Seit Diktatur-Ende hat Portugal Anschluss an Europa gefunden

Antonio Salazar isolierte sein Land im Südwesten

Antonio Salazars Regime passte in die Zeit der Diktatoren: erst erfolgreich und bewundert, später repressiv und erstarrt. Seither kämpft Portugal um den wirtschaftlichen Anschluss in Europa.

Autor/in:
Alexander Brüggemann
Blick auf die Kathedrale von Lissabon / © Felipe Oyarzun (shutterstock)
Blick auf die Kathedrale von Lissabon / © Felipe Oyarzun ( shutterstock )

Lissabon steht für Internationalität. Von hier sandten Portugals Könige Schiffe zur Entdeckung und Unterwerfung eines Weltreiches aus. Hier wurde 2007 der Vertrag von Lissabon unterzeichnet, der die Europäische Union demokratischer und transparenter machte.

Doch über Jahrzehnte, die gar nicht allzu weit zurückliegen, war das Land im äußersten Südwesten Europas isoliert, rückständig und autoritär geführt: unter Diktator Antonio de Oliveira Salazar.

Kirche stand im Fadenkreuz der Republikaner

Wer gab dem tief religiösen Wirtschaftsexperten, verhinderten Priesteramtskandidaten und Junggesellen einst die Fäden des Landes in die Hand? Die schwache und überlebte Dynastie der Braganca, die seit 1640 Portugals Krone trug, hatte die Regierung längst einer Oligarchie aus Landadel, Großunternehmern und Bankiers abgetreten. Dieses entkräftete spätfeudale System, bis zuletzt gestützt von Kirche und Militär, wurde 1910 von radikalen Republikanern und der Arbeiterschaft beseitigt.

Im Fadenkreuz der Republikaner stand vor allem die Kirche, die für die überkommenen Strukturen des Landes verantwortlich gemacht wurde. Binnen kürzester Zeit wurden religiöse Orden verboten, Kirchengüter und Schulen verstaatlicht, widerständige Geistliche verhaftet.

Die neue Regierung führte Zivilehe und Scheidung ein und schaffte den Religionsunterricht ab. 1911 wurden Staat und Kirche getrennt; Salazar, Jahrgang 1889, entschied sich deshalb gegen das Theologiestudium.

Marienerscheinungen in Fatima schufen Rückhalt

In diesem antiklerikalen Kontext stehen auch die Marienerscheinungen von Fatima vom Mai 1917, die als Hoffnungszeichen der stark bedrängten Kirche neuen Rückhalt in der Bevölkerung verschaffen konnten. Drei Hirtenkinder berichteten, ihnen sei die Gottesmutter erschienen.

Basilika im Marienwallfahrtsort Fatima / © Alexander Brüggemann (KNA)
Basilika im Marienwallfahrtsort Fatima / © Alexander Brüggemann ( KNA )

Es waren dramatische Monate: Russland taumelte in der Revolution, und die ersten portugiesischen Einheiten waren soeben vom traditionellen Verbündeten Großbritannien in den Ersten Weltkrieg verwickelt worden - um dort vernichtend geschlagen zu werden. Eine Hungersnot folgte.

Auch die Erfolge der Republik blieben aus; in den 16 Jahren seit 1910 verschliss Portugal 50 Regierungen, bis 1926 das Militär putschte. 1928 beauftragte es den noch nicht 40-jährigen Wirtschaftsprofessor und früheren Zentrumspolitiker Salazar, als Finanzminister die extreme ökonomische Misere anzugehen.

Der Verfechter der "Schwarzen Null" tat das mit Eiserner Hand und zunächst großem Erfolg. Seine Steuer- und Kreditreformen nahmen die gesamte Bevölkerung an die Kandare, verschafften ihm aber auch rasch Respekt und Rückhalt.

