DOMRADIO.DE: Wie haben Sie die Berufung verspürt, Priester zu werden?
Dr. Stefan Heße (Erzbischof von Hamburg): Die ist bei mir durch kontinuierliches Verbundensein mit der Kirche gewachsen. Ich war vor der Erstkommunion schon Messdiener gewesen. Später dann Messdienerleiter. Ich habe mich in der Gruppenarbeit engagiert und in der Liturgie geholfen. Wir haben damals der Kirche direkt gegenüber gewohnt und sie hat wie selbstverständlich dazugehört. Es hat sich mir in der Grundstimmigkeit Nahe gelegt, weshalb ich dann den Weg ins Studium eingeschlagen habe und dann, auf geradem Wege, 1993 zum Priester geweiht worden bin.
DOMRADIO.DE: Wie blicken Sie auf diese 30 Jahre zurück?
Heße: Die sind sehr unterschiedlich verlaufen. Ich war leider nur knapp vier Jahre Kaplan in Bergheim an der Erft. Dann kam die Priesterausbildung, dann kam das Personal-Referat, dann wurde ich Generalvikar und jetzt bin ich im neunten Jahr Bischof hier in Hamburg. Das hätte ich so nicht auf der Agenda gehabt. Das war in keiner Weise so geplant. Ich hatte an bestimmten Stellen den Wunsch, wieder in die Pfarrseelsorge zurückzugehen, weil weil ich da viel Schönes erlebt habe. Ich versuche auch heute als Bischof noch mit den Menschen in Kontakt zu treten und die verschiedenen Gruppen zu besuchen, in diesem Sinne Pastor und Hirte zu sein. Das lebt von der Beziehung zu den Menschen und das wird in großen Räumen schwieriger.
Deswegen erlebe ich das hier in Hamburg als sehr schön. Wir sind eine Familie, wir haben hier flache Strukturen, wir sind Diaspora-Bistum und da hat man als Bischof schon eine gewisse Nähe zu den Menschen. Das Bistum ist überschaubar und das genieße ich. Deswegen fühle ich mich hier in Hamburg sehr wohl.
DOMRADIO.DE: Sie haben gerade auch schon Schwierigkeiten angesprochen. 2021 haben Sie Papst Franziskus ein Rücktrittsgesuch gesendet. Inwieweit war das damals eine Zäsur?
Heße: Ich bin damals ernsthaft davon ausgegangen, dass der Papst das Gesuch annimmt. Ich musste mich sehr damit auseinandersetzen, als er es dann nicht tat. Ich bin froh, dass der Wiedereinstieg dann gut geklappt hat. Da bin ich dankbar für die Begegnungen mit den vielen Menschen, die mir diesen Einstieg wieder ermöglicht haben. Ich habe den Eindruck, dass das jetzt ganz gut läuft. Mir sagen viele, diese Zeit habe mich verändert. Ich habe andere Akzente gesetzt. Hier ist man nicht der Bischof, der durch große Predigten oder Pontifikalämter glänzen könnte. Das ist, glaube ich, nicht das Markenzeichen von Diaspora; es ist eher das Stetige, der Kontakt, das Bescheidene, das Dazwischensein und der ständige Versuch, am Puls der Zeit zu sein.
Deswegen sind für mich die sozialen Themen, die Diakonie, die Flüchtlinge ganz zentral. Ich versuche da immer wieder Begegnungen zu schaffen, zum Beispiel über eine digitale Sprechstunde. Wir sind flächenmäßig so groß, dass Menschen aus den entfernteren Gebieten der Diözese eben nicht so einfach mal nach Hamburg kommen. Deswegen geht das auf digitalem Weg. Da hat uns Corona auch einiges gelehrt und das macht mir es heute auch sehr freudvoll, diesen Dienst weiter tun zu dürfen.
Ich erlebe immer wieder großartige Momente, jüngst die Erwachsenen-Firmung, wenn sich 30, 40 Leute in unserem Bistum als Erwachsene firmen lassen. Ich erlebe die internationalen Gemeinden. Ich war unlängst in einer Jugendgruppe, davor bei alten Menschen in einer Suppenküche, bin mit Politikern im Gespräch. Es ist sehr bunt, sehr vielseitig und insofern sehr realistisch. Und für diese Realitätsnähe, da bin ich hier sehr dankbar.
