DOMRADIO.DE: Das Thema ist in den letzten Jahren bewusster geworden. Wann ist Ihnen aufgegangen, dass es da ein Problem gibt, wie wir in der Gesellschaft und der Kirche mit solchen Menschen umgehen? Wann haben Sie das erste Mal das Wort queer gelernt?
Weihbischof Ludger Schepers (Essener Weihbischof, Queerbeauftragter der Deutschen Bischofskonferenz): Es ist so, dass ich in der Frauenkommission bin. Diese Kommission führt Gespräche, auch mit Lesben- und Schwulenverbänden.
Im Jahr 2018 habe ich die Frage gestellt, ob zu einer solchen Bundeskonferenz von Beauftragten verschiedenster Diözesen nicht auch jemand von uns geht. Denn wir als Bischöfe gehen in der Regel zu vielen Verbänden und Vereinigungen. Aber das war nicht der Fall.
So bin ich dann am 26. März 2018 in diese Runde gekommen, die damals noch sehr klein war und in der etwa sieben Vertreter von Diözesen waren. Heute sind es über 20. Insofern ist das auch ein großer Fortschritt.
Der Umgang mit Lesben und Schwulen war da schon eine Frage. Den Begriff "queer" hatte ich irgendwie auch mal gehört, aber vertieft hat sich das erst da.
DOMRADIO.DE: Die Kirche sagt, Gott liebt alle Menschen in ihrer Verschiedenheit, so wie sie von Gott geschaffen sind. Das ist die Theorie. In der Praxis sieht es manchmal anders aus. Hat denn die katholische Kirche im Jahr 2023 ein Homophobie-Problem?
Schepers: Ich denke, insgesamt hat unsere Gesellschaft ein Homophobie-Problem. Dazu gehören natürlich auch die Menschen in der Kirche, denn sie sind ja nicht außerhalb dieser Welt.
DOMRADIO.DE: Das hat sich in den letzten Jahren aber verbessert, so wie Sie es gerade angedeutet haben?
Schepers: Bei #OutInChurch und vielen Begegnungen mit der Regenbogenfahne, in Diskussionen vor Ort und in Pfarreien hat sich sehr vieles bewegt, sodass das Thema auch in die Öffentlichkeit geraten ist.
DOMRADIO.DE: Der evangelische Landesbischof Ralf Meister hat Anfang der Woche gesagt, dass sich dringend etwas ändern müsse und auch die Menschen dazu aufgerufen, die Benachteiligung sexueller Minderheiten zu verringern. Sind unsere evangelischen Geschwister da weiter? Ist das ein explizit katholisches Problem?
Schepers: Ich glaube nicht, dass das ein explizit katholisches Problem ist. Ich möchte auch gar nichts zur evangelischen Schwesterkirche sagen, weil wir selber genug eigene Probleme mit dieser Frage haben und an dieser Stelle nicht auf andere mit Fingern zeigen sollten.
Ich habe vor vier Tagen in einem WDR-Bericht gelesen, dass 48 Prozent aller queeren Kinder auf den Schulhöfen in den Schulen gemobbt werden und davon nur 46 Prozent Hilfe durch Eltern und Lehrer erfahren. Wenn ich das lese, ist es doch sehr erschütternd, was noch alles zu tun ist.
DOMRADIO.DE: Anfang des letzten Jahres hat sich die Initiative #OutInChurch für eine Änderung des katholischen Arbeitsrechts eingesetzt. Da sind wir inzwischen weitergekommen. Es gibt neue Grundregeln, dass niemand in der katholischen Kirche aufgrund seiner sexuellen Identität den Job verlieren kann. Allerdings ist das nicht für alle Bistümer in Deutschland bindend. Diese entscheiden selber. Kann man denn von einem Erfolg sprechen, wenn es im Endeffekt trotzdem darauf ankommt, in welchem Bistum man arbeitet?
Schepers: So viel ich weiß, sind es nur ganz wenige Bistümer, die es noch nicht umgesetzt haben. Zum Teil liegt das daran, dass keine ordinierten Bischöfe da sind, sondern Administratoren, die in dieser Zeit der Vakanz nichts verändern können. Aber ich gehe davon aus, dass das alle auf dem Schirm haben und fast alle schon gemacht haben. Das ist jedenfalls mein Kenntnisstand.
DOMRADIO.DE: Die katholische Kirche ist da offenbar auf einem guten Weg. Sind Sie froh darüber?
Schepers: Ja, zumindest in der Theorie sind wir da schon sehr weit. Aber wie das praktisch im Alltag ausgeführt wird, ist eine andere Frage. Wir als Ordinariat und Generalvikariat sind ja nicht die einzelnen eigenen Anstellungsträger.
Viele Kirchengemeinden sind noch eine Körperschaft öffentlichen Rechts, die selbstständig sind. Natürlich bedarf es der Genehmigung von Arbeitsverträgen. Aber das ist sicherlich eine Kultur, die beobachtet werden muss.
Das Interview führte Renardo Schlegelmilch.