Arlene Rios brachte es jüngst zur Berühmtheit, als die "Washington Post" und die "Los Angeles Times" die junge Latina als Trendsetterin einer Generation ausmachte, die dem Glauben der Eltern den Rücken kehrt. Die aus einer mexikanischen Familie stammende Arlene trat bereits 2016 aus der katholischen Kirche aus.
Seitdem engagiert sie sich bei den "Atheists United Secular Latinos" des San Gabriel Valley in Kalifornien. Statt in der Kirche trifft sie sich sonntags mit Gleichgesinnten im Starbucks von El Monte.
Nur noch 43 Prozent bekennen sich
Dort spricht Arlene mit anderen darüber, wie schmerzhaft ihr Schritt raus aus der Kirche war. Und wie sehr sie damit ihre tief gläubigen Eltern und auch einige Freunde schockte. Eine Erfahrung, die laut einer Studie des Pew Research Center (PEW) vom April immer mehr Menschen hispanischer Herkunft teilen. Demnach bekennen sich nur noch 43 Prozent unter ihnen zum Katholizismus. 2010 gaben noch 67 Prozent an, katholisch zu sein. Im gleichen Zeitraum verdreifachte sich die Zahl derer, die sich als Atheisten, Agnostiker oder "nichts Bestimmtes" bezeichnen, auf 30 Prozent.
Trotzdem stellen die Katholiken weiterhin die größte religiöse Gruppe unter den Latinos in den USA. Die Zahlen decken sich auch mit den Erhebungen anderer Umfrage-Institute wie PRRI oder Gallup. Einschließlich des Befundes, dass Latinos im Gleichschritt mit weißen Katholiken die Kirche verlassen.
Gläubige an Kirche binden
Der hispanische Bevölkerungsanteil der USA liegt laut US Census Bureau derzeit bei rund 19 Prozent, was in etwa 63 Millionen Einwohnern entspricht. Seit den 2000er Jahren wuchs die Geburtenrate der hispanischen Bevölkerung kontinuierlich an. Unter den US-Bischöfen nährte das die Hoffnung, die Latinos könnten helfen, den Mitgliederschwund in der Kirche zu stoppen. Der eigens geschaffene "Encuentro-Prozess" (Begegnung) zielt darauf ab, hispanischstämmige Gläubige eng an die Kirche zu binden.
Diese pastorale Offensive scheint unter den in den USA geborenen Latinos auf taube Ohren zu stoßen. Sie gehören laut Pew der Kirche nur noch halb so häufig an wie eingewanderte Hispanier. Eine Entwicklung mit Ansage, so Professor Hosffman Ospina vom jesuitischen Boston College, der sich seit Jahren mit der Rolle der Latinos in der US-Kirche beschäftigt. Denn soziologisch gesehen unterscheiden sich die unter 30-Jährigen merklich von ihrer Eltern- und Großelterngeneration.
"Amerikanisierung" schreitet fort
Die ab etwa 1995 in den USA geborenen Latinos gelten als weitgehend assimiliert. Ihre religiöse Entfremdung entwickelt sich ähnlich wie die anderer ethnischer Gruppen, beobachtet Matthew Wilson, Politologe an der Southern Methodist University in Dallas. Sie lebten in einer digitalen Welt, in der Religion außen vor ist. Diese Entwicklung habe "die Abkehr von der traditionellen Identität" beschleunigt.
Der katholische Glaube, die spanische Sprache und das Wissen über ihre Herkunftsländer gingen dabei zunehmend verloren - die Folge einer "Amerikanisierung" der jungen Latino-Gemeinschaft, so Juhem Navarro-Rivera. Der Politologe sieht das als Ergebnis einer Vielzahl von Identitäten, denen die unter 30-Jährigen in den USA ausgesetzt sind. Die Gleichsetzung von Latino und katholisch stimme nicht mehr, so Navarro-Rivera. "Es ist an der Zeit, zu überdenken, was es bedeutet, ein Latino zu sein."
Katholische Latinos verlassen ihre Kirche sogar in größerer Zahl und proportional stärker als die Mitglieder anderer Glaubensgemeinschaften. Auf 23 aus der katholischen Kirche ausgetretenen Latinos kommt nur ein Neueintritt, so Pew.
Politische Folgen
Die neue Offenheit gegenüber anderen Lebens- und Religionsformen unter US-Latinos wirkt sich auch auf deren politische Einstellungen und Parteizugehörigkeit aus; möglicherweise mit Folgen für die Präsidentschaftswahl 2024. Der bisherigen Formel, dass Latinos entweder überwiegend katholisch oder mit wachsender Tendenz evangelikal und deshalb in der Frage der Abtreibung konservativ sind, widerspricht das Meinungsforschungsinstitut Pew. Latinos orientierten sich längst am Durchschnitt der US-Erwachsenen. Die Annahme republikanischer Parteistrategen, Latinos seien überwiegend gegen Abtreibung, stimme nicht mehr.
Das Magazin "The New Yorker" will noch eine andere Entdeckung gemacht haben. Demnach gehören Latinos zu der Gruppe innerhalb der katholischen Kirche, die am stärksten für Veränderungen eintritt. Das betreffe die Frage weiblicher Führungskräfte ebenso wie Offenheit gegenüber LGBTQ-Menschen und eine ehrliche Diskussion über die politische Spaltung in den USA. Das Blatt kommt zu dem Schluss, dass die "angeblich traditionellen hispanischen Katholiken" in allen diesen Fragen "dem angeblich progressiven Papst" weit voraus seien.