DOMRADIO.DE: Es entscheiden sich immer weniger Männer dazu, Priester zu werden. Warum ist das so und was müsste sich in Zukunft verändern?
Heße: Ich glaube, es braucht Alternativen, so sehr ich den Zölibat schätze und gerne lebe. Aber vielleicht kann es auch auf andere Weise möglich sein. Wir haben einige Priester in unserem Bistum, die verheiratet sind mit entsprechenden Genehmigungen. Ich bin mit jemandem im Gespräch, der als Quereinsteiger in höherem Alter Priester werden möchte. Wir haben die Diakone mit Zivilberuf, warum soll es den Priester mit Zivilberuf nicht geben?
Wir haben hier und da Kontakt mit jungen Leuten, die interessiert sind am priesterlichen Dienst. Ich kenne einige, die am Ordensleben interessiert sind. Wir haben das Kloster Nütschau in unserem Bistum, die haben gerade eine Professfeier mit jungen Leuten erlebt. Die Wege laufen sehr individuell. Die alten Systeme, das Priesterseminar, wo alle hingegangen sind, sind, glaube ich, nicht mehr die Wege, die man beschreiten kann.
Es braucht sehr viel Aufmerksamkeit und sehr viel Nähe. Und wir müssen hören, wo Gott ruft, vielleicht ruft er an neuen Stellen, die wir noch gar nicht auf dem Schirm haben. Jedenfalls ist es für mich als Bischof bedrängend, dass wir im Moment nur zwei junge Leute auf dem Weg haben. Das macht mir als Bischof große Sorgen. Wir haben nicht nur einen Mangel bei den Priestern, sondern auch bei den anderen Berufsgruppen. Den Fachkräftemangel haben wir auch in der Kirche. Und da müssen wir kreativ werden und neue Wege finden. Wo wir das können, tun wir das.
Wir haben zum Beispiel in den pastoralen Laienberufen viele Menschen, die quer einsteigen. Ich fördere das und hoffe, dass wir dadurch auch einen Neuzugang gewinnen. Gott sei Dank ist Hamburg attraktiv. Die Menschen kommen gerne hier hin. Auch nach Schleswig-Holstein und Mecklenburg mit den weiten, schönen Landschaften. Es lohnt sich, in den hohen Norden zu kommen.
DOMRADIO.DE: Was bedeutet Ihnen dieser Priester-Jahrgang 1993?
Heße: Ich bin froh, dass wir uns in diesem Jahrgang immer wieder treffen. Es gibt das Gesamtsemester, da treffen wir uns immer zum Weihetag. Das ist für mich jetzt von hier aus immer ein bisschen schwieriger. Aber demnächst kommt eine kleinere Gruppe, mit der ich mich seit der Priesterweihe regelmäßig treffe. Der Kontakt ist geblieben. Es muss nicht jeder mit jedem, wenn sich aber jemand ganz verabschiedet, finde ich das immer schwierig. Deswegen bin ich froh, dass diese kleine Gruppe geblieben ist, dass wir miteinander durch dick und dünn gegangen sind.
Wir sind in verschiedenen Punkten auch unterschiedlicher Meinung. Das ist manchmal gar nicht so einfach, aber das muss so eine Gruppe auch aushalten. Ich hoffe, dass wir beieinander bleiben, nicht nur als Priester, sondern auch als Menschen. Ich bin froh dass wir inhaltlich beieinander sind und über alles reden können. Ich bin aber auch froh, dass wir geistlich beieinander sind. Für uns gehörte immer auch das gemeinsame Beten, die Feier, die Heilige Messe dazu. Das tun wir gemeinsam. Das trägt und stärkt, weil das eben nicht nur ein Job wie viele andere ist, sondern eine Berufung und letztlich auch ein Ruf durch Christus selbst. Diesem Ruf ein Leben lang treu zu sein, in immer neuen Formen und Wandlungen, bei allen Veränderungen, die die Kirche und die Gesellschaft mit sich bringen. Das wird die Herausforderung sein.
Das Interview führte Tim Helssen.