DOMRADIO.DE: In der CDU rumort es, seitdem der Vorsitzende Friedrich Merz im Sommerinterview mit dem ZDF zwar signalisiert hat, dass es auf Bundes- und Länderebene eine parlamentarische Zusammenarbeit und Koalitionen mit der AfD nicht geben könne - eine Kooperation auf kommunaler Ebene aber denkbar sei. Reißt der CDU Vorsitzende damit eine Brandmauer ein?
Püttmann: Die Beschlusslage der CDU schließt jede Form der Zusammenarbeit mit der in weiten Teilen rechtsextremen AfD aus. Und dieser Extremismus beginnt ja nicht erst auf Bundesebene. Abgesehen vom Inhalt ist es auch bemerkenswert, dass in einer großen demokratischen Volkspartei der Parteivorsitzende in schlechter Gutsherrenmanier bei so einer sensiblen Problematik vorprescht, ohne zuvor seine Leitungsgremien ordentlich befasst und eine Änderung der Beschlusslage herbeigeführt zu haben. Hätte er nur gesagt, dass die CDU es nicht immer vermeiden kann, in Sachfragen wie die AfD abzustimmen - nur nicht als Unterstützer von deren Anträgen -, wäre das in Ordnung, denn eine demokratische Partei darf sich in ihrer Politik weder positiv noch negativ von radikalen Randparteien abhängig machen. Aber hier war ja durchaus von planvoller Zusammenarbeit im Sinne gemeinsamen Gestaltens auf kommunaler Ebene die Rede. Und damit wäre ein Weg beschritten, der sich mittelfristig schwerlich auf der Landesebene ausschließen ließe. Etwa in Form der Tolerierung einer Minderheitsregierung, von der man dann einfach behaupten könnte, dies sei keine wirkliche Kooperation, sondern man nähme nur die Duldungs-Stimmen, auch in Form von Enthaltungen, der AfD, parlamentarisch stillschweigend mit. Ist der Weg der Ausnahmen von der Unvereinbarkeit erst einmal beschritten, befindet man sich auf einer schiefen Ebene. Zumal es in der CDU eh ein Scharnier-Milieu nach weiter rechts gibt, etwa um die sogenannte Werteunion herum. Diese Kreise klingen jetzt schon oft wie die AfD selbst. Insofern scheint die "Brandmauer" tatsächlich schon länger zu bröckeln, und manche würden daraus gern eine Wanderdüne machen.
DOMRADIO.DE: Merz hatte noch in der vergangen Woche auf einer Klausurtagung der Landesgruppe die Union als "Alternative für Deutschland mit Substanz" bezeichnet. Ist das nicht ein gefährlicher Schlingerkurs - Wähler erwarten doch eigentlich klare Ansagen?
Püttmann: Schon das war mindestens ein dilettantischer Kommunikationsfehler, denn eine große, staatstragende Volkspartei definiert sich doch nicht vom Namen einer extremen Randpartei her. Die AfD darf nicht zum Maßstab werden, in keiner Weise. Merz gab damit ein Signal der Panik und der Schwäche und ließ wieder einmal jedes politisch-psychologische Gespür vermissen. Entsprechend hämisch klangen die Kommentare aus der AfD. Die Partei Konrad Adenauers, Andreas Hermes', Eugen Gerstenmaiers, Helmut Kohls, Angela Merkels und nicht zuletzt Walter Lübckes wirkt unter Merz nun wie eine Tanzbärin der feixenden deutschen Rechten. Ein würdeloses Spektakel.
DOMRADIO.DE: Erst jüngst hatte die CDU doch gerade das C - also das christliche in Ihrer Politik zum Markenkern erklärt. Die Politik der AFD, die ausgrenzt, abgrenzt, aufhetzt und immer weniger demokratisch daher kommt ist aber für Christen doch eigentlich keine Alternative - wie passt das zusammen?
