mit Kirchenvertretern gesprochen, unter anderem mit Großerzbischof Schewtschuk in Kiew. Wie geht es denn der Kirche, den Christen? Wie gehen sie mit dieser Situation um?
Arborelius: Für die Christen ist es wirklich eine Zeit der Prüfung. Aber zugleich ist mir wirklich aufgefallen, dass die Menschen im Glauben gestärkt sind. Und es ist eine große Aufgabe für die Kirche, den Menschen zu helfen, im Glauben verstärkt zu werden und auch in Hoffnung zu leben. Hoffnung auf den Frieden, Hoffnung auf eine gute Zukunft. Das war natürlich auch für uns sehr ermunternd. Wir dachten, wir gehen dahin, um sie zu trösten, aber wir haben erfahren, dass wir von ihrem Glauben bestärkt wurden.
Also, dass man in so schwierigen Umständen wirklich diesen Auferstehungsglauben verkünden kann und auch davon gestärkt wird. Das war auch eine sehr große Glaubenserfahrung. Und natürlich ist der Großerzbischof selbst ein Mann der Heiligkeit. Und wenn man mit ihm spricht, wird man wirklich im Glauben gestärkt. Er hat auch diese Rolle in der ukrainischen Gesellschaft bekommen.
Es ist auch eine schwere Zeit für die griechisch-katholische Kirche, die eine schwere Geschichte in der Ukraine gehabt hat und wirklich als eine stärkende und tragende Gemeinschaft dazu steht. Wir haben natürlich auch die römisch-katholische Kirche besucht und da die Messe in der Alexanderkirche gefeiert. Und überall fühlt man diese Glaubensatmosphäre und dass die Kirche wirklich für die Menschen wichtig ist. Das war ganz deutlich zu erfahren.
DOMRADIO.DE: Ganz persönlich gefragt: Hat das Ihren Blick auf die Ukraine und den Krieg verändert, persönlich da gewesen zu sein?
Arborelius: Niemand weiß ja, wie es weitergeht. Und das ist natürlich für alle das Fragezeichen. Aber was mich so getroffen hat, ist diese Hoffnung, diese Gotteserfahrung, die bei den Gläubigen zu spüren ist. Dass man wirklich Kreuz und Auferstehung im gewöhnlichen Leben erfahren kann. Und das war für mich eine große geistliche Erfahrung. Und ich denke, dass das auch für uns hier im Westen, die wir so bequem leben und so gleichgültig, etwas Wichtiges wäre, unsere leidenden Brüder so zu sehen, dass sie uns stärken und trösten können in unserem alltäglichen Leben.
DOMRADIO.DE: Dieses Wochenende ist der ukrainische Präsident Selenskyj in Rom. Es gibt auch die Vermutung, dass er Papst Franziskus treffen könnte. Müssen wir uns als Kirche und Vatikan mehr engagieren für die Ukraine?
Arborelius: Also natürlich können wir viel, viel mehr tun, um diesen Leuten zu helfen und mit ihnen Kontakt zu haben. Das war für uns eine Überraschung, dass man wirklich so froh war, dass wir dorthin gekommen sind. Wir haben gesagt, "wir können nicht viel tun". "Nein, aber nur Ihre Anwesenheit, dass Sie sich um uns kümmern". Und überall hört man, "Sie müssen für uns beten". Also, man glaubt an die Kraft des Gebetes. Und natürlich als katholische Kirche, als eine internationale oder besser gesagt, übernationale Kirche können wir wirklich viel für Ukraine, für den Frieden, für die Versöhnung und eine bessere Zukunft tun. Wir versuchen natürlich, den Flüchtlingen zu helfen. Wir können ihnen immer noch besser helfen, aber auch irgendwie zeigen, dass wir mit der Bevölkerung in der Ukraine sehr verbunden sind und dass wir unsere Freundschaft, unsere Liebe besser zeigen können.
Das Interview führte Renardo Schlegelmilch.