Salazars Verhältnis zur Kirche blieb kompliziert

Seit 1932 Ministerpräsident, rief Salazar 1933 den "Estado Novo", den Neuen Staat, aus, mit der Maxime: "Nichts gegen die Nation, alles für die Nation!" Sein autoritäres, nationalkonservatives Regime passte durchaus in die Zeit der Mussolinis, Hitlers und Francos - doch gleichzeitig schaffte es der "Finanzdiktator", das Land aus den Blutmühlen des Zweiten Weltkriegs herauszuhalten.

Sein Verhältnis zur Kirche blieb kompliziert; es kristallisierte sich auch in den parallel langen Amtszeiten von Salazar (1928/32-1968) und dem Patriarchen von Lissabon, Kardinal Manuel Goncalves Cerejeira (1928-1971). Selbst traditionell katholisch, weigerte sich der Diktator, die Kirche als Rechtsperson anzuerkennen; erst 1940 wurde ein Konkordat geschlossen.

Kathedrale Sé Patriarcal in Lissabon / © RossHelen (shutterstock)
Kathedrale Sé Patriarcal in Lissabon / © RossHelen ( shutterstock )

Der Kardinal seinerseits suchte zwar stets Fühlung mit dem gleichaltrigen Regierungschef, der Papstenzykliken zitierte und in dessen Fahrwasser die Kirche neue gesellschaftliche Anerkennung erfuhr. Andererseits hielt er genügend Distanz, um eine Vereinnahmung der Kirche wie in der späten Monarchie zu vermeiden.

Pressezensur, Geheimpolizei und Folter

Das rückwärtsgewandte Gesellschaftsbild des Estado Nuovo und seine repressiven Strukturen waren die Hauptursachen für eine baldige Erstarrung Portugals nach dem Zweiten Weltkrieg. Um die "Übel der Moderne" zu vermeiden, setzte der konservative Diktator auf einen ländlichen Ständestaat alter Prägung, der die breite Masse der Bevölkerung in Unwissenheit beließ und mit Pressezensur, Geheimpolizei und Folter jeden Modernismus ausschaltete. Noch in den 1960er Jahren waren rund 30 Prozent der Bevölkerung Analphabeten.

Der Versuch, Portugal in den 60er Jahren auf China-Art wirtschaftlich zu öffnen und gleichzeitig sozial und politisch hermetisch abzuriegeln, misslang. Die erfolglosen Kriege zum Erhalt der portugiesischen Kolonien Angola, Mosambik, Kapverden, Osttimor etc. taten ihr Übriges.

Seine sprichwörtliche Sparsamkeit wurde Salazar zum Verhängnis: Im Sommer 1968 brach ein Bürostuhl unter dem 79 jährigen Asketen zusammen; er schlug mit dem Kopf auf den Steinboden. Zunächst arbeitete er emsig weiter - doch nach ein paar Tagen verschlechterte sich sein Zustand: ein Blutgerinnsel im Gehirn. Schließlich übernahm sein Vertrauter Marcelo Caetano die Regierungsgeschäfte.

Als sich Salazar wider Erwarten erholte, wagte niemand mehr, dem menschenscheuen Professor, der vier Jahrzehnte nur für sein Amt gelebt hatte, zu sagen, dass er seine vermeintlichen Kabinettssitzungen als Geisterveranstaltungen einberief. Am 27. Juli 1970 starb er. Sein Regime siechte noch vier Jahre dahin. Erst mit der "Nelkenrevolution" vom April 1974 begann Portugals langer Kampf um Anschluss an Europa und die EU, der bis heute andauert.

Weltjugendtag 2023 in Lissabon

Termine

26.-31. Juli 2023: Tage der Begegnung in Aveiro
1.-6. August 2023 Weltjugendtag in Lissabon

Motto

Maria stand auf und machte sich eilig auf den Weg. – Lk 1,39

Lissabon, Portugal

Fähnchen mit dem Logo des Weltjugendtags 2023 in Lissabon und von Portugal / © Stefano Dal Pozzolo/Romano Siciliani (KNA)
Fähnchen mit dem Logo des Weltjugendtags 2023 in Lissabon und von Portugal / © Stefano Dal Pozzolo/Romano Siciliani ( KNA )
Quelle:
KNA