Püttmann: Naja, das mit dem Markenkern wurde ja auch schon erheblich relativiert durch Merz und sein Team um Linnemann und Professor Rödder. In der neuen Grundwerte-Charta werden christliche Zentralbegriffe gegenüber dem bisherigen Programm reduziert, Gott verschwindet in einem Relativsatz, das christliche Menschenbild wird, anders als bisher, erst nach statt vor den Grundwerten erläutert, obwohl diese bei einer christlichen Partei doch im Licht des "C" als Vorzeichen vor der Klammer zu entfalten wären. Und zu allem Überfluss kreiert man eine "bürgerliche" Zweitidentität und interpretiert die christliche Identität sogar mit wirtschaftsliberaler Schlagseite im Licht einer "Bürgerlichkeit", die man, als republikanische verstanden, ja auch FDP, Grünen und SPD nicht absprechen kann. Was dann als Eindruck bleibt, ist eine Partei der Wohlstandsbürger, der Besserverdienenden, des Mittelstands, deren "Mittelstandsunion" ja auch nicht zufällig die Parteigremien dominiert wie nie zuvor. Die Wertebasis-Konstruktion ist vermurkst worden. Eine Abbrucharbeit am C, die aber zu feige ist, sich als solche zu bekennen, weil der Gegenwind aus der Partei doch erheblich war. Und was die AfD betrifft: Die passt mit dem Christentum ideologisch und habituell nicht nur nicht zusammern, sondern ist geradezu dessen Antithese: Wo Christen Empathie, Demut und Gelassenheit im irdischen Dasein bezeugen sollen, stehen die Rechtspopulisten für Empathielosigkeit, Hybris und Daueraufgeregtheit.
DOMRADIO.DE: Beide Kirchen sind z.B. in der Flüchtlingsfrage auf einem völlig anderen Kurs als die AFD - selbst bei Einladungen auf Kirchentage tuen sich die Kirchen hier schwer. Muss Merz nicht die Kirchen und die hier angebunden christlichen Wähler im Blick haben?
Püttmann: Das müsste er sicher mehr. Aber seine oberschlauen Parteistrategen haben ihm wahrscheinlich eingeflüstert, dass es mit den Kirchen nun mal bergab ginge und man sich deshalb neue Weidgründe erschließen müsse. Ein völlig unterkomplexes Kalkül, denn die Wertschätzung des Christlichen an sich ist in der Bevölkerung weiterhin recht hoch, weit höher als die des Konservativen und weit höher als die Umfragewerte der Union. Das C ist ein Bonus, kein Malus. Bei der Personalie Merz ist es umgekehrt: Er liegt regelmäßig unterhalb der Zustimmungswerte seiner Partei, obwohl er ja eigentlich von seinem wirtschafts- und finanzpolitischen Profil her sogar zusätzlich viele FDP-Anhänger ansprechen müsste. Er punkte aber fast gar nicht außerhalb der Union, und auch innerhalb weniger als erhofft. Bei der AfD, die er mal halbieren wollte, schon gar nicht. Deren Klientel hat er offenbar ganz falsch eingeschätzt. Das darf einem guten, wissenschaftlich beratenen Politiker nicht passieren. Es wird aber immer offenkundiger, dass er kein guter Politiker ist und nach der langen Pause außerhalb der Politik besser auch draußen geblieben wäre. Da wo Angela Merkel ihn realistischerweise auch sah. Aber in einem gewissen großbürgerlichen Wirtschaftsmilieu meint man nach meiner Beobachtung gern, mit dem eigenen wirtschaftlichen Erfolg habe man automatisch auch politische Kompetenz erworben und müsse den "Laden" nur mal ordentlich auf Vordermann bringen. In so naiver Hybris sind schon die "Wirtschaftsexperten" und AfD-Größen Lucke und Henkel krachend gescheitert. Merz brachte zwar parlamentarische Erfahrungen mit, aber keine exekutiven und keine in Parteileitung. Die Folgen können wir jetzt besichtigen.
Das Interview führte Ingo Brüggenjürgen.