Vor 2019 kamen jährlich 12 bis 14 Millionen Menschen zu Notre-Dame – immer mehr. Die Messbesucher werden dagegen immer weniger. Dennoch ist die Pariser Kathedrale nicht in erster Linie ein Ort für Touristenmassen, sondern das, was sie seit Jahrhunderten ist: eine riesige Kirche, das Haus Gottes.
Nach dem katastrophalen Brand vor gut vier Jahren hatte das Erzbistum Paris – neben viel Arbeit – auch eine Chance, die andere Kirchenverantwortliche kaum je haben: eine Stunde Null, einen gestalterischen Reset-Knopf.
Spagat zwischen Einzigartigkeit des Raums und Dialog mit Besuchern
Die Macher haben sich sehr viele Gedanken gemacht, um den Spagat hinzubekommen zwischen einem einzigartigen liturgischen Raum und der einmaligen Chance, Hunderttausenden religiös Unbedarften, aber potenziell Interessierten geistlich zu begegnen.
Die Anforderungen an Notre-Dame sind dabei maximal unterschiedlich: Gläubige und Atheisten, Neugierige und Unerfahrene haben ihre je eigenen; Beter wollen Stille, Orgelliebhaber wollen Klang, Kulturinteressierte Informationen – und: Reisegruppen machen Lärm. Aber: Wohl kaum jemand kommt zu 100 Prozent als Pilger oder zu 100 Prozent als Tourist.
Nun ist ein weiterer Schritt für die neue Inneneinrichtung gemacht: Nach einem intensiven Auswahlverfahren und nach Konsultation seiner Fachberater und anderer, auch staatlicher Gremien hat der Pariser Erzbischof Laurent Ulrich den Auftrag für das liturgische Mobiliar erteilt.
Respekt vor Geschichte und Reflexion liturgischer Einfachheit des Konzils
Aus 69 Bewerbungen wurde der Designer Guillaume Bardet (52) ausgewählt, um Altar, Ambo (Lesepult), Kathedra (Bischofsstuhl), Tabernakel (Hostienschrein) und Taufbecken aus Bronze für Notre-Dame de Paris herzustellen. Am Ende traf der Erzbischof persönlich die Entscheidung.
Eine große Verantwortung, wie er selbst einräumte. "Es braucht Respekt vor der Geschichte, um ein bleibendes Werk zu schaffen", sagte er vor Medienvertretern; aber auch eine Reflexion der "edlen Einfachheit der Liturgie des Zweiten Vatikanischen Konzils", jener bedeutenden Kirchenkonferenz 1962 bis 1965.
Ulrich weiter: Bronze sei eine gute Wahl; sie werde "in einen offenen Dialog mit dem Stein treten".
Die Designerin Ionna Vautrin wurde für die 1.500 Stühle im Kirchenschiff der Kathedrale ausgewählt: nach Angaben der Erzdiözese zeitlose Möbel aus massiver Eiche, deren Gestänge an die Bögen und Säulen der Kathedrale erinnern sollen.
Das gesamte Innenarchitekturprojekt will Erzbischof Ulrich bei der nächsten Sitzung der Nationalen Kommission für Kulturerbe und Architektur (CNPA) am 13. Juli vorstellen.
Kritiker befürchten "religiöses Disneyland"
Die Auslieferung des Mobiliars ist für September 2024 vorgesehen; die feierliche Wiedereröffnung der Kathedrale dann für den 8. Dezember.
Schon Ende 2021 war das künftige Innenraumkonzept vorgestellt worden – das Massentourismus, den Verlust an Glauben und Religionswissen und gewandeltes Stilempfinden gleichermaßen reflektieren soll.
Traditionell Gesinnte wetterten über ein "religiöses Disneyland".
Alles solle so bleiben, wie es immer war – oder zumindest seit der Renovierung durch Eugene Viollet-le-Duc nach den Verwüstungen der Französischen Revolution vor fast 250 Jahren.
Betonung und Beleuchtung des Kirchenschiffs als Mittelachse
Projektleiter Gilles Drouin beschreibt die künftige Innengestaltung der Pariser Kathedrale als eine "katechetische und ästhetische Reise".
Der Chef-Liturgiewissenschaftler des Institut Catholique Paris (ICP) legt Wert auf die Betonung und Beleuchtung des Kirchenschiffs als Mittelachse der Kirche, die eine weite Perspektive eröffne und die Seele hebe. Dafür tritt der Besucher künftig durch die Mitteltür und nicht mehr durch die Seitentüren ein.
Der Chorraum, einst dem hohen Klerus vorbehalten, dürfe "nicht als Bühne behandelt werden", die Kathedrale nicht als Aufführungssaal, so der Theologe.
Besserer Empfang für Millionen eher christentumsferne Besucher
Sanftes Licht aus den Bänken im Kirchenschiff soll die Gläubigen stärker in die Feier einbeziehen und sie für alle sichtbar als Gemeinde kennzeichnen; auch für jene Besucher, die von Religion und Gottesdienst wenig Ahnung haben.
Neben der liturgischen Gestaltung des Raums legt die Projektleitung auch Wert auf einen besseren Empfang für die Millionen großenteils christentumsfernen Touristen.
Sie sollen künftig vom Nordschiff nach vorne kommen und über Chor und Südschiff hinausgeleitet werden, um "von der Dunkelheit ins Licht zu gehen". Videoprojektionen oder eingeblendete Bibelzitate sollen dazu beitragen, die spirituelle Entdeckung des Kirchenbaus zu vertiefen.
Sound- und Lichteffekten statt Beichtstühlen und Altären?
In den Seitenkapellen will das Pariser Erzbistum eine Art "Katechese-Kurs" anbieten. Die "Verheißung Gottes" aus dem Alten Testament im Nordschiff. Der Weg durch den Chor soll an Ostern erinnern, vom Kreuz bis zur Auferstehung Christi.
Die südlichen Kapellen werden Heiligen aus Paris und der Weltkirche gewidmet. Die Seitenkapellen waren von Viollet-le-Duc bewusst nüchtern gestaltet und in den folgenden knapp 200 Jahren vollgestellt und gestalterisch eher vernachlässigt worden.
Kritiker monierten schon, Beichtstühle und Altäre müssten Sound- und Lichteffekten weichen; "Themen-Kapellen" träten an ihre Stelle.
Theologe sieht Kritik in kulturellem Trauma nach Brand begründet
Die Kirche selbst, sonst als "retro" verschrien, nun also als Kulturbanause? Der Religionssoziologe Jean-Louis Schlegel erklärte solche traditionellen Reflexe damals als eine Art kulturelles Trauma nach dem Brand. Man wolle die Kathedrale "reparieren, wie man einen Körper wiederherstellt".
Es dürfe aber nun nicht um ein bloßes Restaurieren der Vorstellung von Kirche gehen, so der Theologe. "Sonst verlässt man die Geschichte und die Erinnerung an Notre-Dame und spielt 'Asterix und Obelix'."
So wurde die neue Inneneinrichtung von Notre-Dame also entworfen, um die Bedürfnisse und Erwartungen der verschiedenen Besuchergruppen zu erfüllen und gleichzeitig den spirituellen Charakter der Kathedrale zu bewahren.
Es bleibt abzuwarten, wie die Umsetzung dieses Konzepts die Wahrnehmung und Nutzung von Notre-Dame in den kommenden Jahren prägen wird.