Es dürfte das größte Livepublikum gewesen sein, das je seiner Musik gelauscht hat. Bei der Krönung des britischen Königs Charles III. im Mai dieses Jahres fanden gleich zwei Chorwerke von William Byrd einen Platz – und nach dem Gottesdienst erschallte noch eines seiner Orgelstücke. Dass diese Töne einst in der altehrwürdigen Westminster Abbey bei einer solchen Zeremonie erklingen würden, hat der Musikus zu seinen Lebzeiten wohl kaum gedacht.
Bekennender Katholik im protestantischen England
Denn Byrd, geboren um 1540 in London, war bekennender Katholik. Im England seiner Zeit hatte er damit keinen leichten Stand. Unter Königin Elisabeth I. (Regentschaft 1558 bis 1603), der Tochter von Heinrich VIII., wurde mit der sogenannten elisabethanischen Religionsregelung endgültig die Zukunft der englischen Kirche festgelegt: weg vom Katholizismus, hin zum Protestantismus.
Wer der anglikanischen Staatskirche nicht angehören wollte, konnte seine Konfession höchstens noch im Privaten leben. Keine katholischen Gottesdienste wurden mehr gefeiert, das Lateinische als Sprache in Kirchen verboten. Byrd, dem schon zu Lebzeiten der Ruf eines großen Musikers vorauseilte, schien sein Glaubensbekenntnis dennoch keine beruflichen Steine in den Weg zu legen. Er muss ungefähr 23 Jahre alt gewesen sein, als er eine Stelle als Organist und Chorleiter an der Kathedrale von Lincoln antrat. Keine zehn Jahre später wurde er Organist der Königlichen Kapelle in London.
Geistliche Gesänge für die Queen
Der britische Musikprofessor Iain Fenlon zeigt auf, dass Menschen während des Elisabethanischen Zeitalters an gewissen Orten durchaus katholisch bleiben konnten. "Es war also nicht der Fall, dass Byrd unverzüglich angewiesen wurde, für die anglikanische Kirche zu komponieren oder den Kontakt zu seinen eigenen religiösen Überzeugungen und der dazugehörigen Musiktradition abbrechen sollte", so Fenlon.
In London arbeitete Byrd mit Thomas Tallis (um 1505-1585). Gemeinsam erhalten die beiden ein von der Königin ausgestelltes und in der Zeit einmaliges Druckprivileg für ihre Musik. Im selben Jahr (1575) machen sie davon Gebrauch mit den "Cantiones Sacrae", einer Sammlung geistlicher Gesänge, die sie der Queen widmen. Es ist die erste große mehrstimmige Veröffentlichung in England im 16. Jahrhundert. Nach dem Tod Tallis' schreibt Byrd eine Trauermusik mit dem Text "Tallis ist tot, und die Musik stirbt".
Flucht aus London
Als die Situation für Katholiken schwieriger wird, zieht Byrd ins Londoner Umland. Der Zeitgenosse Shakespeares konnte dort seinen Glauben wohl freier leben. Im Gegensatz zu vielen seiner katholischen Bekannten, die des Hochverrats angeklagt wurden, steht Byrd unter dem Schutz einer einflussreichen katholischen Familie. Um 1593 zieht er in die Region Essex um, wo er bis zu seinem Tod 1623 bleibt.
Sein musikalisches Vermächtnis umfasst eine Vielzahl sakraler sowie säkularer Werke – etwa allein 140 Stücke für Klavier. Gerade seine geistliche Musik ist einen zweiten Blick wert. Byrd komponierte sowohl für die anglikanische als auch für die katholische Liturgie. Musikwissenschaftler Fenlon bezeichnet die drei Messen aus seiner Feder als bemerkenswert – denn: Wer sollte an so einer Komposition interessiert sein? Schließlich war es gesetzlich verboten, katholische Musik – zumal auf Latein – während des anglikanischen Gottesdienstes aufzuführen.
Musik zum Hausgebrauch
1605 und 1607 finden sich zudem zwei Bücher mit geistlichen Gesängen explizit für die katholische Liturgie. Wer darin nicht firm ist, werde wenig mit ihnen anfangen können, so Fenlon. Die spezielle Anordnung der Stücke folge einer eigenen Logik. Die Musik wurde wohl für den Hausgebrauch geschrieben. Auch habe Byrd mit der Auswahl seiner Texte stets die Situation der Katholiken reflektiert. So ziehe er Parallelen zwischen der Verfolgung der Israeliten im Alten Testament und dem heutigen England.
Bei der Krönung von Charles III. erklang von Byrd ein Gloria aus einer seiner Messen, die vor 400 Jahren an diesem Ort nicht hätten aufgeführt werden dürfen. Und nachdem der König seinen Eid ablegte und darin schwor, dem Protestantismus die Treue zu wahren, stimmte der Chor Byrds "Prevent us, O Lord" an.